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Trends – ein Blick in die Zukunft?

27. November 2011

Die Trendforschung spürt soziale, kulturelle und ökonomische Veränderungen auf. Ihre Ergebnisse sind für Marketing, Produkt- und Medienentwicklung von Bedeutung – eine Wissenschaft, die boomt.

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Matthias Horx, Trend- und Zukunftsforscher (www.zukunftsinstitut.de), Foto: Klaus Vyhnalek
Trendforscher Matthias HorxBild: Klaus Vyhnalek

"Ein Trend ist eine neue Auffassung in Gesellschaft, Wirtschaft oder Technologie, die eine neue Bewegung bzw. Marschrichtung auslöst", so definiert Matthias Horx die aktuellen Entwicklungen unserer Zeit, die er analysiert. Er gilt als einflussreichster Trend- und Zukunftsforscher im deutschsprachigen Raum. Nach einer Laufbahn als Journalist gründete er zur Jahrtausendwende das "Zukunftsinstitut" mit Sitz in Deutschland und Österreich, das heute zahlreiche Unternehmen und Institutionen berät. Sein neues Buch "Das Megatrend Prinzip" handelt von der Art und Weise, wie die großen "Drifts" – von der Globalisierung über die Mobilität bis hin zur sozialen Vernetzung – unsere Welt verändern. Wir haben mit Matthias Horx über sein neues Buch gesprochen.

Deutsche Welle: Herr Horx, wie entstehen Megatrends, was sind die auslösenden Faktoren?

Matthias Horx: Sie entstehen aus dem Zusammenwirken von Fortschritt, Zivilisation und Technologie. Das sind Resultate langfristiger Zivilisationsprozesse. Denken Sie an die Globalisierung, denken Sie an die Verbindungen durch das Internet. Denken Sie auch an den Megatrend Individualisierung und neue Arbeitsformen. Das sind die Ergebnisse des Wirkens der Welt, wenn man so will.

Welche Megatrends bestimmen heute unser gesellschaftliches Leben?

Wir arbeiten in der modernen systemischen Zukunftsforschung mit zwölf Begriffen. Das ist allerdings umstritten. Es gibt auch Institute, die mit zwanzig Begriffen arbeiten. Ich glaube, die wichtigsten kann man in der Globalisierung und in der Konnektivität, eben der technischen Verbindung der Welt sehen. Das Erstaunliche ist nur, dass die meisten Menschen darüber nicht Bescheid wissen. Obwohl sie diese Begriffe kennen, haben sie wenig Ahnung über den Stand oder die Auswirkung der Globalisierung. Die meisten Menschen wissen nicht, dass die Globalisierung eine riesige Erfolgsgeschichte ist und dass heute sehr viel mehr Menschen im Wohlstand leben als noch vor zehn, zwanzig, dreißig, fünfzig Jahren oder dass die Gewalt abgenommen hat im großen Maßstab auf der Welt. Das sind alles großflächige Prozesse, die ich in meinem Buch untersuche.

Wie wichtig sind die Wirtschaftssysteme in der Trendforschung? Ist ein ständiges Wirtschaftswachstum überhaupt denkbar?

Die Frage ist, wie wir Wirtschaftswachstum definieren und ob das nur eine numerische Größe ist. Wir erleben heute ein großes Interesse an neuen Messsystemen. Wachstum ist im Prinzip unbegrenzt. Aber es geht nicht nur um materielles Wachstum. Wir sind stark geprägt von der Industriegesellschaft mit ihren Gütern. Das "mehr", das dort definiert ist, ist natürlich immer ein "mehr" von Gütern und Produkten. Aber das muss nicht so sein. Sie können auch Wachstum mit Dienstleistung, mit Kreativität, mit kulturellen Leistungen generieren. Und dann sind dem Wachstum keine Grenzen gesetzt

Welche Rolle spielen in der Geschichte der Megatrends neue Technologien?

Technologien sind der Auslöser von kulturellen Wandlungsprozessen. Zu jeder Technologie gehört auch immer eine Sozio-Technik. Dieser Prozess verläuft quasi in einer Schleife. Die Technologie ist kein linearer Prozess, in dem einfach alles immer schneller wird. Es gibt auch Einbrüche. Heute leben wir in einer Phase, in der das Internet gewaltige Möglichkeiten hervorruft. Menschen können sich immer mehr miteinander verbinden. Aber uns fehlen oft die Kulturtechniken. Dass man auf Facebook tausend Freunde hat, ist noch nicht unbedingt ein Zeichen von sozialer Verbundenheit, sondern eher von einer elektronischen Isolation. Solche Prozesse dauern immer lange, genauso wie die Leute lange Zeit gebraucht haben, um sich an die Dampfmaschine zu gewöhnen, an die Eisenbahn, oder auch daran, ein Buch zu lesen. Wir brauchen eben Kulturtechniken. Das Buch handelt davon, dass wir in den nächsten zehn, zwanzig, dreißig Jahren neue Kulturtechniken entwickeln müssen, wenn wir Fortschritt und Wohlstand weiter in die Zukunft entwickeln wollen.

Welche Bedeutung hat die sich wandelnde Altersstruktur?

Wir sprechen immer von einer demographischen Katastrophe und dem demographischen Niedergang. Ich definiere das völlig anders. Ich glaube, dass eine ältere Gesellschaft auch reifer werden kann, dass ihre Werte sich positiv verändern können. Das fordert natürlich unsere alten industriellen Lebenssysteme heraus. Also unsere Vorstellungen von Beruf, von Ausbildung und dann Abschluss, Rente und Ruhestand müssen sich ändern. Wir erleben, dass ein immer größerer Anteil der Menschen einen anderen Zugang zur Arbeitswelt entwickelt, der damit verbunden ist, dass man sagt, ich will ja nicht aufhören, ich weiß ja erst mit Sechzig, wie es geht.

Damit sind wir bei dem Stichwort Individualisierung. Welche Rolle spielt sie heute?

Individualisierung ist ein Prozess der Handlungskompetenzen von Menschen. Und da haben wir ein großes Defizit. Wir leben in einer Gesellschaft, die zwar individuelle Entscheidungen für sich reklamiert, aber sie ganz selten verantwortlich ausformen kann. Aber erst dann, wenn wir eine Kultur der reifen, der erwachsenen Individualität entwickeln, kann die nächste Stufe von Fortschritt überhaupt stattfinden. Individualisierung ist der faszinierende und auch der spannendste Trend.

Für welche geographischen Räume gilt das?

Die Kriterien für die Megatrends sind, dass sie tendenziell global sind. Es gibt immer wieder die gleichen Muster. In China, in Indien finden Sie heute ähnliche Individualisierungsformen in den Großstädten wie wir sie in den siebziger Jahren in Europa hatten oder in Amerika. Das geschieht natürlich nicht gleichzeitig. Aber ein Megatrend ist ein in der Kulturentwicklung vorhandenes Moment. Und deshalb setzt es sich früher oder später rund um den Planeten durch.

Trendforschung ist ein umfangreiches Gebiet. Welches sind die wichtigsten Methoden, mit denen Sie arbeiten?

Die Trendforschung basiert auf einer Verbindung der modernen Systemwissenschaften. Zukunftsforschung versucht, die modernen Erkenntnisse der Evolutionstheorie und der Kognitionspsychologie zu verbinden. Es geht es darum, Werkzeuge zu entwickeln, mit denen wir unterscheiden können zwischen dem, was kann man voraussagen kann, und dem, was nicht voraussagbar ist. Das ist die Arbeit des Zukunftsforschers. Dabei geht es im Wesentlichen um Mathematik, um das Auswerten von Studien und um Empirie. Wir machen für unsere Kunden sehr viele empirische Studien, wo wir auch auf die Straßen gehen und schauen, wie sich Menschen verändern.

Das Gespräch führte Gudrun Stegen
Redaktion: Sabine Oelze