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Holocaust - Wider das Vergessen

16. Januar 2002

Es wird noch lange andauern, bis der Prozess der NS-Historisierung abgeschlossen ist. Die erste große Holocaust-Ausstellung in Berlin möchte ein weiterer Meilenstein auf diesem Weg sein.

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"Inferno" (1946), eine Skulptur von Fritz Koelle für die KZ-Gedenkstätte DachauBild: AP

Am 20. Januar 1942 beschlossen Beamte des nationalsozialistischen Regimes unter Leitung des Chefs der Sicherheitspolizei, Reinhard Heydrich, die so genannte "Endlösung der Judenfrage". Eine Villa am Berliner Wannsee war der Ort, an dem die Konferenz stattfand, die allgemein als die organisatorische Grundlage des Völkermordes an sechs Millionen Juden betrachtet wird.

Jan-Philipp Reemtsma, dessen Wehrmachtssausstellung erst vor wenigen Tagen zu Ende gegangen ist, hatte die künftig unentwegte Wiederkehr des Themas NS-Zeit prognostiziert. Die Besucherzahlen seiner Ausstelllung geben ihm Recht: rund 47.500 Interessierte waren gekommen.

Die "Endlösung" und ihre neue Darstellung?

Das Deutsche Historische Museum (DHM) in Berlin zeigt nun eine große Ausstellung über den Holocaust - die erste dieser Art in Deutschland. "Holocaust - Der nationalsozialistische Völkermord und die Motive seiner Erinnerung" dokumentiert 60 Jahre nach der berüchtigten Wannsee-Konferenz die Deportation und Ermordung der Juden Europas. Spät, wenn man bedenkt, dass andernorts auf der Welt längst Holocaust-Museen existieren.

Der Historiker Hans Mommsen hatte vor einer zu stark spezialisierten Darstellung des Holocausts gewarnt hatte, wie sie von britischen und amerikanischen Historikern seit einigen Jahren betrieben werde. In der "Süddeutschen Zeitung" (14.01.2002) stellte er vor allem folgende Forderung an die Ausstellung im Kronprinzenpalais: Der Eindruck, der Holocaust habe sich "fern im Osten" abgespielt, müsse endgültig ausgeräumt werden.

Ausgrenzung, Vertreibung und Vernichtung

Die Ausstellung, die das DHM gemeinsam mit der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz, der Stiftung Topographie des Terrors, mit dem Deutsch-Russischen Museum Karlshorst und der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten vorbereitet hat, zeigt neben dem brutalen Völkermord auch auf, wie man sich in Deutschland und im Ausland nach 1945 mit dem Holocaust als Teil der deutschen Geschichte auseinandergesetzt hat.

Im Treppenaufgang des Konprinzenpalais vermittelt eine Collage von Fotografien einen Eindruck von der kulturellen Vielfalt jüdischen Lebens im Europa der ersten drei Jahrzehnte des vergangenen Jahrhunderts. Veranschaulicht werden soll vor allem die Assimilation der in Deutschland lebenden Juden zum Beginn des Ersten Weltkrieges. Neben Alltagsgegenständen zeugen Fotografien und Feldpostbriefe jüdischer Kriegsteilnehmer von deren Leben an der Front – und von ihrer patriotischen Involviertheit.

Andere Dokumente berichten vom fortschreitenden Antisemitismus, der schließlich in der Vernichtungspolitik gipfelte. Vor der brutalen Umsetzung der in Berlin beschlossenen "Endlösung der Judenfrage" allerdings soll der Gang durch die Ausstellung dem Betrachter sämtliche Aspekte und Stationen des Holocausts näher bringen.

Positionen im Nachkriegsdeutschland

Der zweite Teil der Ausstellung widmet sich dem Umgang mit dem Holocaust in Deutschland nach 1945: politische, juristische und gesellschaftliche "Vergangenheitsbewältigung“ werden gezeigt - endend mit der aktuellen Problematik der Entschädung von NS-Zwangsarbeitern. Auch die künstlerische Auseinandersetzung mit dem Holocaust in Bildender Kunst, Literatur, Theater und Film ist ein Aspekt der Schau.

Entscheidend war es für die Ausstellungsmacher - außerhalb der deutschen Sicht auf die Gräueltaten der NS-Verbrecher - auch ausländische Gedenkstätten und Museen mit ihrer Perspektive auf den Völkermord zu integrieren. So legt beispielsweise im letzten Raum das US-amerikanische Holocaust Memorial Museum in Washington seinen Schwerpunkt auf die Befreier-Rolle der USA. Die israelische Gedenkstätte Yad Vashem fokussiert die Entstehung des Staates Israel als indirekte Folge der Shoa.

Einzigartig will die Ausstellung darin sein, die unterschiedlichen Formen der Erinnerung an die Katastrophe zu thematisieren. Dass der Holocaust vor der eigenen Haustür begann, überall in Deutschland - koordiniert und organisiert in Berlin - kann, wer Augen hat, nicht mehr leugnen (cg).

Vom 16. Januar bis zum 9. April 2002 ist die Schau des Deutschen Historischen Museums im Berliner Kronprinzenpalais zu sehen.