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Hinter den Kulissen des Bolschoi-Theaters

Kerstin Palzer15. März 2016

Wer nach Moskau reist, möchte meist auch ins Bolschoi-Theater. Am besten Ballett, am besten Schwanensee. Doch Tickets sind rar und teuer. DW-Reporterin Kerstin Palzer empfiehlt eine günstige und interessante Alternative.

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Bolschoi Theater Moskau
Bild: picture-alliance/dpa/U.Mauder

Im Prinzip gibt es Eintrittskarten: Wenn man sich drei Monate vorher darum kümmert oder eine ganze Menge Geld locker macht. Die Karten, die ich von einer auf Bolschoi-Tickets spezialisierten Agentur hier in Moskau angeboten bekam, hätten 250 € pro Stück gekostet. An russischen Feiertagen kann das sogar noch deutlich teurer werden.

Auf Plastiksocken durchs Bolschoi

Ich habe mich stattdessen für ein 6-Euro-Schnäppchen entschieden. Dafür bekomme ich zwar keinen Ballettabend, aber eine Führung durch das Bolschoi-Theater. Und das Schöne - Karten gibt es ganz einfach! Die Führungen werden mittwochs und freitags angeboten. Tickets kauft man an der Kasse am Tag der Tour ab 12 Uhr. Sicherheitshalber sollte man ein bisschen vorher da sein. Sechs Euro kostet die russische, 15 Euro die englische Führung.

Unsere Gruppe trifft sich am Nebeneingang des Theaters. Dann kommt - wie fast überall in Moskau - eine Sicherheitsschleuse. Und wir bekommen alle schicke, knallblaue Plastik-Überzieher für die Schuhe. Ohne die darf sich der schnöde Besucher nicht durch das ehrwürdige Große Theater (bolschoi ist das russische Wort für groß) bewegen. Das ist natürlich abends bei den Aufführungen anders, aber für eine Tour hinter die Kulissen geht es nicht ohne.

Führung durchs Bolschoi-Theater Moskau
Bereit für einen Blick hinter die KulissenBild: DW/K.Palzer

Xenia, eine freundliche Dame, führt unsere Gruppe durch die Hintertür zielstrebig an den eigentlichen Ort des Geschehens. Der große Saal, die große Bühne. 1800 Plätze, dunkles Holz, roter Samt und viel, viel Gold.

Das Bolschoi früher und heute

Das Theater, so wie wir es jetzt sehen, wurde erst im Oktober 2011 eröffnet, zuvor wurde sechs Jahre lang renoviert. Offenbar war das Theater bereits in der Sowjet-Zeit völlig verkommen, Risse hatten sich gebildet, Putz blätterte überall, der Haupteingang und die oberen Ränge mussten gesperrt werden. Selbst offizielle Stellen gaben zu, (allerdings erst nach der Renovierung), dass die Einsturzgefahr des Bolschoi-Theaters vor der Sperrung im Jahre 2005 bei 70% lag.

500 Millionen Euro soll die Renovierung gekostet haben, aber - und darauf legt man in Russland wert - das Ergebnis kann sich sehen lassen. Das Bolschoi ist heute technisch auf dem neuesten Stand, optisch eine perfekte Kopie des Originals aus der Zarenzeit. Die kommunistischen Symbole Hammer und Sichel sind komplett verschwunden, dafür prangt nun wieder überall der doppelköpfige Adler der Monarchie, meistens natürlich vergoldet.

Bolschoi Theater Moskau
Im Theatersaal gibt es 1800 PlätzeBild: picture-alliance/dpa/M.Voskresenskiy

Apropos: Die Vergoldungen soll man auch hier im Bolschoi auf die gute, alte, russische Art vorgenommen haben. Man nehme Wodka, verrühre ihn in Eiweiß und schon habe man den perfekten Kleber für Blattgold! Allerdings, so ergänzt Xenia mit einem Augenzwinkern, habe sie diese Arbeitsweise nie überprüft.

Direkt neben der Bühne ist die Loge, in der Stalin besonders gern gesessen hat. Heute sind es eher reiche Geschäftsleute, die es sich nicht nehmen lassen, auch mal in Stalins Lieblings-Loge zu sitzen, erzählt Xenia. Im Gegensatz zu dem Diktator, der oft heimlich und unerkannt die Aufführungen anschaute, geht es heute um "Sehen und gesehen werden", wenn man zur Abendvorstellung ins Bolschoi geht.

Führung durchs Bolschoi-Theater Moskau
Stalins Loge: Ein Geheimgang verband den Kreml mit dem BolschoiBild: DW/K.Palzer

Orchesterklänge und Kostüme

Xenia führt uns weiter. Vorbei an der Zarenloge (rein kommt man leider nicht) geht es nach ganz oben, quasi auf Augenhöhe mit dem kolossalen Kronleuchter. Er schwebt hoch über dem großen Saal, zwei Tonnen schwer. Währenddessen probt unten das Orchester, und wenn man die Augen zu macht, ist es fast wie ein "richtiger" Besuch im Bolschoi.

Dann geht es in den Bereich, der den Zuschauern normalerweise verborgen bleibt. Die Schneiderei. Fotografieren darf man hier nur an ganz bestimmten Stellen, nämlich dort, wo man garantiert keines der aktuellen Kostüme ablichten kann. Aber gucken kann man, wenn auch nur wenige Minuten. Große Roben, Kopfschmuck, Glitzer und Pailletten und natürlich viele weiße und zartrosa Tutus.

Und dann noch mal eine Treppe höher, wir sind jetzt direkt über dem großen Saal. Hier ist die große Ballett-Probebühne. Mindestens dreißig Tänzerinnen und Tänzer sind da. Unspektakulär in Trainingskleidung, ungeschminkt, verschwitzt. Szenen aus dem Ballett Dornröschen werden geprobt, nur die Nebenrollen, aber schon das ist fantastisch. Etwa 200 Tänzer und Tänzerinnen sind zur Zeit im Ensemble, Tausende bewerben sich jedes Jahr um die Aufnahme.

Am Rande der Bühne ein Klavier, daneben eine ältere Dame, die im Kasernenhof-Ton Kommandos brüllt. Ich finde die Sprünge, Bewegungen, Drehungen perfekt, sie offenbar nicht. Die jungen Tänzerinnen kuschen, nicken, keuchen. Fotos sind selbstverständlich auch hier tabu.

Bolschoi Theater Moskau Ballett
Intrigen, Skandale und große Kunst - das Bolschoi-Ballet mit Primaballerina Svetlana SacharowaBild: picture-alliance/dpa/A.Korotayev

Zaungast bei Ballettproben

Aber wie wunderbar auf einem alten, hölzernen Klappstuhl zu sitzen und den Tänzern bei ihrer Arbeit zuzusehen! Hier wird klarer als bei jeder Aufführung, welch schwere Arbeit hinter der Leichtigkeit steckt. Hier, ohne die Musik des Orchesters, die Scheinwerfer, die Kostüme, fällt auch noch viel mehr auf, wie dünn die jungen Frauen sind. Ich frage flüsternd Xenia und sie sagt, dass die Mädchen höchstens 45 Kilo wiegen, die meisten jedoch weniger.

Als wir die Probebühne verlassen, erzählt Xenia noch, dass eine Tänzerin am Bolschoi mit 38 Jahren in Rente geht, die Männer mit Anfang 40. Das Ensemble des großen russischen Theaters besteht heute nicht nur aus russischen Tänzern. In der jetzigen Spielzeit sind auch Tänzerinnen aus Brasilien dabei und etliche Mitglieder des Balletts kommen aus der Ukraine. Ob das Konflikte gebe im Ensemble? Ob der Krieg in der Ostukraine die Zusammenarbeit schwieriger gemacht habe? Nein, schüttelt Xenia energisch den Kopf, "wir machen hier keine Politik, wir tanzen."