1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

"Wir müssen die Erinnerung erneuern"

27. Januar 2018

Das Gedenken an Holocaust-Opfer darf nicht zu einem Ritual verkommen, sagt der Historiker Bela Raský vom Wiener Wiesenthal Institut für Holocaust-Studien im DW-Interview. Er will vor allem junge Menschen erreichen.

https://p.dw.com/p/2ra7F
Wiener Wiesenthal Institut für Holocaust Studien
Bild: B. Dudek

Deutsche Welle: Sie leiten das Wiener Wiesenthal Institut. Was sind die Schwerpunkte Ihrer Einrichtung? 

Bela Raský: Im Wesentlichen betreibt das Institut Forschung; wir sind ein akademisches Forschungsinstitut. Aber wir machen auch andere Dinge, ganz im Sinne der Idee von Simon Wiesenthal. Er wollte drei Komponenten haben für sein Institut: Forschung, Dokumentation und Vermittlung. Sein wirkliches Bestreben war, alle Fragen des Antisemitismus, der Geschichte des Holocaust, dessen Vorgeschichte und der Nachgeschichte, aber auch die Geschichte anderer Genozide, die Geschichte des Nationalismus, die Geschichte des Rassismus, an einem Ort zu erforschen, zu dokumentieren und zu vermitteln. 

Was ist in diesem Kontext mit Dokumentation gemeint?   

Die Dokumentation ist im Wesentlichen das Archiv des Hauses. Dieses Archiv besteht aus zwei Teilen. Das eine sind die ganzen Unterlagen und Dokumente von Simon Wiesenthal aus der Zeit von 1946 bis zu seinem Todesjahr 2005. Das wird gerade aufgearbeitet, dokumentiert, digitalisiert, archiviert. Die zweite Säule sind alle Holocaust-bezogenen Dokumente der Jahre 1938-1940, die wir von der Israelitischen Kultusgemeinde in Wien bekommen haben. Und das wird auch gerade aufgearbeitet.

Dr. Bela Rasky,  Geschäftsführer des Wiener Instituts für Holocaust Studien im Archiv des Instituts
Bela Rasky ist Geschäftsführer des Wiener Instituts für Holocaust-StudienBild: B. Dudek

Wie funktionieren Vermittlung und Forschung? 

Vermittlung ist unsere Vortrags- und Konferenztätigkeit. Aber das zentrale Element ist Forschung. Jährlich kommen acht Forscherinnen und Forscher aus aller Welt nach Wien. Sie schlagen ein Thema vor, werden ausgewählt und können dann hier ein Jahr lang forschen - vollkommen frei, vollkommen unbehelligt. Sie müssen gewisse Sachen für uns machen, aber das sind einfach akademische Tätigkeiten.

Den Namen Simon Wiesenthal verbindet man normalerweise immer noch mit der Jagd auf Nazi-Täter. Inwiefern gilt das für Ihr Institut?

Das tun wir absolut nicht. Das heißt nicht, dass wir nicht Anfragen oder Ähnliches beantworten, weiterleiten, eine Hilfestellung geben. Aber es war auch die Idee von Simon Wiesenthal am Ende seines Lebens: Er wusste, dass sowohl Täter als auch Opfer über kurz oder lang tot sein werden. Und er hat sich Gedanken gemacht über die Zukunft des Erinnerns, wie auch unser Museum heißt. Wie wird das, wie kann man das gestalten, dass es nicht verloren geht - auch ohne die Täter vor Gericht zu bringen. Und auch ohne das, woran sich die Opfer erinnern können. Sein zentrales Anliegen war die Forschung: Wie ist es dazu gekommen, was ist die Nachgeschichte, wie kann man noch andere Genozide einbeziehen? Wie kann man eine Möglichkeit des Vergleiches, eine Möglichkeit des Lernens, bieten? In diesem Sinne klingt es vielleicht manchmal enttäuschend, aber wir jagen keine Nazis.

Mit der "Alternative für Deutschland" (AfD) ist nun eine Partei im Bundestag vertreten, die am rechten Rand des politischen Spektrums steht. Ein Politiker dieser Partei nannte das Holocaust-Mahnmal in Berlin "ein Denkmal der Schande". Hat die Erinnerung noch Zukunft?

Es ist absolut wichtig, dass diese Erinnerung bleibt. Ich glaube aber auch, dass wir sie umbauen müssen. Wir sind an die Grenzen gestoßen. Wir müssen achtgeben, dass sie nicht zu einem Ritual verkommt. Ich habe manchmal den Eindruck, dass am 9. November zur Erinnerung an die "Reichskristallnacht", oder am 27. Januar, am Tag der Befreiung von Auschwitz, automatisch immer wieder dieselben Reden kommen. Jeder weiß das und jeder schaltet einfach ab. Es wäre unsere Aufgabe, diese Form der Erinnerung zu erneuern, so dass wir auch Menschen erreichen, die vielleicht gar nicht so sehr involviert sind. 

Da gibt es in Österreich schon einige gute Schritte, gerade auch in der Schulvermittlung. Wir wollen weg von diesem ritualisierten Gedenken. Wir wollen hin zu etwas, was auch junge Menschen und auch jene, die weniger beteiligt sind, überrascht, wirklich zum Nachdenken bringt. Es muss wirklich neue Wege geben. Und es gibt sie gerade in Deutschland: Die Gedenkstätten-Pädagogik ist ein phänomenal gut durchdachtes, sehr modernes, sehr ansprechendes Konzept.

Sie sind Österreicher. Gibt es Unterschiede in der Erinnerungskultur zwischen Deutschland und Österreich?

Hier bin ich vielleicht sehr ungerecht: Die österreichische Erinnerungspolitik ist sehr oberflächlich geblieben. Ich merke, dass man in Deutschland zutiefst ehrlich ist, und das ist sozusagen in die DNA eingebettet. Man weiß alles genau. In Österreich habe ich den Eindruck, dass dies oft ein Lippenbekenntnis ist. Wenn es einem wirklich wehtut, und wenn man tiefer gehen muss, dann glaube ich, ist ein sehr dünner Lack da. Der ist sehr korrekt, sehr gut, aber ich habe ein wenig Angst, dass dieser Lack auch sehr schnell abspringen wird.

Porträt eines Mannes, der eine Brille trägt
Bartosz Dudek Redakteur und Autor der DW Programs for Europe