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Hirntumoren bei Kindern

Gudrun Heise
8. Juni 2020

Hirntumoren sind die zweithäufigste Krebsart bei Kindern und Jugendlichen. Nach der Diagnose steht den jungen Patienten statt ungetrübter Kindheit meist ein langer Leidensweg bevor.

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Operation eines Hirntumors MRT
Bild: picture-alliance/dpa/R.Vennenbernd

Nach Leukämie stehen Hirntumoren ganz oben auf der Liste der Krebserkrankungen bei Kindern und Jugendlichen. Laut der Deutschen Hirntumorhilfe  betreffen fast 25 Prozent aller Krebsdiagnosen in jungem Alter Tumore des Gehirns und des zentralen Nervensystems. Im Durchschnitt erkranken die Kinder im Alter von sechseinhalb Jahren daran, Jungen häufiger als Mädchen.

Symptome

Die häufigsten Symptome bei einem Hirntumor sind Kopfschmerzen, Übelkeit und Erbrechen. Aber auch Sehstörungen, Koordinations- oder Gleichgewichtsstörungen können ein erstes Anzeichen für diese Art von Krebs sein. Das trifft auf Kinder genauso zu wie auf Erwachsene.

Unter welchen Symptomen beide Gruppen leiden, ist nicht zuletzt davon abhängig, wo genau der Tumor im Gehirn liegt. Um das herauszufinden, führen Ärzte eine Untersuchung mit Magnetresonanztomographie (MRT) durch.

Anhand der Schichtaufnahmen, die dabei gemacht werden, können Mediziner viele wichtige Details erkennen.

Um die Diagnose Hirntumor zu erhärten, führen Ärzte oft auch noch eine Biopsie durch. Dabei entnehmen sie eine Gewebeprobe, die anschließend mikroskopisch untersucht wird, auch um herauszufinden, ob es sich um einen gutartigen oder um einen bösartigen und aggressiven Tumor handelt, der sich im schlimmsten Fall schnell entwickeln kann.

Alles anders

Kleine Kinder und Jugendliche trifft die Diagnose Hirntumor besonders hart. Eigentlich haben sie ihr ganzes Leben noch vor sich, aber dann ist plötzlich alles anders. Statt Unbeschwertheit und Kindsein stehen Operationen, Strahlentherapie, Chemotherapie oder auch eine Kombination dieser Behandlungsmethoden auf dem Stundenplan.

Es beginnt meist mit einer Operation, um den Tumor möglichst komplett zu entfernen. Abhängig von Größe und Lage des Tumors müssen die Neurochirurgen den Schädel öffnen, eine sogenannte Kraniotomie  durchführen.

Die Gefahr langfristiger Schäden ist dabei sehr groß. Im Gegensatz zu anderen Körperteilen und Organen ist beim Gehirn nicht immer eindeutig, welche Teile welche Funktion haben, selbst wenn die Chirurgen die Schädeldecke öffnen und quasi direkt in die Schaltzentrale schauen können. 

Hören Sie im Podcast-Wissenschaft: Hirntumore bei Kindern

Operationen mit dem Cyberknife

Von relativ harmlos bis lebensgefährlich

Die häufigsten Hirntumoren bei Kindern sind Astrozytome. Sie wachsen relativ langsam und neigen kaum zu einer bösartigen Entwicklung. Können die Operateure einen solchen Tumor restlos entfernen, besteht die Chance einer vollständigen Heilung. Die WHO stuft diese Art von Tumor mit Grad I ein.

Seltenere Arten sind die gefährlichen Medulloblastome  (WHO Grad IV) und Ependymome  (WHO Grad II oder III).

Ependymome machen bei Kindern ungefähr zehn Prozent aller Hirntumorerkrankungen aus. "Sie können an der gesamten Neuroachse auftreten, also sowohl im Gehirn als auch im Spinalkanal, im Rückenmarksbereich", sagt Kristian Pejtler. 

Er arbeitet am Hopp-Kindertumorzentrum Heidelberg (KiTZ).  Der Kinderonkologe hat sich auf die Erforschung von Ependymomen spezialisiert.

"Diese Art von Tumoren ist gegen Chemotherapie relativ resistent. Das macht die Behandlung schwierig und stellt die Ärzte vor große Herausforderungen, zumal viele der Tumoren Rezidive bilden", erklärt Pejtler. "Das Problem ist, dass man nicht immer wieder bestrahlen kann." Ein bis zweimal sei das vielleicht möglich, aber die Strahlentherapie sei sehr limitiert, sagt der Forscher. In manchen Fällen folgt eine Chemotherapie. Diese Kombination müssen die Kinder erst einmal verkraften. 

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Zwei Mediziner entfernen einen Hirntumor
Um Schädigungen zu minimieren sollten nur sehr erfahrene Ärzte Hirntumoren entfernen. Bild: picture-alliance/dpa/J. P. Kasper

Schwierige Entscheidungen

Besonders problematisch ist eine Operation, wenn die Tumoren in der Nähe wichtiger Gehirnareale sind. Dazu gehören etwa Bereiche, die Sprache oder Bewegungen steuern oder auch Areale, die im Bereich des Hirnstamms liegen. "Der beeinflusst alles Mögliche, zum Beispiel die Atmung. In solchen Fällen ist es extrem schwierig, radikal zu operieren. Dann müssen die Mediziner sehr vorsichtig und gut abwägen, wie viel neurologische Defizite man eingehen möchte, um ein Überleben zu sichern und ob es diesen Preis wert ist."

Bei Kindern im Vorschulalter entwickeln sich vielfach erhebliche neuro-kognitive Defizite wie zum Beispiel verminderte Schulleistungen. Die Kinder können sich schlecht konzentrieren. Es dauert länger bis sie den Schulstoff gelernt haben, und sie vergessen das Gelernte schnell wieder. Da kann es sein, dass Mitschüler sie in der Schule wegen ihrer Defizite hänseln. Für krebskranke Kinder ist das eine zusätzliche Belastung.

Kein Todesurteil

Die Diagnose Hirntumor ist nicht zwingend ein Todesurteil. Ganz schlimme Fälle seien sehr selten, sagt Pajtler. Kann der Neurochirurg den Tumor komplett entfernen, liegt die Überlebenschance des Kindes bei etwa 75 Prozent. Das sei viel. "Nimmt man jetzt nur die aggressiven Tumoren, stehen die Chancen wesentlich schlechter, etwa um die 40 Prozent. Wir versuchen, mit den Neurochirurgen und den Radiotherapeuten verschiedene Konzepte zu entwickeln. Über 90 Prozent aller Patienten in der Pädiatrischen Onkologie werden nach klar standardisierten Vorgaben behandelt." 

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Krebskranke Kinder im Krankenhaus
Junge Krebspatienten überraschen Erwachsene oft mit ihrer Tapferkeit. Bild: picture-alliance/dpa/T. Hase

Gefährliche Rezidive

Ein Ependymom könne in manchen Fällen bis zu zehnmal wiederkehren, erläutert Pajtler. "Das heißt: Dieser Tumor wird operiert, mit Strahlentherapie behandelt, und Monate oder Jahre später bekommen die Kinder dann wieder ein Rezidiv. " Entscheidend sei, wie radikal die Chirurgen vorgingen.

Am schwersten ist ein Eingriff mit der sogenannten R-0-Resektion. "Eine solch radikale Operation zielt darauf ab, alle Tumorzellen restlos zu entfernen. Das heißt, dass letztlich keine Tumorzellen mehr vorhanden sind." Dazu müsse der Neurochirurg viel Erfahrung haben. 

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Spezielles Zentrum

Die Neurochirurgen und Kinderonkologen brauchen viel Erfahrung, um Hirnoperationen erfolgreich durchführen zu können. "Deswegen plädieren wir sehr dafür, dass diese Kinder in Zentren behandelt werden, in denen die Mediziner viele von diesen Tumoren sehen und operieren," sagt Pajtler.

Forschung, Diagnostik und Therapie sollen dabei unter einem Dach zusammengeführt werden. So können Erkenntnisse aus der Forschung schneller direkt in die Klinik gelangen und umgekehrt. "So können wir den betroffenen Kindern sehr moderne Therapien zugutekommen lassen". Auch klinische Studien könnten Forscher so früher zugänglich machen.

Leben im Hier und Jetzt

Operation, Bestrahlung über mehrere Monate, Chemotherapie, ständige Übelkeit, Bauchschmerzen, die Haare fallen aus – es ist die Hölle. Aber Kinder sind sehr tapfere Patienten. Meist leben sie den Moment, ohne ein Gestern oder Morgen. Diese Erfahrung macht Pajtler immer wieder: "Es ist sehr spannend, mit Kindern zu arbeiten und auch sehr schön."

Es gebe gute Erfolge und im Gegensatz zur Erwachsenen-Medizin seien die Heilungsraten relativ hoch. Sie liegen bei etwa 80 Prozent. Auch schätzt Pajtler, dass Kinder unglaublich ehrliche Patienten sind: "Das Feedback von Kindern kann sehr hilfreich sein und auch sehr hart. Aber wenn ein Kind in die Klinik kommt und sich freut, dass es dich sieht, dann gibt dir das sehr viel zurück." 

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