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Politik

Horrortaufe schockt Rumänien

10. Februar 2021

In Rumänien starb ein Neugeborenes bei einer Taufzeremonie. Die Tragödie löste im Land eine Debatte über die altertümlichen Praktiken und die umstrittene Rolle der Orthodoxen Kirche in der Gesellschaft aus.

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Kerzen
Grausame Tauftragödie hat in Rumänien eine Debatte über die umstrittene Rolle der Orthodoxen Kirche ausgelöstBild: picture-alliance/Panther Media/F. Salimi

Der Priester tauchte das sechs Wochen alte Baby dreimal vollständig in das Wasser des Taufbeckens. Zuerst schrie es noch, dann wurde es immer matter und hatte blaue Lippen. Die besorgten Eltern riefen einen Notarzt, dann kam es auf die Intensivstation eines Krankenhauses. Dort starb es am nächsten Tag. Bei der Autopsie seien 100 Milliliter Wasser in den Lungen des Babys gefunden worden, sagte ein Arzt.

Es war eine Horrortaufe, die am letzten Januar-Sonnabend in der nordrumänischen Großstadt Suceava stattfand und grausam endete. Die verzweifelten Eltern wurden seither von zahlreichen Medien interviewt. Gegen den Priester, der die Taufzeremonie vornahm, ermittelt die Polizei nun wegen Totschlags.

Russland Taufbecken in einer orthodoxen Kirche
In der Orthodoxen Kirche wird der Täufling oft vollständig in das Taufbecken getaucht - hier ein Bild mit Taufbecken und Weihwasser in einer Kirche in Wologda, RusslandBild: Vladimir Smirnov/TASS/imago images

Der Fall ist schrecklich genug, um große mediale Aufmerksamkeit zu erregen. Doch die rumänische Öffentlichkeit sieht in der Horrortaufe von Suceava mehr als nur einen schockierenden Einzelfall. Der Tod des Babys infolge der Taufe hat im Land eine heftige Debatte über die Art und Weise von Taufzeremonien ausgelöst. Unter anderem unterzeichneten über 60.000 Menschen eine Petition, in der die Abschaffung des Untertauchens von Babys ins Taufbecken gefordert wird.

Althergebrachte Kirchengläubigkeit

Doch der Fall führte auch zu einer allgemeinen Diskussion über die oft umstrittene gesellschaftliche Rolle der Rumänisch-Orthodoxen Kirche (BOR). "In der Tragödie des Babys aus Suceava", schreibt beispielsweise die bekannte Bukarester Publizistin Ioana Ene Dogioiu, "geht es nicht nur um einen Priester und um die Rituale der Kirche, sondern ganz allgemein um die Gesellschaft".

In Rumänien sind nahezu alle ethnisch rumänischen Einwohner christlich-orthodox. Zwar verorten sich die meisten nicht als streng gläubig. Doch sie sind oft einem christlich-traditionalistischen Denken verhaftet, vor allem in ländlichen Gegenden. Dort ist das Wort des Priesters häufig maßgebend. Aber auch in Städten halten viele Menschen die zahlreichen christlichen Rituale oft gewissenhaft ein - angefangen von der jährlichen Segnung des Hauses bis hin zur Taufe und Pilgerfeiern.

Die Kirchengläubigkeit in Rumänien hat einen komplexen Hintergrund. Unter anderem gab es historisch nie eine Trennung von Staat und Kirche, wie sie westeuropäische Länder seit Beginn der Neuzeit erlebten. Noch in der rumänischen Verfassung von 1923 war die orthodoxe Kirche eine Art Staatskirche mit Vorrang vor allen anderen Kirchen. Insgesamt ist der Einfluss der orthodoxen Kirche im Land bis heute sehr groß. Im Ranking der Institutionen, die das meiste Vertrauen genießen, belegt sie seit Jahrzehnten immer einen der vorderen Plätze.

Skandalbischof Teodosie

Die Rumänisch-Orthodoxe Kirche beansprucht ihrerseits bis heute in vielen sozialpolitischen Bereichen noch immer ein starkes Mitspracherecht oder sogar eine Art Richtlinienkompetenz, vor allem in der Familien- und Bildungspolitik. Sie vertritt dabei häufig antiliberale, christlich-fundamentalistische und antimodernistische Positionen. Und häufig polarisiert sie damit.

Rumänien Erzbischof Teodosie von Tomis
Erzbischof Teodosie gilt als Hardliner der Rumänisch-Orthodoxen KircheBild: Vadim Ghirda/AP Photo/picture alliance

So auch im aktuellen Fall des durch die Taufe gestorbenen Babys. Am lautstärksten machte sich Teodosie bemerkbar, der Erzbischof der Diözese Tomis in Südostrumänien und einer der konservativsten Kirchenführer im Land. In der Öffentlichkeit ist er mit vielen Affären aufgefallen. Er soll einst Securitate-Informant gewesen sein. Mehrfach stand er in den vergangenen Jahren wegen Korruption, Falschaussage und Betrugs vor Gericht, wurde aber immer freigesprochen.

Taufe nur in kaltem Wasser

Forderungen, bei der Taufe statt eines dreifachen Untertauchens von Babys auch ein Bespritzen oder Übergießen mit Wasser zuzulassen, lehnt Teodosie ab. Im rechtsnationalistischen Fernsehsender Antena3 sagte der Erzbischof dazu, das Untertauchen werde seit zwei Jahrtausenden praktiziert und dies werde auch in den kommenden eintausend Jahren so bleiben. Er persönlich taufe Babys nur in kaltem Wasser, da sie so spirituell "sensibilisiert" und sich außerdem später nicht mehr erkälten würden. Indirekt gab Teodosie auch den Eltern die Schuld am Tod des Babys. Es habe beim kurzen Untertauchen gar kein Wasser schlucken können, sondern möglicherweise hätten die Eltern es "überernährt"; es sei dann an der Muttermilch erstickt.

Schon seit Jahren sorgt Teodosie mit haarsträubenden Aussagen für Schlagzeilen, er gilt als Anführer der Kirchen-Hardliner und orthodoxen Fundamentalisten. Die offizielle Position der Kirche im Fall des toten Babys ist etwas nuancierter. Unter bestimmten Umständen sei es zulässig, ein Baby nicht ganz unterzutauchen, teilte der BOR-Sprecher Vasile Bănescu mit. Auch könne eine Taufe bei problematischem Gesundheitszustand verschoben werden.

Kirchenkritischer Diskurs von Intellektuellen

Wie auch in diesem Fall hält sich die Kirchenführung unter dem Patriarchen Daniel bei heiklen Fragen oft bedeckt oder wählt weniger kontroverse Worte. Insgesamt steht sie dennoch eher für einen christlich-fundamentalistischen und antimodernistischen Kurs. So unterstützte die Kirche 2018 tatkräftig ein homophobes "Referendum für die Familie". Es war am Ende mangels Beteiligung von weniger als 30 Prozent zwar ungültig, doch immerhin stimmten dreieinhalb Millionen Menschen für die Initiative. Auch duldet die Kirchenführung seit vielen Jahrzehnten, dass ein Teil des Klerus die christlich-orthodoxe faschistische Legionärsbewegung der Zwischenkriegszeit verherrlicht. Sie war für viele grausame antisemitische Verbrechen verantwortlich.

Rumänien Patriarch Daniel
Patriarch Daniel wurde 2007 zum Oberhaupt der Rumänisch-Orthodoxen Kirche gewähltBild: Robert Ghement/dpa/picture-alliance

Wegen der polarisierenden Positionen und Aktionen der orthodoxen Kirche hat sich in den vergangenen Jahren unter einem Teil der rumänischen Meinungsbildner ein kirchenkritischer Diskurs etabliert, der früher undenkbar war. So etwa thematisieren Kommentatoren und Intellektuelle die Verflechtungen zwischen Staat und Kirche, die Korruptionsaffären von Priestern oder das mangelnde soziale Engagement der rumänischen Orthodoxie.

Auch im Fall des toten Babys forderten mehrere namhafte Publizisten, dass die orthodoxe Kirche endlich im 21. Jahrhundert ankommen müsse. Mit am deutlichsten äußerte sich der 104 Jahre alte und immer noch sehr aktive Philosoph und Essayist Mihai Șora. Er schrieb auf seiner Facebook-Seite: "Ein Neugeborenes ist eine zerbrechliche Kreatur, ein Bündel aus Leben und Licht, kein Fleischklumpen, den man drehen und wenden kann, bis man glaubt, seine 'Aufgabe' erfüllt zu haben."

Porträt eines lächelnden Mannes mit Brille und blonden Locken
Keno Verseck Redakteur, Autor, Reporter