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Heidnischer Zauber

Merseburg zählt zu den ältesten Städten im mitteldeutschen Raum. Die einstige Größe der Residenz- und Regierungsstadt ist noch gut erkennbar. Dabei wäre Merseburg in der ehemaligen DDR fast untergegangen.

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Das Merseburger Schloss

"Entspring den Haftbanden, entfahr den Feinden!" - ob dieser Merseburger Zauberspruch noch heute wirksam ist?
Früher waren sie praktische Werkzeuge, die berühmten zwei Merseburger Zaubersprüche. Hilfsmittel, um ganz alltägliche Probleme zu lösen. Der eine von ihnen sollte gute Dienste leisten, um verrenkte Gliedmaßen zu kurieren. Der andere kam zum Einsatz, um einer (Kriegs-)Gefangenschaft zu entfliehen. Aber ob die Zaubersprüche die erwünschte Wirkung brachten? Die originalen Handschriften aus dem 10. Jahrhundert sind ein besonderer Schatz der Domstiftsbibliothek in Merseburg. Denn weltweit sind sie die einzig erhaltenen althochdeutschen Schriftstücke mit heidnischen Inhalten.

Befreit von Schmutz und Dreck

Vielleicht hat so ein Zauberspruch auch Merseburg geholfen, um sich aus der "Gefangenschaft" von Schmutz und Dreck zu befreien. Denn Merseburg an der Saale hielt jahrelang einen traurigen Rekord: Die Stadt galt als die schmutzigste der DDR. Und sie war umgeben von einer der ödesten Landschaften Deutschlands. Grau, staubig, stinkend - ausgemergelt von Braunkohleförderung und chemischer Industrie. Die Luft belastet mit hohen Kohlendioxidwerten, die Saale verfärbt von giftigen Ableitungen aus den Industriebetrieben - verdreckt, kaputt. Das ist zum Glück Vergangenheit, die Stadt und die Natur können wieder aufatmen.

Ein Ökologischer Kraftakt

Zu DDR-Zeiten erzeugten ganz in der Nähe die "Buna-Werke" künstlichen Kautschuk, Karbid und synthetische Fasern, Flugzeugbenzin und Plastik-Grundstoffe. Nicht weit entfernt wurden in den riesigen "Leuna-Werken" Diesel und Stickstoff, Ammoniak und Polyäthylen produziert. Egal, woher der Wind auch wehte, über Merseburg hing Tag und Nacht eine gelbe Glocke giftiger Abgase. Weil die immense Zahl der Beschäftigten Wohnraum brauchte, wurden in und um Merseburg riesige Schlafstädte in trister so genannter Plattenbauweise errichtet. Nach dem Ende der Deutschen Demokratischen Republik wurden riesige Summen in diese Region investiert, um ihren Kollaps abzuwenden. Die veralteten Anlagen verschwanden, die stark verkleinerte Industrie wurde mit moderner Umwelttechnologie ausgestattet - Merseburg erholte sich, und die Natur ebenso.

Schloss und Dom

Die rund 1200-jährige Stadt war einmal ein wichtiger Ort. Als Bischofs- und Residenzstadt zählte sie bis ins Mittelalter zu den Zentren des damaligen Reiches. Das Bauensemble von Dom und Schloss thront als Wahrzeichen Merseburgs auf einem Sandsteinfelsen über dem Fluss Saale. Hier stand bereits im 8. Jahrhundert eine Burganlage, die zur Königspfalz ausgebaut wurde. Vom 10. bis ins 13. Jahrhundert waren vielerlei hohe Herren zu Gast: 69 mal gaben sich Könige samt Gefolge die Ehre, auf 26 Reichstagen wurden die Weichen für die Politik gestellt.

Aschenputtel ade

Merseburg bemüht sich, seine alten Wurzeln zu bewahren, auch wenn außer Dom und Schloss nicht viele erhalten sind. Die Wahrzeichen und die umliegenden historischen Gebäude sind frisch renoviert, die entgiftete Saale schlängelt sich freundlich durch die Stadt. Merseburg kann aufatmen, für das Aschenputtel-Image besteht heute kein Grund mehr. Vielleicht wirken die Merseburger Zaubersprüche eben doch! (Study in Germany)