1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Hexenjagd heute

1. März 2012

Dass Menschen noch heute als Hexen verfolgt werden - das erscheint kaum vorstellbar. In Teilen Afrikas hat die Jagd auf Menschen mit vermeintlich magischen Kräften zuletzt aber sogar zugenommen.

https://p.dw.com/p/14COC
Ein als Hexe verkleideter Mensch springt - auf einem Besen reitend - am Mittwoch, 30. April 2003, ueber ein Feuer waehrend der Feier der Walpurgisnacht im Harz in Elbingerode. (Foto: AP Frank Drechsler)
Bild: AP

Hartmut Hegeler aus Unna hat ein großes Ziel. Der evangelische Pfarrer und pensionierte Religionslehrer setzt sich dafür ein, Katharina Henot, einer als Hexe verleumdeten Frau, ihre Würde zurückzugeben – und das knapp 400 Jahre nach ihrer Hinrichtung in Köln im Jahr 1627. Hegeler hat einen Antrag eingereicht, in dem er den Stadtrat von Köln dazu aufruft, Henot und andere als Hexen verfolgte Kölnerinnen moralisch zu rehabilitieren. 38 Todesurteile wurden in Köln wegen Hexerei verhängt, unter den Hingerichteten waren auch drei Männer und ein Junge.

Die Aufarbeitung von Hexenprozessen beschäftigt den 65-jährigen Hegeler schon seit über zehn Jahren, er steht in engem Austausch mit ähnlichen Initiativen in anderen deutschen Städten. Ihm und seinen Mitstreitern vom Arbeitskreis Hexenprozesse gehe es um Aufarbeitung, sagt Hegeler, und um die öffentliche Wirkung. "Wenn man genauer hinsieht, sind die Probleme von damals und heute ähnlich. Menschen erzählen schlechte Dinge über andere, mobben sie. Es gibt Folter und Gewalt." Ein Zeichen für die Menschenrechte und die Menschenwürde wolle er mit seinem Arbeitskreis setzen, sagt Hegeler.

Der evangelischen Pfarrer und Religionslehrer Hartmut Hegeler sitzt am Dienstag (07.02.2012) in seinem Haus in Unna am Tisch und zeigt eine farbveränderte Fotografie einer Bronzetafel, die vor dem Rathaus in Winterberg an die Urteile zur Hexenverbrennung erinnert. (Foto: dpa)
Hartmut Hegeler: Kämpfer für die Rehabilitierung von HexenBild: picture-alliance/dpa

Afrika: Lynchjustiz gegen "Hexen"

Wie aktuell Hartmut Hegelers Anliegen wirklich ist, beweisen Fälle aus Afrika. "Gerade um den Jahrtausendwechsel hat es größere Verfolgungswellen in vielen afrikanischen Ländern gegeben: Kongo, Nigeria, Kamerun, Benin und besonders in Tansania", erklärt die Frankfurter Ethnologieprofessorin Iris Gareis. Sie beschäftigt sich mit der historischen wie gegenwärtigen Hexenverfolgung und ist  Mitherausgeberin der Reihe 'Hexenforschung'.  "Allein zwischen 1994 und 1998 sind in Tansania an die 5.000 Menschen als Hexen verfolgt und getötet worden."

Auch im 19. Jahrhundert, so Gareis, gab es in Afrika solche Bewegungen. Das könne man an den Gesetzen der Kolonialmächte ablesen, die eine unkontrollierte Verfolgung von Hexen unterbinden sollten. "Man versuchte, die Hexereifälle vor Gericht zu bringen und  dem Staat dadurch die Kontrolle über solche Prozesse zurückzugeben. Offensichtlich passierte es häufig, dass Menschen gelyncht wurden." Lynchjustiz von aufgebrachten Mobs habe auch in den aktuellen Fällen eine Rolle gespielt. Morde an "Hexen" wurden Ende der 1990er Jahre in Indonesien und Anfang der 2000er Jahre in Indien gemeldet. Mehrere Hundert Menschen wurden dabei getötet. Berichte über einzelne Fälle gab es laut Gareis im 19. Jahrhundert auch in Chile. Verbrennungen von Menschen auf dem Scheiterhaufen, die typische Hinrichtungsmethode bei der europäischen Hexenverfolgung, hätten in Lateinamerika aber nicht stattgefunden.

Ein Accessoire eines Fetisch-Priesters bei einem Voodoo-Festival in Benin (Foto: Katrin Gänsler)
Verfolgungen von Hexen gehen häufig kollektive Krisen wie Epidemien und Hungersnöte vorausBild: Katrin Gänsler

Immer gleiche Dynamiken

Ob nun im Europa des 16. und 17. Jahrhunderts oder in Afrika, Teilen von Asien und Lateinamerika in der jüngeren Vergangenheit: "Die Mechanismen ähneln sich bei den verschiedenen Wellen der Verfolgung", so Hexenforscherin Gareis. Die Beschuldigten seien aufgrund von übersinnlichen Fähigkeiten in der Lage, Mitmenschen zu schaden: ihnen Krankheiten zu schicken, ihre Tiere zu töten oder Ernten zu vernichten – so jedenfalls der Glaube der Verfolger. Ihre Unschuld zu beweisen ist den vermeintlichen Hexen kaum möglich.

Wie aber gerieten diese Menschen überhaupt in Verdacht? Gareis: "Politische Macht oder Reichtum erweckt Misstrauen – jemand könnte verdächtigt werden, nur über magische Kräfte dazu gekommen zu sein." Genausogut sei aber auch armen, vielleicht mittellosen Frauen vorgeworfen worden, dass sie missgünstig seien und anderen ihren Wohlstand neideten. Bei einer Menschengruppe, die sich als Opfer fühlt, müsse daraufhin Konsens darüber bestehen, dass von einer Person eine Bedrohung ausgehe.

Begünstigt wird das durch kollektive Krisen wie Klimakatastrophen, Epidemien und Hungersnöte. So übte nicht selten auch die Bevölkerung Druck auf Obrigkeiten aus, nach erlittenen Schicksalsschlägen doch etwas gegen den vermuteten Unheilsstifter zu unternehmen, erklärt Iris Gareis. In afrikanischen Ländern werden  heute auch vereinzelt Albinos wegen ihres auffälligen Äußeren als Hexen verfolgt, wie Hartmut Hegeler recherchiert hat.

Eine Tanzgruppe tritt während des Voodoo-Festivals am Strand von Ouidah auf (Foto: Katrin Gänsler)
Zwischen Verehrung und Diskriminierung: Voodoo-Festivals werden in Westafrika als großes Event gefeiertBild: Katrin Gänsler

Auch Männer als Hexen verfolgt

Typisch für die frühere Hexenverfolgung in Europa war die Jagd auf Frauen, denen man einen Pakt mit dem Teufel nachweisen wollte. In Europa wurden in der Neuzeit bis 1782 etwa 60.000 Menschen – davon 75 Prozent Frauen und 25 Prozent Männer und Kinder - hingerichtet, die meisten davon in Deutschland: ungefähr 25.000, wie Hartmut Hegeler recherchiert hat. Auch in Skandinavien und der Schweiz gab es Verfolgungswellen, kaum jedoch in Spanien und Italien. Außerhalb Europas variiert die Verfolgung von Männern und Frauen nach Regionen und ethnischen Gruppen. "Mal sind Männer, mal Frauen kompetent für Schadenszauber", erklärt Ethnologin Gareis.

Gedenkstätte zur Hexenverfolgung in Winterberg (Foto: Hartmut Hegeler) ***Das Bild darf nur für den Artikel "Hexenverfolgung damals und heute" vom 1.3.2012 verwendet werden***
In Winterberg steht seit 1993 eine Gedenktafel für die Opfer der Hexenverfolgung in DeutschlandBild: Hartmut Hegeler

Wichtig ist Aktivist Hartmut Hegeler nun vor allem das internationale Interesse. Mit seinem Antrag hat er ein großes Medienecho erzeugt. Er hat Anfragen aus den USA, Japan und verschiedenen europäischen Ländern erhalten. In über zehn deutschen Städten ist seit 1993 eine Rehabilitierung von als Hexen Verfolgten vollzogen worden.

Autorin:Insa Moog
Redaktion: Sarah Hofmann