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Hiroshima - Ein deutscher Zeitzeuge erzählt

6. August 2011

Vor 66 Jahren fiel die erste Atombombe auf Hiroshima in Japan. Der deutsche Pater Klaus Luhmer hat den Abwurf vor Ort miterlebt. Die Bilder des Grauens brannten sich in sein Gedächtnis. Erinnerungen.

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Haus in Hiroshima (Foto: Klaus Luhmer)
In diesem Haus in Hiroshima erlebte Klaus Luhmer den Abwurf der AtombombeBild: Privatbesitz Klaus Luhmer

Der 6. August 1945 ist ein heißer Tag in Hiroshima. Schon am frühen Morgen beträgt die Temperatur 30 Grad im Schatten. Pater Klaus Luhmer geht im Garten des Noviziatshauses der Jesuiten in Hiroshima auf und ab und betet das Brevier, das Stundengebet. Der gebürtige Kölner lebt hier seit einiger Zeit und arbeitet als Missionar. Plötzlich horcht er auf. Um 8.14 Uhr vernimmt er zunächst das Geräusch einer B29, eines Bombers: "Und dann erschien, was ich absolut nicht verstehen konnte, greller als die Sonne, eine Art Halbkugel. Und ich hatte die instinktive Idee, dass es eine normale Sprengbombe war, die hinter dem nächsten Hügel explodiert war."

Das Haus zitterte und bebte

(Foto: Klaus Luhmer)
Pater Klaus LuhmerBild: Pater Klaus Luhmer

Doch was Klaus Luhmer an diesem Morgen sieht, ist keine Sprengbombe. Es ist die Detonation der Atombombe, vier Kilometer entfernt über dem Zentrum Hiroshimas. Luhmer sucht Deckung im Garten. Er eilt die Treppenstufen hinab, die in den Keller des Hauses führen. Im letzten Moment kann er sich retten: "Als ich diesen hellen Schein sah, kam eine heiße Welle über mich. Und die Druckwelle. Das Haus zitterte und bebte, Dachpfannen kamen herunter wie ein Regen, und alle Fensterscheiben zerbrachen", erinnert sich Luhmer.

Menschen in Hiroshima ahnungslos

Kurz nach der Explosion der Bombe können sich die Menschen in Hiroshima nicht erklären, was passiert ist. Um sich Klarheit zu verschaffen, steigt Klaus Luhmer den Hügel hinter dem Haus hinauf. Von dort oben sieht er, dass ganz Hiroshima brennt. Und er kann noch etwas beobachten. "Der Himmel war klar. Aber plötzlich kamen schwarze Wolken und es fing an zu regnen. Es war ein schwarzer Regen. Er war getränkt von Asche."

Luhmer kehrt kurz darauf ins Haus der Jesuiten zurück. Erste Opfer haben sich bereits aus der Stadt geschleppt. Ihnen hängt die Haut wie Lappen von den Knochen, zum Teil ist der Stoff ihrer Kleidung mit der Haut verschmolzen. Die Patres funktionieren einen Esstisch zum Behandlungstisch um und beginnen damit, die Verletzten zu versorgen. Noch immer können sie sich nicht erklären, was passiert ist. Sie wissen nur, dass Hilfe notwendig ist.

Überall lodern Flammen

Einige Patres machen sich auf den Weg in die Stadt. Scharen von Verletzten kommen ihnen entgegen. Die Stadt selbst bietet ein unvorstellbares Bild. Überall brennt es, Häuser und Geschäfte sind eingestürzt, zwischen den Trümmern liegen Tote und Verletzte. "Da waren dreißig, vierzig Soldaten in voller Uniform, halbverbrannt. Sie haben nicht geschrien und haben auch nicht gewimmert. Sie haben nur Misu, Misu, also Wasser, Wasser gerufen. Wir konnten ihnen helfen, denn es gab direkt nebenan einen Brunnen. Wir konnten ihnen also Wasser geben." Luhmer hält inne, seine Stimme wird lauter: "Aber einer allein, was kann der denn machen? Dutzende, Hunderte Hände waren nötig, um die Leute zu transportieren."

Hiroshima nach dem Abwurf (Foto: AP)
Nichts blieb verschont - so sah es etwa einen Monat nach dem Abwurf ausBild: AP

Zwei Tage lang schuften die Männer. Dann riegelt das japanische Militär Hiroshima hermetisch ab und schickt Soldaten in die Stadt. "Die haben die Aufgabe gehabt, die Leichen, an die sie herankamen, aus den Trümmern zu holen und auf einen großen Haufen zu werfen. Sie haben dann Benzin drüber gegossen und angezündet. Die Menschen gelten als verschollen."

Geruch atomar verseuchter Leichen

Erschöpft kehren die Patres am 8. August in ihr Haus zurück, dort wartet eine ähnliche Aufgabe auf sie. Ein Mädchen aus der Nachbarschaft, dem Luhmer Klavierunterricht erteilt hatte, steht vor ihm. Ihr Vater ist gestorben. Sie bittet Luhmer, die Leiche zu entsorgen. Um der Frau des Verstorbenen diese Arbeit zu ersparen, organisiert Luhmer Stroh und Holz für einen Scheiterhaufen. Dann erfüllt er Mutter und Tochter die Bitte. "Das war ein Pestgestank, den ich mein Lebtag nicht vergessen werde. Und ich konnte auch niemandem klarmachen, wie das war, als dieser völlig atomar verseuchte Leichnam verbrannte." Luhmer hält erneut inne, seine Stimme wird leiser und bekommt einen beinahe überraschten Klang: "Aber man wird gegen all diese Dinge unsagbar abgehärtet, und wie die Menschen nach einer solchen Katastrophe wieder ins Leben zurückfinden, das ist eine faszinierende Geschichte über das menschliche Leben, denn das geht weiter, immer weiter."

Autorin: Silke Ballweg

Redaktion: Matthias von Hein