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Politik

Begehrte Inseln vor Madagaskar

Friederike Müller-Jung
4. Dezember 2019

Die kleinste misst einen Quadratkilometer, die größte etwa 30. Seit Jahrzehnten streiten Frankreich und Madagaskar um die "Iles Eparses". Es geht um Erdöl, Gas, Korallenriffe und Identität.

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Iles eparses | Emmanuel Macron in Grande Glorieuse
Bild: Getty Images/AFP/J. Witt

Das Wasser ist kristallklar, der Sand fein und weiß. Die verstreuten Inseln im Indischen Ozean - so heißen die "Iles Eparses" auf Deutsch - wirken paradiesisch. Doch die wahren Schätze liegen unter Wasser: "Der Artenvielfalt im Meer ist dort wirklich außergewöhnlich", sagt Marc Troussellier vom französischen Centre National de la Recherche Scientifique (CNRS). Mit rund 100 Kollegen erforscht er derzeit das Ökosystem der Inseln.

"Auf den Inseln gibt es kein Süßwasser, und damit kein Trinkwasser. Menschen konnten sich dort nie niederlassen und die biologische Vielfalt auch nicht zerstören", erklärt er. Das macht die Inseln und ihre Umgebung zu einer wichtigen Referenz, gerade wenn es um Biodiversität und die Auswirkungen des Klimawandels auf den Planeten geht: "Solche Ökosysteme, die uns zeigen wie es ohne menschlichen Einfluss aussähe, sind sehr, sehr selten", sagt Troussellier.

Karte Îles Éparses DE
Die Insel Tromelin im Osten Madagaskars wird auch von Mauritius beansprucht

Enorme Bodenschätze in der Straße von Mosambik

Aber das allein ist nicht der Grund für den Streit um die Inseln. Es geht um Rohstoffe in der Straße von Mosambik, zwischen Madagaskar und dem afrikanischen Festland. Enorme Gasvorkommen machen das Gebiet begehrt - laut Experten bewegen sich die Vorkommen in derselben Größenordnung wie die in der Nordsee oder im Persischen Golf. Auch Erze werden dort vermutet. Es geht aber auch um das Verhältnis zwischen Madagaskar und der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich. Und für Madagaskar geht es um die eigene Identität.

Als Madagaskar 1960 unabhängig wird, hat Frankreich die Inseln kurz vorher abgespalten. Das will Madagaskar nicht akzeptieren und wendet sich an die Vereinten Nationen. In einer Resolution von 1979 fordert die UN-Generalversammlung Frankreich auf, unverzüglich Verhandlungen aufzunehmen - mit dem Ziel, die Inseln an Madagaskar zurückzugeben. Bis heute ist das nicht geschehen.

Iles eparses | Grande Glorieuse
Die "Grande Glorieuse", eine der größten der Iles Eparses, besuchte Emmanuel Macron im OktoberBild: Getty Images/AFP/S. Lautier

"Hier ist Frankreich" - oder doch nicht?

"Es gibt in diesem Gebiet keine international anerkannte Seegrenze", sagt Christiane Rafidinarivo. Die Politikwissenschaftlerin mit madagassischer und französischer Staatsangehörigkeit beschäftigt sich als Gastforscherin an der Universität Sciences Po in Frankreich mit den Iles Eparses. Sie erklärt: "Solange der Status angefochten wird oder zwei Länder dasselbe Gebiet beanspruchen, erkennen die Vereinten Nationen die Seegrenze nicht an."

Doch für die ehemalige Kolonialmacht Frankreich ist klar: Die Inseln sind französisches Gebiet. Bei seinem Besuch auf der größten der Inseln Ende Oktober machte Präsident Emmanuel Macron das deutlich: "Hier ist Frankreich", sagte er. "Macron zu Besuch in Madagaskar", titelten dagegen die madagassischen Zeitungen.

Frankreich und Madagaskar suchen gemeinsam nach einer Lösung

Zu diesem Zeitpunkt laufen bereits die Vorbereitungen für besondere Verhandlungen: Eine gemischte Kommission aus sechs madagassischen und sechs französischen Mitgliedern soll sich der Frage annehmen. Das haben die Präsidenten beider Länder im Mai in Paris beschlossen - ein großer Schritt nach Jahrzehnten des Stillstands: "Zum ersten Mal nach all den Jahren gibt es einen zeitlichen Plan", sagt Expertin Rafidinarivo. "Und zum ersten Mal ist wirklich offen, wie der Austausch ausgehen wird."

Iles eparses | Madagaskars Präsident Andry Rajoelina mit französischem Präsident Emmanuel Macron
Im Mai empfängt Frankreichs Präsident Macron seinen madagassischen Amtskollegen RajoelinaBild: picture-alliance/abaca/P. Gely

Bis zum 26. Juni 2020 soll es eine Lösung geben. An diesem Tag feiert Madagaskar 60 Jahre Unabhängigkeit, der französische Präsident soll als Ehrengast geladen werden. Am 18. November traf sich die Kommission zum ersten Mal in der madagassischen Hauptstadt Antananarivo - ohne konkretes Ergebnis. Der Termin für die nächste Runde in Paris steht noch nicht fest.

"Lebenswichtig für Madagaskar"

Nicht nur deshalb ist Désiré Philippe Ramakavelo enttäuscht. Der ehemalige General und Ex-Verteidigungsminister Madagaskars ärgert sich darüber, dass der Dialog nicht auf Augenhöhe stattfinde. "Für mich ist das ein Fiasko. Von madagassischer Seite nimmt der Premierminister persönlich teil. Von französischer Seite ein Botschafter. Solche internationalen Verhandlungen müssen doch gleichrangig besetzt sein", fordert Ramakavelo im DW-Interview.

Für ihn kann es nur eine Lösung geben: "Zuerst einmal sollte akzeptiert werden, dass diese Inseln zu Madagaskar gehören. Wenn das einmal festgelegt ist, können wir darüber reden, ob wir diese Inseln gemeinsam verwalten und mit wem. Das könnte ja auch Frankreich sein. Wir haben doch freundschaftliche Beziehungen." Gerade wegen der Rohstoffe sei es wichtig, dass Madagaskar die Hoheitsrechte für das Gebiet erhalte, die dem Land zustünden. "Für uns ist das lebenswichtig."

Iles eparses | Straßenszene in Madagaskar
Markt in Ambozontany, im Süden von Madagaskar. Für viele Madagassen reicht das Geld gerade zum ÜberlebenBild: picture-alliance/robertharding/C. Morucchio

Die madagassische Regierung will die Bevölkerung in die Verhandlungen miteinbeziehen und plant ab Montag (9. Dezember) eine dreitägige Initiative: Sie will die Bürger über das Thema informieren und ihre Ansichten erfahren.   

Für den Forscher Troussellier ist vor allem eins wichtig: das besondere Ökosystem der Inseln weiter zu bewahren und zu schützen: "Wir wissen heute, dass der Schutz der Artenvielfalt und die Auswirkungen des Klimawandels über die Interessen einzelner Staaten hinausgehen. Ich hoffe, dass wir die Frage, zu welchem Land diese Inseln gehören, überspringen können und stattdessen direkt daran arbeiten, dieses Ökosystem gemeinsam bestmöglich zu schützen, damit es allen in der Region dient."