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Wohin mit den Häftlingen von Guantanamo?

Arnd Riekmann23. Januar 2009

Das Gefangenenlager Guantanamo soll innerhalb eines Jahres geschlossen werden. Doch wohin sollen die Häftlinge, denen zu Hause Folter und Tod drohen? Ein Interview mit Marianne Heuwagen von "Human Rights Watch".

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Im Hintergrund eine Flagge der USA, im Vordergrund Stacheldraht(10.10.2007/AP)
Eine der ersten Handlungen des neuen US-Präsidenten war es, das umstrittene Lager Guantanamo zu schließenBild: AP

Fokus Europa: Muss nun Europa helfen?

Marianne Heuwagen: Europa sollte helfen, denn die Europäer, allen voran Bundeskanzlerin Angela Merkel, hatten ja schon sehr früh, 2006, gefordert, dass Guantanamo geschlossen werden sollte. Mit so einer Forderung muss man natürlich auch den Amerikanern helfen, so etwas umzusetzen – gerade jetzt, wo eine neue Administration wirklich den guten Willen zeigt, mit dem Unrecht, das die Bush-Administration ja getan hat, und mit dieser Rechtlosigkeit, die sie durch Guantanamo geschaffen hat, aufzuräumen und wieder in den Schoß des Völkerrechts zurückkehren.

Aber viele Regierungen in Europa, auch der deutsche Innenminister Wolfgang Schäuble, sträuben sich, die Gefangenen aufzunehmen. Wie finden Sie das?

Das Problem ist, dass zu wenig unterschieden wird, von welchen Gefangenen hier überhaupt die Rede ist. Es gibt ja nicht nur zwei Gruppen, es gibt drei Gruppen von Gefangenen in Guantanamo. Derzeit sind ungefähr noch 245 Insassen dort. Von diesen 245 Insassen hat die amerikanische Regierung schon vor Jahren 50 bis 70 Gefangene als unschuldig erklärt und sie von allen Vorwürfen frei gesprochen. Die werden auch nie vor Gericht gestellt. Das sind Leute, die regelrecht für ein Kopfgeld an die Vereinigten Staaten verkauft worden sind und die sitzen dort zu Unrecht ein. Ein Unrecht, was wir Europäer geschehen lassen.

Dann gibt es eine zweite Gruppe, die mittlere Gruppe sozusagen, wo noch nicht klar ist, ob sie vor Gericht gestellt werden können oder nicht. Von dieser Gruppe reden wir gar nicht. Und von der dritten Gruppe reden wir auch nicht, das ist nämlich die Gruppe, von denen die amerikanische Regierung sagt: Das sind gefährliche Terroristen, wir haben genügend Beweise. Das sind Leute, gegen die so viele Beweise vorhanden sind, dass ihnen ein ordentliches Gerichtsverfahren gemacht werden könnte. Diese Gruppe meinen wir nicht. Wir meinen, die Europäer - und auch die Deutschen - sollten einige von denjenigen aufnehmen, die unschuldig sind. Und wir sprechen hier von einer ganz kleinen Gruppe, maximal fünf bis zehn Leute. Mehr sind es nicht.

Porträt von Marianne Heuwagen
Marianne Heuwagen ist die Leiterin des deutschen Büros der Menschenrechtsorganisation "Human Rights Watch"Bild: Human Rights Watch

In welchen europäischen Ländern ist denn der Widerstand am größten?

In Deutschland ist es sehr gespalten. Herr Schäuble sträubt sich und Herr Steinmeier hat dem amerikanischen Präsidenten Obama schon Hilfe angeboten. Wir hatten übrigens als Koalition von fünf Menschenrechtsorganisationen im November einen Termin im Auswärtigen Amt, an dem auch zwei führende Mitarbeiter des Innenministeriums teilgenommen haben. Mich wundert dieser öffentliche Umschwung von Herrn Schäuble etwas, denn bis dahin hatten wir nicht den Eindruck, dass von dort erheblicher Widerspruch kommen würde.

Es gibt ein paar Länder wie Holland, die sagen, sie machen das nicht. Aber es gibt auch einige Länder, die sich dazu bereit erklärt haben: allen voran Irland, die Schweiz, Frankreich, Portugal, Schweden und Finnland. Und wenn sie sich vorstellen, dass man nur 70 Personen zu verteilen hat, das würde schon ausreichen, damit diese in Europa untergebracht werden können.

Kann man denn sicher sein, dass von ihnen keine Gefahr ausgeht?

Ja, das sind die Leute, von denen selbst das amerikanische Verteidigungsministerium seit vor Jahren gesagt hat, sie seien unschuldig. Und übrigens ist der Rechtsberater der amerikanischen Außenminister Herr Bellinger vor zwei Jahren selbst durch Europa gereist und hat die Länder gebeten, sie aufzunehmen. Denn die Bush-Administration hätte ja auch gerne Guantanamo geschlossen, wenn sie es denn gekonnt hätte. Das ist sozusagen auch ein Signal in die Vereinigten Staaten hinein, weil man nicht alle von diesen 245 Gefangenen in den USA aufnehmen kann – zumal die Bush-Administration die ja als Bösesten der Bösen diffamiert hatte in der Vergangenheit.

Hören Sie das ungekürzte Interview und weitere Themen in der Sendung Fokus Europa am 22.1.2009 (Link ist angehängt).