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Hausaufgaben

23. April 2010

Sollte ich einmal das Wörterbuch der Krise schreiben, dann würde der Band H ganz sicher mit dem Stichwort Hausaufgaben beginnen...

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Deutschland Schriftsteller Burkhard Spinnen. Foto privat
Burkhard SpinnenBild: privat

Und das nicht, weil die real existierenden Schul-Hausaufgaben gerne zu psychischen oder familiären Krisen führen, sondern weil in der Wirtschaftskrise die Metapher Hausaufgaben eine steile Karriere macht.

Hören Sie doch nur einmal zu, was Manager in diesen Monaten sagen, wenn man sie zum Zustand ihrer Unternehmen und zu den laufenden Maßnahmen in der Geschäftsführung befragt. Da fällt zunächst die Nummer-Eins-Phrase, der Hit und Dauerbrenner unter den Uns-geht’s-ja- noch-gut-Metaphern, wenn es heißt, man sei "gut aufgestellt". Aber kurz danach, immer noch auf den Spitzenplätzen der Phrasen-Hitparade, wird gesagt, man habe seine Hausaufgaben gemacht.

Eine schlichte Metapher

Die Hausaufgaben-Metapher ist kein besonders kompliziertes Wortkonstrukt. Im Gegenteil, jeder – und gerade auch der ökonomische Laie – versteht auf Anhieb, was gemeint ist: Wer seine Hausaufgaben macht, der tut einfach, was ihm vorgeschrieben wird. Er tut, was alle tun. Er tut es in einem gesetzten Zeitrahmen, und er muss damit einverstanden sein, dass man seine Arbeit kontrolliert und bewertet. Fast jeder Mensch hat schon einmal Hausaufgaben gemacht. Das Wort ruft konkrete Vorstellungen hervor, dazu aber auch komplexe Gefühle: Hausaufgaben sind eine Last, sie sind eine Qual, aber es gibt zu ihnen so recht keine Alternative.

Eine vertrackte Metapher

Zugleich aber sind die Hausaufgaben auch eine sehr vertrackte Metapher. Denn sie zeigen die Not derjenigen, die sie verwenden! Wer an der Spitze eines großen Unternehmens steht und über seine Hausaufgaben spricht, der gesteht nämlich ein, dass er in seinem Tun und Lassen so unfrei ist wie ein Schüler. Der CEO, der Schulaufgaben macht, schrumpft zurück zum Pennäler. Statt Strategien für die Zukunft zu entwerfen, pinnt er seine Lektionen herunter und wartet dann mit hochrotem Kopf auf das Urteil der Finanzaufsicht, der Rating Agenturen und der Börsen.

Blick in ein Schulheft
CEO bei den Hausaufgaben?Bild: dpa

Ich bin mir sicher, zwei von drei oder besser: neun von zehn Wirtschaftsleuten, die die Hausaufgaben-Metapher verwenden, tun das ohne ein volles Bewusstsein dessen, was alles sie damit über sich selbst aussagen. In der Krise sind Worte und Redewendungen beliebt, die scheinbar ganz und gar Positives und Selbstverständliches signalisieren. Aber meistens sind die Metaphern klüger als die, die nach ihnen wie nach dem rettenden Strohhalm greifen. Wer wieder Hausaufgaben macht, der will signalisieren, dass er sich Regeln beugt und tut, was getan werden muss. Doch gleichzeitig gesteht er ein, dass er das Erwachsensein vorläufig aussetzt. Und ob unsere Wirtschaft tatsächlich besser von lauter Jungs und Mädels geführt werden sollte, die emsig ihre Hausaufgaben machen – das wage ich zu bezweifeln.

Burkhard Spinnen, geboren 1956, schreibt Romane, Kurzgeschichten, Glossen und Jugendbücher. Sein Werk wurde vielfach ausgezeichnet. Spinnen ist Vorsitzender der Jury des Ingeborg-Bachmann-Preises. Zuletzt ist sein Kinderbuch "Müller hoch Drei" erschienen (Schöffling).

Redaktion: Gabriela Schaaf