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Politik

Heim in die Fremde

Esther Felden
24. Januar 2017

Gerade sind 26 afghanische Männer in Kabul gelandet, abgeschoben aus Deutschland. Farid hat das Gleiche erlebt, bei der ersten Sammelabschiebung im Dezember. Sein Leben besteht aus Angst, Einsamkeit und Verzweiflung.

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Abgeschobene Afghanen nach ihrer Ankunft in Kabul
Bild: Reuters/O. Sobhani

Farid heißt eigentlich nicht Farid. Aber seinen echten Namen möchte er nicht nennen. Mehrfach weist er im Interview darauf hin. Zu groß ist die Sorge, dass ihm etwas zustoßen könnte. Dass Taliban oder IS ihn aufspüren könnten. Auch diese beiden Begriffe fallen immer wieder, in fast jeder Antwort. Nur, wenn man ihm garantieren könne, dass ihm nichts passiert, würde er zustimmen, sich zu erkennen zu geben.

Farid weiß selbst, dass das nicht geht, dass ihm niemand solch ein Versprechen geben kann. Aus seinen Aussagen spricht die pure Verzweiflung. Und genau das ist er: verzweifelt. "Ich habe sehr große Angst. Ich fühle mich in Afghanistan wie ein Fremder. Ich kenne hier niemanden mehr, es ist für mich ganz schlimm." Er ist heute 22, als Teenager hat er beide Eltern verloren. Er vermutet, dass die Taliban sie umgebracht haben.

Maschine der Meridiana Air am Gate in Frankfurt
Diese Maschine der Meridiana Air brachte die 34 abgeschobenen Männer von Frankfurt nach KabulBild: picture-alliance/dpa/B. Roessler

Farid kommt als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling nach Deutschland. Er lernt die Sprache, will sich eine Existenz aufbauen. Aber trotz Unterstützung von Freunden und Flüchtlingshelfern gelingt es ihm nicht, Asyl zu bekommen. Sein Traum von Deutschland endet am 14. Dezember am Frankfurter Flughafen. Gemeinsam mit 33 anderen Männern aus Afghanistan muss er eine Maschine besteigen, die ihn nach Kabul bringt. "Auf dem Flug saßen rechts und links von mir Polizisten. Selbst wenn ich auf die Toilette gegangen bin, hat mich einer bis zur Tür begleitet und dort gewartet."

Allein in Kabul

Am nächsten Morgen hat er wieder afghanischen Boden unter den Füßen. Empfangen wird die Gruppe von Vertretern des afghanischen Flüchtlingsministeriums und der Internationalen Organisation für Migration (IOM). Doch Hilfe hätte er von ihnen nicht, bekommen, sagt Farid. Niemand habe sich um ihn gekümmert, er habe sich komplett verlassen gefühlt. Überprüfen lässt sich diese Angabe allerdings nicht. Farid weiß nicht, wohin. Er reist zuerst in seine Heimatstadt in Zentralafghanistan, macht sich auf die Suche nach Verwandten. Doch die leben nicht mehr dort, die Sicherheitslage ist schlecht. Deshalb kehrt er zurück nach Kabul.

400 Euro hat er zu diesem Zeitpunkt bei sich, die hat er von einer deutschen Bekannten bekommen. Er hat ein billiges Zimmer gefunden, wo er zurzeit wohnt. Rund die Hälfte des Geldes ist mittlerweile aufgebraucht. Was danach ist, weiß er nicht. "Ich gehe jeden Morgen um sieben Uhr aus dem Haus, um nach einem Job zu suchen. Ich frage mich durch. Ich würde alles machen, auch harte körperliche Arbeit. Hauptsache, auf eigenen Beinen stehen." Bislang aber hat er nichts gefunden. Organisierte Hilfe für abgeschobene Rückkehrer gebe es nirgendwo, sagt er. Er fühlt sich allein gelassen. "Und ich weiß nicht, wem ich vertrauen kann." Kontakt zu anderen, die mit ihm in der Maschine aus Deutschland saßen, hat er nicht.

Demo gegen die geplante Abschiebung von Afghanen am Frankfurter Flughafen
Die erste Sammelabschiebung im Dezember 2016 war begleitet von Protesten am Frankfurter FlughafenBild: Getty Images/AFP/D. Roland

Kritik, Proteste und Appelle

Für diese erste Sammelabschiebung Mitte Dezember musste sich Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) viel Kritik anhören. Von Seiten der Opposition, teilweise aber auch aus den eigenen Reihen. Und am Flughafen demonstrierten Abschiebungsgegner mit Transparenten und Plakaten. Der Minister selbst verteidigte die Aktion als richtig und notwendig, "um unser Asylsystem funktionsfähig zu halten." Darüber hinaus habe es sich bei etwa einem Drittel der Abgeschobenen um verurteilte Straftäter gehandelt.

Die Bundesregierung hält offiziell an ihrer Linie fest, wonach Teile Afghanistans ausreichend sicher seien. Für Organisationen wie Pro Asyl ein Skandal. Mitte Januar fordert pro Asyl eine "Kehrtwende im Umgang mit afghanischen Flüchtlingen" und verweist auf die jüngste Lage-Einschätzung des UN-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR). Im Dezember 2016 hatte das UNHCR auf eine Anfrage des Bundesinnenministeriums betont, dass sich die Sicherheitslage innerhalb der vergangenen Monate "noch einmal deutlich verschlechtert" habe.  Weiter heißt es, das gesamte Staatsgebiet Afghanistans sei von einem "innerstaatlichen bewaffneten Konflikt" im Sinne des europäischen Flüchtlingsrechtes betroffen. Eine Unterscheidung zwischen "sicheren" und "unsicheren" Gebieten macht das UNHCR aufgrund der sich ständig ändernden Lage nicht.

Zweite Sammelabschiebung 

Die Kontroverse um die Abschiebepraxis geht weiter, auch im Vorfeld der zweiten Sammelabschiebung an diesem Montag (23.01.). So sagte der schleswig-holsteinische Innenminister Stefan Studt (SPD) in einem Zeitungsinterview, eine Rückkehr der Flüchtlinge "in Sicherheit und Würde" sei nicht gewährleistet. Pro Asyl bezeichnete die Abschiebung in einer Pressemitteilung explizit als Tabubruch. "Erstmals werden mit Billigung von christdemokratischen, sozialdemokratischen und grünen Landespolitikern Schutzsuchende in einer Sammelabschiebung in ein Kriegs- und Krisengebiet abgeschoben - wider alle Fakten, wider besseres Wissen." Dem Bundesinnenminister und den abschiebenden Bundesländern wirft die Organisation vor, die Lageeinschätzung des UNHCR nicht zur Kenntnis zu nehmen.

Thomas de Maizière bei einer Pressekonferenz
Thomas de Maizière verteidigt die Abschiebepraxis gegen alle KritikBild: picture-alliance/dpa/K. Nietfeld

Die "Etikettierung junger, alleinstehender Männer" oder "Straftäter" verurteilt Pro Asyl scharf. Damit solle eine Hemmschwelle gesenkt und mehr gesellschaftliche Akzeptanz geschaffen werden. "Auch Abschiebungen von jungen, alleinstehenden Männern oder Straftätern in ein Kriegs- und Krisengebiet sind bedenklich, da die Betroffenen sehenden Auges in eine Gefährdungslage geführt werden."

Jeden Tag ein bisschen sterben

Farid ist kein Straftäter. Fühlt sich aber bestraft. Weil er zurück nach Afghanistan musste. In ein Land, dass ihm fremd ist und in dem er sich weder wohl noch sicher fühlt. "Mein Leben ist in Gefahr. Hier habe ich keine Zukunft." Das sei nicht mehr sein Land, sagt er. Jederzeit würde er den beschwerlichen und gefährlichen Weg nach Deutschland wieder auf sich nehmen, aber die Chancen stehen schlecht. "Ich habe kein Geld mehr, wie soll ich das bezahlen?" Die erste Flucht hatte er mit dem Geld seiner Eltern finanziert.

Rückkehr abgelehnter Asylbewerber aus Deutschland am Flughafen in Kabul
Mitte Dezember 2016 kam die erste Gruppe von Rückkehrern in Kabul anBild: Reuters/O. Sobhani

Jeden Tag am späten Nachmittag geht er zurück auf sein Zimmer. In der Dunkelheit möchte er nicht mehr auf der Straße sein, das sei zu gefährlich, sagt er. Eigentlich träumt er davon, eines Tages eine eigene Familie zu haben. Doch das scheint weit weg. Farid fühlt sich als kaputter Mensch. Die ständige Angst hat ihn müde gemacht, lebensmüde. "Selbst der Tod ist besser als hier zu leben. Dieses Leben bedeutet, jeden Tag aufs Neue zu sterben."