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Virtuelle Patienten

Ingo Wagner22. Dezember 2006

Wie trainieren eigentlich junge Chirurgen ihr Können? Am Patienten, lautete bisher die wenig beruhigende Antwort. Das soll nun anders werden.

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Computersimulation Schwerverletzter
Ein Schwerverletzter in 3-DBild: RHTH Aachen

Vor dem Können kommt das Lernen. Viele junge Chirurgen sind bei ihren ersten Operationen ihres Könnens noch unsicher. Die fehlende Erfahrung wird zwar durch die Begleitung erfahrener Ärzte ausgeglichen, doch die wenigsten Patienten möchten sozusagen als Übungsmaterial angehender Chirurgen dienen. In Aachen wird ein virtueller Operationssaal entwickelt, in dem der medizinische Nachwuchs unter realistischen Bedingungen erste Erfahrungen mit Operationen erwerben kann.

Stereobrille und Skalpell

Computersimulation Forschungsgruppe VR der RWTH Aachen Virtueller OP-Saal Forschungsleiter Torsten Kuhlen Rechenzentrum RWTH Aachen
Üben, üben, übenBild: RHTH Aachen

Der Informatiker Torsten Kuhlen ist Leiter des Forschungsteams des Rechen- und Kommunikationszentrums der Technischen Hochschule Aachen, das für die Entwicklung des virtuellen Operationssaals zuständig. Inzwischen haben die Forscher ein erstes Modell geschaffen. "Man muss sich das so vorstellen, dass der Chirurg vor einem echten OP-Tisch steht, in den eine Art Videobeamer eingebaut ist", erklärt Kuhlen. "Zusammen mit einer Stereobrille, die der Chirurg auf der Nase hat, erzeugt der Beamer so ein quasi-holographisches Bild. Der virtuelle Patient liegt wie ein Hologramm vor einem auf dem Tisch."

Der Operateur soll im virtuellen OP natürlich möglichst realistische Bedingungen vorfinden. Dafür genügt es aber nicht, wenn nur Organe, Knochen, Muskeln und Sehnen wirklichkeitsgetreu nachgebildet werden. Auch die unterschiedlichen Schichten der menschlichen Haut müssen stimmen, wenn der Chirurg in das Gewebe schneidet. Und beim Schneiden selbst soll der Operateur selbstverständlich den gleichen Widerstand spüren, wie bei einem echten Eingriff. Aber auch dafür haben die Wissenschaftler eine Lösung gefunden. Wenn der Chirurg in der virtuellen Welt am OP-Tisch steht, hat er noch ein kleines Gerät vor sich, das aussieht wie ein Roboter. An der Spitze des kleinen Roboters ist eine Art Skalpell montiert. Dieses kann der Chirurg dann in die Hand nehmen und damit durch die virtuelle menschliche Haut schneiden. Dabei erzeugt der kleine Roboter einen Widerstand, der genau dem entspricht, den echte menschliche Hautschichten erzeugen würden.

All diese Voraussetzungen zu erfüllen und aufeinander abzustimmen, stellte für Torsten Kuhlen und seine Mitarbeiter ein beträchtliches Problem dar. "Zum einen müssen wir, um zum Beispiel das Gewebe simulieren zu können, komplexe Mathematik anwenden und zum Teil auch neu entwickeln. Zum anderen haben wir das Problem, dass diese dann auch noch sehr schnell gerechnet werden müssen, bis zu 60 mal pro Sekunde, weil die Simulation ja in Echtzeit passieren muss."

"Beliebig tief"

Virtuelle Realität wird heute häufig in der Medizin eingesetzt. Auch und gerade bei der Ausbildung. Organe nachzubilden, damit junge Ärzte sie studieren können, gehört längst zum Alltag. Auch der Verlauf von Operationen wird bereits häufig mithilfe der virtuellen Realität geplant. Die Informatikerin Lenka Jerabkova ist jedoch davon überzeugt, dass das Aachener Projekt den etablierten Systemen überlegen ist. "Was aber noch nicht realistisch möglich ist, ist das Schneiden von Gewebe. Und zwar Schneiden an einer beliebigen Stelle entlang einer beliebigen Kurve, beliebig tief, also so, wie das bei einer klassischen Operation möglich sein sollte."

Der virtuelle Operationssaal könnte die Ausbildung junger Ärzte deutlich verbessern. Wenn Chirurgen die Möglichkeit hätten, Operationen bis zur absoluten Sicherheit in der virtuellen Realität zu üben, würde das auch mehr Sicherheit für die Patienten bedeuten und zugleich zu einer deutlichen Verkürzung der Operationsdauer führen. Und das ganz besonders bei Krankheiten, die nicht so häufig vorkommen und mit denen gerade junge Mediziner daher wenig Erfahrung haben.

Dieses Problem war auch für Timm Wolter vom Universitätsklinikum Aachen der Grund, warum er einen virtuellen OP wollte. "Die andere Frage ist natürlich auch, dass man an einer Universitätsklinik relativ viele junge Leute hat, die ausgebildet werden sollen, aber das Patientengut natürlich auch begrenzt ist", sagt Wolter. "Manche Eingriffe, die eigentlich Standard sein sollten, werden an Unikliniken wenig durchgeführt." Im virtuellen OP könnte man solche Eingriffe beliebig oft trainieren. Auch neue Operationsmethoden könnten dann unter wirklichkeitsgetreuen Verhältnissen getestet und weiterentwickelt werden. Doch bis es so weit ist, wird es noch einige Jahre dauern. Zurzeit arbeiten die Aachener Wissenschaftler noch an ihrer Technologie. Mit den ersten Übungsoperationen im virtuellen Operationssaal ist frühestens in fünf Jahren zu rechnen.