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Hat Russland Impfstoff-Daten manipuliert?

16. September 2020

Auffällige Zahlenmuster beim Antikörperspiegel im Blut und bei den T-Zellen können nach Ansicht internationaler Experten kein Zufall sein. Außerdem wurde die finale Testphase einfach übersprungen.

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Ein Arzt hält den russischen Coronavirus-Impfstoff in der Hand
Bild: picture-alliance/dpa/V. Pesnya

Die Anforderungen an einen Corona-Impfstoff sind völlig klar: Er soll wirksam sein, sicher, bezahlbar und schnell verfügbar. Diese grundlegenden Kriterien gelten ausnahmslos für alle Impfstoffentwickler, die seit Monaten unter Hochdruck nach einem geeigneten Wirkstoff suchen.

Entsprechend groß war das internationale Entsetzen, als Russland Mitte August im Eilverfahren seinen Impfstoff "Sputnik V" als ersten Corona-Impfstoff weltweit freigab, obwohl der Wirkstoff kaum in klinischen Studien erprobt und die entscheidende Sicherheitsprüfung einfach ausgelassen worden war.

Gleiche Werte bei unterschiedlichen Patienten?

Jetzt mehren sich auch noch Anzeichen, dass die dem Impfstoff zugrundeliegenden Daten plump manipuliert wurden. Rund 40 Forschende aus Europa, den USA, Kanada, aber auch aus Russland selber stellen die Echtheit der Anfang September im Fachblatt Lancet veröffentlichten Daten in einem offenen Brief infrage.

Besonders auffällig sind sich wiederholende Zahlenmuster, die in dem offenen Brief farbig markiert sind. Obwohl die verschiedenen Probanden ganz unterschiedliche Formen des Impfstoffs bekamen, hatten sie an unterschiedlichen Tagen allesamt den exakt gleichen Antikörperspiegel im Blut. Schon das kam den Forschenden sehr seltsam vor.

Dass zudem bei den Probanden aber auch noch der Wert der T-Zellen, die SARS CoV-2 bekämpfen, identisch sein soll, könne nach Ansicht der internationalen Experten kein Zufall mehr sein. Die Ergebnisse seien aus statistischer Sicht höchst unwahrscheinlich, vielmehr sei hier offenkundig manipuliert worden, so die Forscher um den bekannten Molekularbiologen Enrico Bucci. "Das ist, als ob man würfelt und mehrmals genau die gleiche Zahlenfolge erhält", sagte Bucci der "Moscow Times".

Was weiß man über den russischen Impfstoff?

Der bei "Sputnik V" verwendete Impfstoff Gam-COVID-Vac Lyo ist ein sogenannter Vektor-Impfstoff, der am Moskauer Gamaleja-Institut für Epidemiologie  entwickelt wurde.

Für solch eine Vektor-Impfung wurden die gefährlichen Krankheitsgene aus den Viren entfernt, übrig bleibt nur eine Art Viren-Transport-Vehikel, das Mediziner als "viralen Vektor" bezeichnen.

Diese harmlosen Vektoren enthalten dann zusätzlich das Erbgut mit der entsprechenden Bauanleitung, bei SARS-CoV-2-Impfstoffen entsprechend ein Gen des Coronavirus.

Russland Coronavirus Impfstoff
Durch das Cororavirus-Erbgut in den harmlosen Vektoren bilden sich Antikörper und spezifische T-Zellen gegen das Antigen.Bild: picture alliance/dpa/Ministry of Health of the Russian Federation

Der Körper des Geimpften erkennt das eingeschleuste Erbgut als Fremdkörper und bildet Antikörper und spezifische T-Zellen gegen dieses Antigen. Das Impf-Antigen wird also von den Zellen des Geimpften selbst produziert.

Werden bereits bekannte Vektoren verwendet, spart dies Zeit, da ihre Sicherheit bereits getestet wurde. Trotzdem kann es bei Vektor-Impfungen immer auch zu Nebenwirkungen kommen, wenn etwa das Immunsystem auch die Vektoren angreift.

Was bedeutet der Name Sputnik V?

Endlich wieder Erster sein -  bereits Mitte August, gerade mal ein halbes Jahr nach Ausbruch der Pandemie, präsentierte Russlands Präsident Putin stolz sein Corona-Prestigeobjekt.

Russland sollte partout als erster Staat einen Corona-Impfstoff präsentieren. So ist denn auch der Name "Sputnik V" zu verstehen, der ganz bewusst an den ersten jemals in die Erdumlaufbahn gebrachten Satelliten erinnern soll. Mit diesem "Sputnik-Schock" 1957 hatte es die einstige Sowjetunion allen gezeigt.

Reisende vor einem russischen Coronavirus-Test-Zentrum
Insgesamt gab es in Russland bislang mehr als eine Millionen Corona-FälleBild: picture-alliance/dpa/Sputnik/A. Maishev

Um ihr Vertrauen in den neuentwickelten Impfstoff zu unterstreichen, hatten sich neben den 38 Testpersonen auch zahlreiche Offizielle und Funktionäre zum Teil vor laufender Kamera impfen lassen - darunter auch eine von Putins Töchtern.

Zufall oder Manipulation?

Ob die auffälligen Zahlenmuster nur Zufall sind oder ob die Studie tatsächlich manipuliert wurde, können nur die Rohdaten klären, die der Veröffentlichung zugrunde liegen. Bislang aber hat das staatseigene Gamaleja-Institus ihre "Sputnik V"-Daten nicht öffentlich zugängig gemacht.

Deshalb hat das Forscherteam den offenen Brief an Lancet geschrieben, in dem sie die Veröffentlichung der Rohdaten fordern. In der wissenschaftlichen Fachwelt können Forschende mit solch einer "Note of Concern" schwerwiegende Bedenken an einer Studie kenntlich machen.

Sputnik V Coronavirus Impfstoff Russland
Zunächst sollen besonders Personen in systemrelevanten Berufen mit Sputnik V geimpft werdenBild: picture-alliance/dpa/Yonhap

Schon Ende Mai stand das renommierte Fachblatt Lancet massiv in der Kritik, weil bei einer Hydroxychloroquin-Studie die Prüfverfahren versagt hatten und der zugrundeliegende Datensatz bewusst manipuliert worden war. Das als Wundermittel gepriesene Hydroxychloroquin erwies sich nicht nur bei vielen Patienten als wirkungslos gegen COVID-19, bei einigen führte die Behandlung mit dem Malaria-Mittel sogar zum Tode.

Massenimpfungen für das Jahresende geplant

Obwohl die finale Testphase III einfach übersprungen wurde und sich Zweifel an der zugrundeliegende Datengrundlage mehren, soll bereits im Dezember eine erste Massen-Immunisierung stattfinden. Zunächst sollen Personen in systemrelevanten Berufen wie medizinisches Personal oder Lehrkräfte geimpft werden.

Um die massiven Zweifel an dem russischen Impfstoff auszuräumen, wäre ein prüfender Blick auf die Rohdaten durch unabhängige Fachleute unausweichlich.

Fraglich ist deshalb auch, ob das Fachmagazin Lancet im Peer Review-Prüfverfahren vor der Veröffentlichung Einblick in die Rohdaten hatte. Jedenfalls hat Lancet die Studien-Autoren um eine entsprechende Stellungnahme gebeten.

DW Mitarbeiterportrait | Alexander Freund
Alexander Freund Wissenschaftsredakteur mit Fokus auf Archäologie, Geschichte und Gesundheit@AlexxxFreund