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Politik

"Flüchtlingspakt mit der Türkei kündigen"

Daniel Heinrich
28. September 2017

Kaum ein Thema wurde im deutschen Wahlkampf so heftig diskutiert wie das Verhältnis zu Ankara. Im DW-Gespräch spricht der ehemalige Türkei-Korrespondent des "Spiegel", Hasnain Kazim, über Diplomatie und Druck.

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Die Integration von Flüchtlingen in der Türkei
Bild: DW/D. Cupolo

DW: Der türkische Ministerpräsident Binali Yildirim hat kurz nach den Bundestagswahlen gefordert, im Verhältnis zu Deutschland ein neues Kapitel aufzuschlagen. Er wolle die Beziehungen "reparieren". Befindet sich die türkische Regierung auf Entspannungskurs gegenüber Berlin?

Hasnain Kazim: Ich glaube, dass wir jedes gemäßigte Wort aus Ankara als ein Zeichen der Hoffnung ansehen sollten. Es hat in der jüngsten Vergangenheit so viele böse Worte aus der Türkei gegeben. Im Gegenzug hat es auch aus Deutschland viel - berechtigte - Kritik an Ankara gegeben. Nun sind die Bundestagswahlen vorbei, das Referendum über das Präsidentensystem Mitte April gehört auch der Vergangenheit an. Beide Länder sind also nicht mehr im Wahlkampfmodus. Ich finde, dass man die Chance nutzen sollte, wieder aufeinander zuzugehen.

Im deutschen Bundestagswahlkampf gab es wenige Themen, die so hitzig diskutiert wurden wie das angespannte Verhältnis zur türkischen Regierung. Wie sollte sich die künftige Bundesregierung im Umgang mit Ankara verhalten? Gibt es etwas, was sie anders machen sollte?

Es ist schwierig, sich gegenüber Ankara grundsätzlich anders zu verhalten. Man könnte zwar den Tonfall deutlich entschärfen, allerdings gibt es gerade in der türkischen Politik im Bereich der Menschenrechtsverletzungen, im Beschneiden der Pressefreiheit, Dinge, die einfach nicht gehen. Die Inhaftierung der beiden deutschen Journalisten Deniz Yücel und Mesale Tolu und die Inhaftierung des deutschen Menschenrechtlers Peter Steudtner gehören dazu. Auch wenn wir nicht mehr im Wahlkampf sind, kann man diese Dinge nicht ausklammern. Ich hoffe aber, dass man in Zukunft auf konstruktivere Art und Weise darüber streiten kann.

Auf dem Index der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen liegt die Türkei auf Rang 155 von 180 Ländern. Zu Beginn dieser Woche wurde der bekannte regierungskritische Journalist Kadri Gürsel aus türkischer Haft entlassen. Was muss die künftige Bundesregierung tun, damit auch Deniz Yücel, Mesale Tolu und Peter Steudtner freikommen?

Die Bundesregierung muss das Thema weiter ansprechen, sie muss den Druck erhöhen. Wenn Worte alleine nicht mehr helfen, muss man auch den wirtschaftlichen Druck massiv erhöhen. Es gibt ja wirksame Methoden. Ich denke da beispielsweise an die Aufkündigung staatlicher Kreditversicherungen, die sogenannten Hermes-Bürgschaften.

Ich bin mal gespannt, wie Herr Erdogan reagieren würde, wenn tatsächlich Investitionen aus dem Ausland in größerem Ausmaß ausblieben. Sicherlich sind wirtschaftliche Sanktionen auch ein zweischneidiges Schwert: Diese Sanktionen könnten auch Menschen in der Türkei treffen, die mit Erdogan überhaupt nichts anfangen können.

SPIEGEL Korrespondent Hasnain Kazim
Hasnain Kazim: "Wenn Worte allein nicht helfen, den wirtschaftlichen Druck massiv erhöhen"Bild: DW/Daniel Heinrich

Ich habe 2016 persönlich erlebt, wie wenig erfolgsversprechend der "stille" diplomatische Weg sein kann. Ich musste die Türkei verlassen, weil mir von Seiten der türkischen Behörden eine erneute Akkreditierung verweigert wurde. Die Bundesregierung und das Auswärtige Amt waren damals sehr bemüht. Sie haben auf diplomatischem Weg unglaublich viel versucht, mir zu helfen. Letzten Endes sind diese Versuche auf türkischer Seite nur auf taube Ohren gestoßen. Die Regierung in Ankara hat ganz klar gemacht, dass sie am längeren Hebel sitzt.

Ein "Hebel", dem man Ankara immer wieder zuschreibt, ist der sogenannte "Flüchtlingsdeal" zwischen der Europäischen Union und der Türkei. Sowohl Amnesty International wie Reporter ohne Grenzen haben Mitte dieser Woche gefordert, dass eine zukünftige Bundesregierung diesen Deal beendigen sollte. Stimmen Sie zu?

Ich stimme dem vollkommen zu. Ich habe von Anfang an gesagt, dieser "Deal" führt dazu, dass Deutschland sich in eine Schwächeposition, in eine Abhängigkeit zur Türkei begibt. Ich finde es einen unhaltbaren Zustand, dass man es in Europa nicht schafft, eine gemeinsame Flüchtlingspolitik auf die Beine zu stellen. Anstatt die Flüchtlinge europaweit gerecht zu verteilen, lässt man sich von Ländern wie Ungarn vorführen, die ihrer Verpflichtung nicht nachkommen.

Zusätzlich setzt man seine Hoffnungen auf Länder wie die Türkei und baut darauf, dass sie die Flüchtlinge zurückhalten. Ähnliches gilt für Libyen: Was für ein Regime ist das denn bitte, mit dem wir da Kooperationsverträge abschließen?! Das kann nicht sein, wir müssen eine vernünftige Flüchtlingspolitik machen. Und deswegen müssen wir den Flüchtlingspakt mit der Türkei von uns aus aufkündigen.

Hasnain Kazim war von 2013 bis 2016 Korrespondent des Nachrichtenmagazins "Spiegel" in der Türkei. Vor kurzem ist sein Buch "Krisenstaat Türkei - Erdogan und das Ende der Demokratie am Bosporus" erschienen.

Das Gespräch führte Daniel Heinrich.