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Hoffen und Bangen am Río de la Plata

Jürgen Vogt, Buenos Aires29. Juni 2006

Wenn am Freitag in Berlin angepfiffen wird, ist am Río de la Plata 12 Uhr mittags. Die Straßen der Hauptstadt werden leergefegt sein. Albiceleste, das hellblau-weiße Fußballfieber grassiert.

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Gefragt: weiß-blauer FahnenstoffBild: Jürgen Vogt/DW

"Respekt vor Deutschland ja, aber Angst? Nein. Ich vertraue auf die argentinische Mannschaft." Marcelo steht in seinem Kiosk im Stadtviertel Belgrano. Den Kioskbesitzer plagt etwas anderes: "Die Fußballer in Lateinamerika leiden unter der schlechten Ernährung. Das zeigt sich allein schon in der Größe der Spieler." Sein Kunde Serafin nickt: "Die Begegnung am Freitag wird schwer, Deutschland spielt fantastisch." Aber für ihn tut sich der europäische Fußball immer schwer mit dem argentinischen oder brasilianischen Spiel. "Darin liegt unsere Chance", gibt sich Serafin optimistisch.

VW im Spagat

Viertelfinale Deutschland - Argentinien Fanshop für den Kunstliebhaber Foto: Jürgen Vogt
Fanshop für den KunstliebhaberBild: Jürgen Vogt/DW

Das 6:0 gegen Serbien und Montenegro versetzte die Argentinier in den ersten Freudentaumel. Das 0:0 gegen Holland nahm man gelassen hin, die Albiceleste hatte sich ohnehin schon qualifiziert. Als Mexiko jedoch im Achtelfinale in Führung ging, spürte man förmlich, wie Buenos Aires den Atem anhielt. Der Aufschrei bei Maxis Golazo zum 2:1 hallte durch alle Straßen. Abends feierten die erleichterten Fans beim Obelisken das Weiterkommen.

Bei VW Argentina übt man derweil den Spagat. Der Autobauer aus Deutschland ist offizieller Sponsor der argentinischen Nationalmannschaft: "Wir sind nicht gerade glücklich über dieses Viertelfinale, zumal wir gerade unsere Kollegen in Mexiko aus dem Turnier geworfen haben," sagt VW-Ingenieur Hernán Ferrari. Dennoch werden die Bänder am Freitag stillstehen und die Belegschaft vor eigens aufgestellten Großbildschirmen für Argentinien zittern. "Was die Deutschen in den ersten fünfzehn Minuten mit den Schweden gemacht haben, hat uns allen einen Schreck eingejagt," fügt Hernán hinzu.

Aus "praktischen" Gründen: Unterricht fällt aus

Wie bei VW wird am Freitag ab zwölf in allen Betrieben und Büros die Arbeit ruhen. Streiks oder politische Demonstrationen werden unterbrochen oder verschoben. Die Schulen haben nur eine Chance, wenn sie das Spiel zeigen. An der deutschen Pestalozzi-Schule zieht man sich diplomatisch aus der Affäre. Live-Übertragungen waren nicht geplant. Am Freitag wird der Unterricht für die Gymnasiasten um 11:40 Uhr aus "praktischen und technischen Gründen" beendet, so Schulleiterin Claudia Frey-Krummacher. Zwanzig Minuten bis zum heimischen Bildschirm könnten für manche Schüler knapp werden. Wer weiß, wer da aus ob praktischen Gründen überhaupt kommt.

Und bei einer Niederlage? "Fußball ist in Argentinien ein wichtiger Bestandteil der Kultur. Die Menschen werden zwei, drei Tage sehr, sehr traurig sein," sagt Marcelo Aptekmann. Nach Einschätzung des Psychologen erlebt Argentinien derzeit einen WM-Karneval. Der mag sogar bis ins Endspiel andauern, aber irgendwann kommt Aschermittwoch und die Ernüchterung. Dann werden die Argentinier wieder auf ihre Realität stoßen. "Und die sieht für die große Mehrzahl der Menschen nicht gut aus."