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Politik

Hass auf Juden - alt oder neu?

13. Mai 2018

Politologe David Ranan polarisiert mit seinen Thesen über muslimischen Antisemitismus. Im DW-Interview plädiert er für einen differenzierten Blick auf judenfeindliche Einstellungen - in Europa und Nahost.

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Deutschland Demonstration gegen Antisemitismus
Bild: picture-alliance/AP Images/J. Meyer

David Ranan: „Angst wird auch von Politikern geschürt.“

Mobbing gegen jüdische Schüler, eine Attacke auf einen Kippa-tragenden Mann und zwei Deutsch-Rapper, die mit geschmacklosen und von vielen als antisemitisch wahrgenommen Textzeilen einen Musikpreis abräumen: Antisemitismus scheint in Deutschland wieder auf dem Vormarsch zu sein. Laut einer aktuellen Kriminalstatistik des Bundesinnenministeriums hat 2017 die Zahl der politisch motivierten Straftaten - darunter zählen auch Straftaten gegenüber Juden oder jüdischen Einrichtungen - mit einem Plus von 2,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr leicht zugenommen. Als Täter geraten immer wieder Muslime ins Visier. Jüdische Gemeinden fürchten, dass mit der wachsenden Zahl von Migranten aus dem arabischen Raum auch die Zahl der Antisemiten steigen könnte.

Israelischer Politologe David Ranan
David Ranan: Wo fängt Antisemitismus an? Bild: DW

Der deutsch-britische Politologe und Antisemitismus-Experte David Ranan hat sich der heiklen Debatte angenähert und für sein Buch "Muslimischer Antisemitismus. Eine Gefahr für den gesellschaftlichen Frieden in Deutschland?" Interviews mit 70 Musliminnen und Muslimen in Deutschland und Großbritannien geführt. Viele von ihnen haben Abitur oder sogar einen akademischem Abschluss.

Die Antworten der Befragten "über die Juden" lesen sich wie der Bodensatz der gängigen antijüdischen Klischees: Sie umfassten die "ganze Bandbreite über jüdische Macht und jüdisches Geld und ganz spezifisch, welche Supermarktketten zum Beispiel in Deutschland 'den Juden' gehören würden", resümiert Ranan im DW-Interview. Es habe ihn überrascht, dass auch beispielsweise eine junge Ingenieurin von Verschwörungstheorien "über 120 Zionisten, die die ganze Welt beherrschen würden", erzählte. Bei der Nachfrage, was Zionisten genau ausmache, habe sie allerdings passen müssen. "Da gibt es auch eine Unklarheit."  

Auch die Herkunft entscheidet

Da liegt für Ranan, Jahrgang 1946, selbst Jude und in Israel aufgewachsen, auch die Krux der Debatte. Wo fängt Antisemitismus an, und wie lässt er sich von Antizionismus oder harscher Israelkritik unterscheiden? Dieser Frage stellt er auch in seinem Buch.  Vielfach werden die Begriffe synonym verwendet. Eine genaue Unterscheidung sei schon allein deshalb wichtig, um Studien zu antisemitischen Einstellungen im arabischen Raum besser einordnen zu können. "Es wird dauernd behauptet, dass es Antisemitismus gibt und dass bestimmte Sachen antisemitisch sind", erklärt er der Deutschen Welle im Gespräch. "Aber man ist sich nicht einig darüber, was es ist". Auch er hat keine eindeutige Erklärung. Sympathien hegt Ranan für eine Definition des britischen Philosophen Brian Klug, der Antisemitismus als eine "Art Feindseligkeit gegen Juden als 'Juden', also wegen Eigenschaften, die ihnen angedichtet wurden" begreift.

Screenshot Youtube Antisemitischer Angriff in Berlin
Angriff auf einen Mann mit Kippa in Berlin: Die gefilmte Attacke erschütterte viele Bild: Jüdisches Forum JFDA

Für ihn gibt es deshalb erhebliche Unterschiede zwischen dem alten Antisemitismus in Europa und der relativ neuen ablehnenden Haltung vieler Muslime, die ihren Ursprung im Nahostkonflikt hat. Israel werde als mächtig, die Palästinenser als ohnmächtig erlebt. Es sei gerade dieses "Ohnmachtsgefühl", das junge Muslime auch zu Aktionen gegen Juden aufstacheln soll. Auslöser für eine judenfeindliche Einstellung ist damit - anders als beim europäischen Antisemitismus - ein reell erlebtes Unrechtsempfinden. "Der christliche, rassistische, im Abendland entwickelte Judenhass ist etwas ganz anderes", sagt Ranan. "Das fing an mit der Idee, dass Juden Jesus, also Gott, umgebracht haben und das ist für Christen natürlich überhaupt nicht zu verzeihen." Diese Geschichte existiere bei den Muslimen nicht. "Was es zwischen Muslimen und Juden gibt, ist ein Territorialkonflikt über ein Land."

Ranan will Muslime nicht verurteilen und sie nicht bedrohlicher darstellen lassen als andere Gruppierungen. Die Zahlen geben ihm dabei auch Recht. 95 Prozent der antisemitischen Straftaten in Deutschland werden nicht von Muslimen verübt, sondern von Rechtsextremen, so die Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage von Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau (Linke) im Februar 2018. Der zur Zeit diskutierte sogenannte Werteunterricht sei deshalb für alle sinnvoll, sagt Ranan. "Was ist denn eigentlich mit den jungen Menschen oder den nicht so jungen Menschen, die Flüchtlingsheime anzünden? Brauchen die keinen Werteunterricht?"

Grundlose Angst?

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Dennoch hat Ranan mit seinen auch im Buch vorgestellten Thesen polarisiert und musste sich von jüdischer Seite den Vorwurf der Relativierung  gefallen lassen. "Die Frage ist, ob es Grund für Angst gibt", sagt Ranan, der selber in London und in Berlin lebt, der DW. "Und ich glaube, dass die Angst von jüdischer Seite und teilweise von wohlwollenden deutschen Philosemiten, teilweise von kalt kalkulierenden deutschen Politikern geschürt wird." Worauf Ranan anspielen dürfte: Auch die AfD gibt sich gerne - wenn wohl auch eher aus instrumentellen Gründen - als "judenfreundliche" Partei, obwohl sich nicht wenige Vertreter der Partei schon offen antisemitisch geäußert haben. 

Aus "verständlichen Gründen" finde alles, was mit jüdischer Angst zu habe, ein Ohr bei der deutschen Politik und einem Teil der deutschen Bevölkerung, glaubt Ranan. "Aber man darf nicht vergessen, dass die jüdische Bevölkerung, die jüdischen Minoritäten generell und in Deutschland ganz spezifisch eine bevorzugte Minderheit sind. Es geht ihnen gut und sie werden gehört." Die Situation für die rund fünf Millionen Muslime in Deutschland sei weitaus schwieriger. "Sie haben weder Zugang zum Diskurs, noch wird ihnen zugehört."

Stephanie Höppner Autorin und Redakteurin für Politik und Gesellschaft