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Heldin oder Selbstdarstellerin?

Ina Rottscheidt11. November 2005

Im Zusammenhang mit der Enttarnung einer US-Spionin war sie als Märtyerin für die Pressefreiheit gefeiert worden. Jetzt muss die Reporterin der "New York Times" Judith Miller ihren Hut nehmen.

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Pressefreiheit erfolgreich eingeschränktBild: AP
Kalenderblatt New York Times
New York TimesBild: AP

Monatelang hatte die "New York Times"-Redaktion hinter Judith Miller gestanden, dann bröckelte der Rückhalt: Sie könne nicht weiter als Reporterin für das Blatt arbeiten, nachdem "sie selbst zur Nachricht geworden sei", schrieb die 57-jährige Pulitzer-Preisträgerin zum Abschied. Sie konnte ihn nur als Leserbrief in der Zeitung unterbringen - denn diese hatte sich geweigert, Millers Stellungnahme auf der Meinungsseite zu veröffentlichen.


Millers Abschied waren heftige Auseinandersetzungen über ihre umstrittene Rolle in der "CIA-Affäre" voraus gegangen: Im Sommer war sie 85 Tage in Beugehaft genommen worden, weil sie den Informanten nicht preisgeben wollte, der zwei Jahre zuvor die Agentin Valerie Plame enttarnt hatte. Die Veröffentlichung von Informationen zur Identität von Agenten ist in den USA strafbar.

Selbststilisierung als Kämpferin

Lewis Libby, CIA- Enttarnungsskandal
I. Lewis 'Scooter' Libby - die undichte Stelle?Bild: AP

Andrew Denison, Direktor des Forschungsverbundes "Transatlantic Network, bezweifelt die ehrenhaften Motive der Journalistin: "Vielleicht wollte Miller sich als glühende Kämpferin für die Pressefreiheit aufspielen, schließlich hat sie ihren Informanten Lewis Libby, den Stabschef von US-Vizepräsident Cheney, später doch verraten." Dieser gilt als Schlüsselfigur bei den Vorbereitungen der USA für den Irakkrieg, der wiederum in engem Zusammenhang mit der CIA-Affäre steht: Plames Ehemann, der ehemalige US-Botschafter Joseph Wilson, hatte der US-Regierung wenige Wochen nach dem Einmarsch vorgeworfen, "unter Vorspiegelung falscher Tatsachen in den Krieg" gezogen zu sein. Der Vorwurf der USA, Saddam Hussein habe versucht, sich 500 Tonnen konzentriertes Uran aus dem afrikanischen Staat Niger zu beschaffen, sei unhaltbar, so Wilson.

Dennoch hatte Bush diese Falschinformation in einer Rede zur Lage der Nation verwendet, in der er dem Irak die Entwicklung von Massenvernichtungswaffen vorwarf. Wilson selbst deutete die Enttarnung seiner Ehefrau als Racheakt des Bush-Lagers: Offenbar hatte Lewis Libby im Juni 2003 von Cheney die Identität der CIA-Agentin erfahren und diese Informationen an verschiedene Journalisten weitergegeben - darunter auch Judith Miller.

Regierung im Umfragetief

Libby wurde daher mittlerweile angeklagt: Bei einer Verurteilung drohen ihm bis zu 30 Jahre Haft. Das Interesse der Öffentlichkeit ist groß. Denison: "Die Amerikaner lieben Gerichtsdramen." Die Anklage sei ein herber Rückschlag für die US-Regierung: "Bush hat jetzt große Probleme. Es wird ihm sehr schwer fallen, irgendetwas seines innenpolitischen Programms nach vorne zu bringen", sagt James Thurber von der American University.

Laut Umfragen vertrauten weniger als 50 Prozent der US-Bürger noch der Integrität der Politiker, fügt Denison hinzu. "Bei einer Verurteilung müssten im Extremfall US-Vizepräsident Dick Cheney, Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und der Präsidentenberater Karl Rove, der ebenfalls Informationen in der CIA-Affäre preisgegeben hat, gehen", vermutet der Politologe.

Dick Cheney fehlt Rückendeckung
Stolpert auch Cheney über die Affäre?Bild: AP
IRAQ EXPLOSIONS Irak Irak-Krieg Militär p178
Krieg unter Angabe falscher Gründe?Bild: AP

Als Miller ins Gefängnis ging, war ihr Ruf stark beschädigt. Sie hatte mehrere Artikel über angebliche Massenvernichtungswaffen im Irak veröffentlicht, die sich später als unkritisch oder falsch heraus gestellt hatten. "Sie hat sich für die Kriegspropaganda instrumentalisieren lassen", sagt Denison. "Man sollte die Beziehungen zwischen Journalisten und Politikern in den USA überdenken."

Von der Heldin zur Propagandistin

Die Redaktion der "New York Times" hatte Judith Miller während ihrer Haft mit glühenden Worten verteidigt und zur Heldin von Pressefreiheit und Unabhängigkeit stilisiert. Doch dann zogen Millers Arbeitsmethoden immer mehr Kritik auf sich und Chefredakteur Keller warf ihr vor, die Kollegen über ihre Kontakte mit Libby in die Irre geführt zu haben. Maureen Dowd, bekannteste Kolumnistin des Blattes, schrieb in einem ätzenden Kommentar, die Zeitung wäre "in Gefahr", sollte Judith Miller auf ihren alten Posten zurückkehren.

Auf ihrer eigenen Homepage bestreitet Judith Miller diese Vorwürfe. Sie sei zum "Blitzableiter für den öffentlichen Ärger über die falschen Geheimdienstberichte geworden, die die USA zum Irak-Krieg geführt hätten". Nach der Trennung von der Redaktion fühle sie sich nun "frei". Sie wolle sich zunächst eine Auszeit nehmen - denn sie fühle sich "wie nach einem 40-tägigen Tsunami der Kritik und Anfeindungen".