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Was Filme über Vorurteile offenbaren

Kira Schacht
24. Februar 2019

Filme reflektieren Vorurteile, doch sie prägen sie auch. Werden Asiaten als nerdig dargestellt und Schwarze als angsteinflößend, beeinflusst das die Wahrnehmung dieser Gruppen. Also: Wie stellt Hollywood sie dar?

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Data visualization Hollywood movie sereotypes teaser
Bild: DW

In den letzten Jahren hat Hollywood vermehrt Kritik auf sich gezogen aufgrund des tief verwurzelten Rassismus und Sexismus in der Filmbranche. Sie zeigen sich darin, wer vor der Kamera spielt, wer dahinter die Fäden zieht und auch darin, wie gesellschaftliche Gruppen auf der Leinwand dargestellt werden. Um zu zeigen, wie sich Stereotype in Hollywood entwickelt haben, hat die DW wiederkehrende Storytelling-Motive, sogenannte Tropes, in über 6000 Filmen untersucht, die seit 1928 für die Oscars zur Auswahl standen.

Die Geschichte Hollywoods kennt viele Beispiele von rassistischen Karikaturen. Schwarze und asiatische Menschen sind davon oft betroffen gewesen. Man nehme etwa den Audrey-Hepburn-Film "Frühstück bei Tiffany" mit dem Nachbarn Mr. Yunioshi, dessen krumme Zähne und stereotyper "Engrisch"-Akzent die Parodie eines Japaners darstellen. Er ist bei Weitem nicht das einzige Beispiel.

Mickey Rooney als Mr. Yuinoshi in "Frühstück bei Tiffany"
Mickey Rooney als Mr. Yuinoshi in "Frühstück bei Tiffany"Bild: picture-alliance/Mary Evans Picture Library

Von rassistischen Karikaturen zu bleibenden Klischees

"Rassismus, in der Form von Ausgrenzung aus dem Arbeitsmarkt und stereotypen Rollen, macht die Hollywood-Filmindustrie schon seit ihrer Geburt in den frühen 1900er-Jahren aus", schreibt die Soziologin Nancy Wang Yuen in ihrem Buch "Reel Inequality: Hollywood Actors and Racism". Tatsächlich: In den frühen Tagen Hollywoods erschienen asiatische Charaktere, wenn überhaupt, meist in Form beleidigender Klischees: entweder als mysteriöse, bedrohliche Bösewichte oder als Karikaturen wie Mr. Yunioshi. Zu allem Überfluss wird Mr. Yuinoshi auch noch von dem ganz und gar weißen Amerikaner Mickey Rooney (Titelbild) verkörpert, ist also ein Beispiel für "Yellowface": ein Nicht-Asiate, der geschminkt ist, um wie ein ostasiatischer Mensch auszusehen.

Diese Praxis war früher recht verbreitet in Hollywood. Produktionsteams zögerten, Schauspieler aus Minderheiten zu engagieren. Stattdessen setzten sie Weiße ein, um deren Rollen zu verkörpern. Es wurde ein sich selbst verstärkender Prozess: Soziologen wissen, dass Vorurteile aufgebrochen werden, je mehr Kontakt Menschen aus verschiedenen ethnischen Gruppen zueinander haben. Doch asiatische Menschen waren in den USA historisch oft ausgegrenzt. "Auch heute noch werden die meisten Darstellungen von Asiaten und asiatischen Amerikanern im Film nicht von ihnen selbst erschaffen, sondern von Menschen, die nicht viel über sie wissen", sagt Kent Ono, der die mediale Repräsentation von Ethnien an der Universität Utah untersucht. "Bei denjenigen, die keine asiatischen Menschen kennen, erschafft das eine ganz merkwürdige Idee davon, wie Asiaten sind. Und Asiaten in Amerika wiederum können sich mit den bizarren Abbildern ihrer selbst oft nicht identifizieren."

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Informationen über solche Tropes werden von dem Online-Wiki TVTropes.org zusammengetragen. Nutzer können dort jedes wiederkehrende Motiv dokumentieren, das sie in den Medien beobachten: Welche Fernsehserien behaupten, Elvis sei noch am Leben? Welche Videospiele beinhalten ein gruseliges Kind? Und eben auch: Enthält ein Film asiatische Charaktere, die von Weißen gespielt werden?

Im Jahr 2012 etwa zog der Film "Cloud Atlas" Kritik auf sich, weil viele der nicht-asiatischen Schauspieler für einen Teil der Handlung als Asiaten verkleidet waren. Die Darstellung war nicht als Karikatur gemeint, doch Kritiker argumentierten, dass asiatische Schauspieler diese Rollen hätten spielen sollen: Da es ohnehin deutlich weniger Rollen für asiatische Schauspieler gibt, geschweige denn solche, die über stereotype Darstellungen hinausgehen, sollten weiße Schauspieler keine Asiaten spielen. Diese Diskussion kam etwa auf, als Scarlett Johansson die Hauptrolle in dem Spielfilm zur klassischen japanischen Serie "Ghost in the Shell" übernahm, oder als Tilda Swinton in "Doctor Strange" einen Charakter spielte, der ursprünglich asiatisch war. Die Liste ließe sich fortführen.

Filmszene aus Marvels "Doctor Strange": Tilda Swinton als "Die Älteste". Der Charakter war im Comic ursprünglich asiatisch.
Filmszene aus "Doctor Strange": Tilda Swinton als "Die Älteste" - der Charakter war im Comic ursprünglich asiatischBild: picture-alliance/AP/Marvel/Disney/J. Maidment

Wie die Grafik zeigt, sind viele der derberen Klischees über Asiaten in den 60er- und 70er-Jahren weitestgehend aus den Kinos verschwunden. Ein Motiv, das heraussticht, ist jedoch die "starker Weißer, sanfte Asiatin"-Dynamik: ein starker weißer Charakter mit einer unterwürfigen Asiatin als Partnerin. Dieses Motiv erreichte seinen Höhepunkt erst relativ spät, da vor den 50er-Jahren strikte Zensurregeln im amerikanischen Filmgeschäft Romantik zwischen verschiedenen Ethnien verboten. Als diese Zensur an Macht abnahm, kam dieses Stereotyp auf.

Viele der früheren Stereotypen haben in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts anderen Darstellungen Platz gemacht. In den 70er- und 80er-Jahren führten die Beliebtheit von Bruce Lee und Martial Arts Filmen zum Beispiel dazu, dass das Stereotyp "alle Asiaten können Kampfsport" aufkam. Doch die häufigste Darstellung von Asiaten quer durch alle Medien sei heute die der "Model Minority", sagt Kent Ono: "Diese Charaktere sind Wissenschaftler, Ärzte oder in irgendeinem technischen Beruf. Sie sind gute Schüler, kommen aus guten Familien und haben generell keine wirtschaftlichen Schwierigkeiten." Dieser Trend ist nicht direkt als Trope im TVTropes-Wiki verzeichnet, doch er findet sich zum Beispiel in dem Stereotyp des "Asiatischen Nerds" wieder, das in den letzten Jahrzehnten zugenommen hat.

Ethnische Minderheiten sind in Hollywood meist unterrepräsentiert

Was diese Analyse nicht zeigen kann, ist der Anteil an Filmen, die nicht-stereotype, nicht-weiße Charaktere beinhalten. Diese werden in der Regel nicht im TVTropes-Wiki dokumentiert. Es ist generell schwer zu sagen, ob es heute weniger stereotype Darstellungen gibt als früher. Was Forscher aber durchaus im Blick behalten, ist die Vielseitigkeit der Repräsentation: "Je größer die Bandbreite von Rollen ist, desto weniger entsteht der Eindruck, dass eine Gruppe nur aus einem Stereotyp besteht", sagt Kent Ono. Umgekehrt gilt: Je weniger eine Gruppe auftaucht, desto mehr Gewicht liegt auf den wenigen Charakteren, die es gibt.

Laut dem "Hollywood Diversity Report" der University of California, Los Angeles (UCLA) hat Hollywood noch einen langen Weg vor sich: Der Anteil von Frauen und ethnischen Minderheiten in Besetzung und Besatzung von Filmen steigt zwar stetig, aber nur recht langsam. Obwohl Asiaten zum Beispiel mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung und etwa sechs Prozent der US-Bevölkerung ausmachen, wurden in 2017 und 2018 nur drei Prozent der Filmrollen von Asiaten gespielt. Schwarze Menschen besetzten etwa 12,5 Prozent aller Rollen, was fast an ihren Anteil in der US-Bevölkerung heranreicht. In vielen Fällen stehen schwarze Charaktere allerdings nicht besonders gut da.

Schwarze Charaktere sterben in Hollywood noch immer zuerst

Ähnlich wie Asiaten wurden schwarze Charaktere in den frühen Tagen Hollywoods oft nicht von Schwarzen verkörpert. Tatsächlich tauchten sie ohnehin fast gar nicht auf, außer im Kontext von karikaturistischen Darbietungen von Weißen in Blackface. Diese Praxis stammt aus einer amerikanischen Theater-Tradition, in denen rassistische Stereotypen über Schwarze ein fester Bestandteil waren.

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Blackface gilt heute als inakzeptabel, mehr noch als das asiatische Gegenstück. Es wird daher in Filmen praktisch nicht mehr genutzt, außer als Verurteilung der Praxis: In "Dear White People" zum Beispiel veranstalten Burschenschafter an einer Universität eine Blackface-Party. Der Film sowie die darauf folgende Netflix-Serie nutzen diese Szene als Basis für eine Diskussion über Rassismus an Universitäten in den Vereinigten Staaten.

Doch als die Zahl schwarzer Charaktere und schwarzer Schauspieler in Hollywood stieg, wurden andere Stereotype unweigerlich präsenter. Bis heute werden schwarze Männer oft als Angst einflößend oder wütend dargestellt, schwarze Frauen als laut und frech. Wenn ein Film einen schwarzen Charakter hat, dann ist er vermutlich der schwarze beste Freund. Und wenn Menschen in einem Film sterben, dann ist der Schwarze noch immer oft zuerst an der Reihe. All das ist in den letzten Jahren kaum zurückgegangen, trotz steigenden Bewusstseins für solche Stereotypen.

Wenn Afrika vorkommt, dann ist es mysteriös, gefährlich und unberührt von Zivilisation

Da die DW hauptsächlich Hollywood-Filme analysiert hat, beziehen sich stereotype Darstellungen von Schwarzen meist auf schwarze Amerikaner. Motive, die sich spezifisch auf Afrikaner beziehen, kommen nicht häufig vor, zum Teil deshalb, weil afrikanische Charaktere in Hollywood-Filmen kaum präsent sind. Das häufigste Stereotyp gegenüber Afrika ist jedoch das, was TVTropes-Nutzer das "Dunkelstes Afrika"-Konzept nennen: Filme, die den Kontinent als mysteriös und gefährlich darstellen, als isoliertes Land mit nur begrenzter Verbindung zur modernen Zivilisation. Diese Darstellungsweise kommt jedoch immer seltener vor.

Lateinamerikanische Charaktere werden durch ihren Sexappeal definiert

Lateinamerikaner sind mit etwa 18 Prozent der Bevölkerung die größte ethnische Minderheit in den USA. Als solche bekommen sie ebenfalls eine gehörige Portion stereotyper Darstellungen in Hollywood ab. Ein Blick auf 2682 Filme seit dem Jahr 2000 zeigt: Motive über lateinamerikanische Charaktere beschäftigen sich meist mit deren vermeintlichem Sexappeal. Für Frauen äußert sich das in dem "Spicy Latina"-Trope: Eine temperamentvolle, attraktive Verführerin, die sich zu wehren weiß und dabei immer sexy aussieht.

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Männer bekommen oft die Rolle des Latino-Liebhabers. Die Charaktere bekommen häufig einen spezifischen Look verpasst, mit dem das Aussehen aller Lateinamerikaner generalisiert wird.

Die Stereotypen, die Filme verbreiten, sind für die Gruppen besonders schmerzhaft, die schon historisch oft unter Diskriminierung und Unterdrückung zu leiden hatten. Aber es gibt praktisch zu jeder Gruppe Stereotype, die sich dann auch auf der Kinoleinwand niederschlagen. Und für Menschen, die nicht täglich die Effekte davon spüren, auf solche Bilder reduziert zu werden, verursacht eine falsche Darstellung deutlich weniger Schmerzen.

Deutsche in Filmen sind noch immer oft Nazis

Das häufigste Stereotyp über Deutsche in Filmen ab dem Jahr 2000 ist noch immer, dass alle Deutschen Nazis sind. Kurz dahinter folgt der Charakter des Deutschen Wissenschaftlers. Letzteres stammt wohl von den echten Wissenschaftlern, die während des Nazi-Regimes in die USA geflohen sind - der prominenteste unter ihnen Albert Einstein, der in Ulm geboren wurde.

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Ein kurioses Phänomen ist der Eindruck, die Deutschen liebten Baywatch-Star David Hasselhoff. Im Jahr 1988 veröffentlichte Hasselhoff seine Version des Hits "Looking For Freedom". Ende 1989 trat er damit an der Berliner Mauer auf, nur wenige Wochen nach dem Mauerfall. Das Lied traf den Zeitgeist und war in der Tat eine Zeit lang recht beliebt in Deutschland. Heute wird das Trope von der TVTropes-Community als Sammelbegriff für alle Personen oder Charaktere verwendet, die außerhalb ihres Heimatlandes unerwarteterweise beliebt sind.

Ein britischer Akzent ist klares Anzeichen für Boshaftigkeit

Überraschenderweise ist das dominanteste Stereotyp über Briten nicht der klassische feine Akzent und auch nicht das von der britischen Spießigkeit - obwohl beide ebenfalls auf der Liste stehen. Nein, britische Charaktere scheinen vor allem eine beliebte Wahl für Bösewichte zu sein. Das Phänomen ist so weit verbreitet, dass die britischen Schauspieler Ben Kingsley, Mark Strong und Tom Hiddleston im Jahr 2014 sogar in einer Superbowl-Werbung auftraten, die sich darüber lustig machte.

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Schon ein britischer Akzent scheint genug zu sein, um boshafte Absichten zu vermitteln, selbst bei animierten Charakteren: Die Ägypter in "Der Prinz von Ägypten", der Dreamworks-Fassung der biblischen Geschichte von Moses, klingen in der englischen Sprachfassung britisch, ebenso wie ein animiertes Auto in dem Pixar-Film "Cars 2" sowie die Bösewichte aus "Der König der Löwen", "Kung Fu Panda" oder "Die Hüter des Lichts".

Russen: Stark, grob und von Nicht-Russen gespielt

Russen in Hollywood-Filmen schließlich sind noch immer deutlich von Vorstellungen aus dem Kalten Krieg gezeichnet. Das häufigste Stereotyp ist das des "hart kämpfenden, viel trinkenden, männlichen, flegelhaften" Charakters, wie der dazugehörige TVTropes Eintrag es ausdrückt. Diese Figuren müssen während des Films oft das meiste Elend erdulden, sie werden am stärksten verletzt und leben generell harte, entbehrungsreiche Leben.

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Bild: dw

Im Film werden Russen allerdings erstaunlich oft von Nicht-Russen gespielt. In "Rocky IV" startete der Schwede Dolph Lundgren seine Action-Karriere als russischer Boxer Ivan Drago, Arnold Schwarzenegger in "Heat" oder Viggo Mortensen in "Eastern Promises" sind nur ein paar Beispiele. Während des Kalten Krieges gab es einen nachvollziehbaren Mangel an tatsächlichen Russen in Hollywood. Doch selbst in neueren Filmen bleibt es eines der häufigsten Stereotype rund um russische Charaktere.

Vielfalt zahlt sich aus, aber Hollywood lernt langsam

Laut dem Diversity Report spielen Filme und Serien mit diverser Besetzung deutlich mehr an den Kinokassen ein und werden auch vom Publikum besser bewertet. Die Produktionsteams hätten also allen Grund, das Tempo hochzufahren. Hollywoods Kinoleinwände sind aber noch immer weit davon entfernt, die Vielfalt der Weltbevölkerung - oder auch nur die der US-Bevölkerung - abzubilden. Sowohl vor als auch hinter der Kamera sind Weiße deutlich überrepräsentiert. Auch das beeinflusst, wie stereotype Darstellungen die Filmlandschaft prägen.

Immer wieder gab es in den letzten Jahren Ereignisse, die Hoffnung machen: 2017 gewann etwa Viola Davis als erste schwarze Frau gleich Tony, Emmy und Oscar für ihre schauspielerischen Leistungen in "Fences". 2018 spielte die romantische Komödie "Crazy Rich Asians" als Kino-Hit mit ausschließlich asiatischer Besetzung Rekorde ein, und in der Teenie-Romanze "To All the Boys I've Loved Before" auf Netflix übernahm die vietnamesischstämmige Lana Condor die Hauptrolle.

Screenshot von "To All the Boys I’ve Loved Before"
Lana Condor in der Teenie-Romanze "To All the Boys I've Loved Before"Bild: Netflix

Wie die Zahlen des Diversity Reports andeuten, bewegt sich die Filmwelt nur langsam in Richtung ausgeglichener Repräsentation. "Es gibt immer noch große Hindernisse", sagt Kent Ono. "Und es wird immer Menschen geben, die in der historischen Stereotype-Kiste kramen. Aber ich habe heute mehr Hoffnung als noch vor zwei Jahren. Es gibt großartige, unabhängige Filmemacher, die daran arbeiten, mehr Repräsentation zu schaffen. Und manchmal hört Hollywood sogar zu."

Klicken Sie sich durch unsere interaktive Tabelle mit allen Tropes aus der DW-Analyse.