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Hoher Preis für billigen Alkohol

Natascha Chtanova14. November 2006

Hunderte Menschen sind in Russland an toxischer Hepatitis erkrankt, nachdem sie gepanschten Alkohol getrunken haben. Eine Reportage aus der Region Pskov, dort wo es sehr viele Vergiftungsopfern gab.

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Die gastroenterologische Abteilung des Pskover Krankenhauses platzt während unseres Besuchs aus allen Nähten. Im langen Korridor sind Betten aufgereiht. Die Kranken leiden an toxischer Hepatitis. Sofort fällt ihre kräftige gelbe Hautfarbe auf. "Fast jeden Tag sterben ein paar", seufzt eine Krankenschwester. Und selbst nach ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus hätten die Erkrankten höchstens nur noch ein paar Jahre zu leben. Ein hoher Preis für billigen Alkohol.

Man würde erwarten, dass die aktuelle dramatische Vergiftungswelle die Menschen aufschrecken würde, und dass diese mindestens für die nächste Zeit auf den günstigen Alkoholrausch verzichten würden. Doch jeden Tag kommen neue Vergiftungsfälle. Zu ihnen gehört auch ein Mann, der während unseres Besuchs von seiner jugendlichen Tochter begleitet durch den Korridor der Abteilung schwankt. Das Problem ist eindeutig ein soziales: Nur 2 der bisher 25 in Pskov an Hepatitis verstorbener Menschen waren berufstätig, 7 der Todesopfer hatten gar keinen festen Wohnsitz.

Polizei vor verschlossenen Türen

Die Giftbrühe, welche die Menschen krank macht, kann man illegal unter der Ladentheke oder bei Privatleuten in ihren Wohnungen kaufen. Die Polizei von Pskov nimmt die Deutsche Welle mit zu einer Razzia, um zu zeigen, wie sie gegen solche kriminellen Produzenten vorgeht. Ein unscheinbares Wohnhaus. Die Beamten poltern gegen eine Wohnungstür, sie wissen, dass da jemand zu Hause ist. Lange macht niemand auf. "Die Leute schinden Zeit, um den Alkohol in die Badewanne zu kippen", regt sich ein Polizist auf. Genauso ist es dann auch: Als die Tür aufgeht, ist nur noch ein penetranter Alkoholgestank übrig.

Trotzdem nehmen die Polizisten zwei Frauen auf das Polizeirevier, eine ältere Frau und ihre offensichtlich geistig behinderte Tochter. Die Tochter hatte kurz vor der Verhaftung einem Jugendlichen eine Flasche des Gebräus verkauft, später versuchte sie vergeblich, sich durch einen Sprung aus dem Fenster der Verhaftung zu entziehen. Der junge Käufer wird als Zeuge verhört. Seine Augen schimmern bereits gelblich.

Die Opfer sind selber schuld?

Michail, unser Begleiter in Pskov, meint, die Vergiftungsopfer seien selber schuld an ihrer Situation, niemand zwinge sie dazu, den billigen Alkohol zu trinken: "Diese Alkoholiker besetzen im Krankenhaus die Betten, und darunter leiden andere Kranke." Michail selbst kauft keinen billigen Vodka, "nur ab 150 Rubel".

Als gepanscht, so sagt man, gelten Vodkaflaschen unter 65 Rubel - umgerechnet 1,90 Euro. Der junge Mann, der beim lokalen Fernsehen in Pskov arbeitet, versteht nicht, wie gesunde erwachsene Menschen anstatt zu arbeiten dem Alkoholismus verfallen können. Er selbst kommt aus einem Dorf, das ein paar Hundert Kilometer von Pskov entfernt ist. Wegen der Arbeit ist er in die Stadt umgezogen. "Wenn es bei uns Arbeit gegeben hätte, wäre ich zu Hause geblieben", sagt er wehmütig.