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Köhler: "Wirtschaft muss Entwicklung fördern"

Ute Schaeffer6. Oktober 2013

Die Weltgemeinschaft gibt sich neue Entwicklungsziele - mitentwickelt von Ex-Bundespräsident Horst Köhler. Worauf es nach 2015 ankommt und warum dabei vor allem die Wirtschaft gefragt ist, erklärt er im DW-Interview.

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Der damalige Bundespräsident Horst Köhler sitzt während der Einweihung eines Schulbauprojekts der Deutschen Hungerhilfe in Ruanda zwischen Schülern auf der Bank (Foto: Wolfgang Kumm/dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

DW: Herr Bundespräsident, Sie haben sich als Direktor des Internationalen Währungsfonds und auch in Ihrer Zeit als Bundespräsident sehr für eine "Partnerschaft auf Augenhöhe" zwischen Industriestaaten und Entwicklungsländern eingesetzt. Woher kommt diese tiefe Überzeugung, dass nur eine solch gleichberechtigte Partnerschaft ein gutes Fundament ist, um Entwicklung weltweit voranzubringen?

Horst Köhler: Wir erleben jeden Tag, welche Konflikte es gibt in der Welt, weil jeder scheinbar nur seine Interessen vertritt. Dabei wird übersehen, dass wir inzwischen auf diesem einem Planeten in einem Boot sitzen. Das gilt insbesondere angesichts der extremen Armut, die es in der Welt gibt - angesichts von Not, Elend, Umweltzerstörung, die mit viel Leid für die Menschen verbunden sind. Wenn es da keine Verbesserung gibt, wird das letztlich auch unseren eigenen Wohlstand gefährden.

Jetzt frage ich den Ökonomen: Was sind eigentlich die wirtschaftlichen Abhängigkeiten, aufgrund derer auch Industrieländern Entwicklung ein Anliegen sein müsste?

Die Wertschöpfungsketten, also das Schaffen von Wertschöpfungen in modernen Volkswirtschaften hängt von Zulieferungen aus der ganzen Welt ab. Ich vermute mal, unser Star-Produkt - das Auto - enthält hunderte von Bauteilen aus anderen Ländern. Und wenn diese Zuliefererbeziehungen zum Beispiel durch Naturkatastrophen oder auch soziale Spannungen gestört oder unterbrochen werden, hält das den Wertschöpfungsprozess auf - und verhindert, dass Wohlstand bei uns entsteht. Wir haben also schlicht ein Eigeninteresse daran, dass soziale Stabilität, Arbeit und Einkommen auch in armen Ländern entstehen, weil das unsere eigenen Produktionsprozesse stabiler und nachhaltiger macht und vor Krisen bewahrt.

Neue Entwicklungsziele für die Welt

Ist dann klassische Entwicklungszusammenarbeit - ob bilateral oder multilateral - eigentlich überholt, um Entwicklung voranzubringen?

Nein, sie ist nicht überholt, aber sie muss sich aus alten Schablonen lösen. Schauen Sie, wir haben in dem aktuellen Expertenbericht für die Vereinten Nationen ja versucht, eine neue Entwicklungsagenda nach 2015 zu schreiben. Alle Mitglieder dieses Expertenpanels - 26 Teilnehmer aus allen Teilen der Welt - haben verstanden: Wir müssen gemeinsam die Herausforderungen auf diesem Planeten angehen. Das macht mich doch sehr optimistisch, dass es möglich ist, sich trotz unterschiedlicher Interessen auf eine gemeinsame neue Entwicklungsagenda zu einigen.

Diese neue Agenda, an deren Erarbeitung in der UN Sie beteiligt waren, soll die noch bis 2015 geltenden Millenniumsziele ablösen. Was ist eigentlich so spezifisch neu?

Die alten "Millenium Development Goals" konzentrierten sich auf ganz spezifische soziale Indikatoren. Der bekannteste Indikator war, dass man die extreme Armut bis 2015 halbieren wollte. Die neue Agenda versucht einen umfassenderen Ansatz. Man fragt: Wie müssen die Rahmenbedingungen gestaltet werden, dass zum Beispiel "Hilfe zur Selbsthilfe" wirklich möglich wird? Die wird erst dann besser möglich, wenn wir zum Beispiel ein besseres Handelssystem haben, ein entwicklungsfreundlicheres System. Wenn wir erreichen, ein internationales Finanzsystem aufzubauen, das nicht so krisenanfällig ist wie das derzeitige. Und wenn wir uns auf ein Klima-Regime verständigen, das die weitere Erderwärmung bremst.

Das ist genau die zweite wichtige Neuerung in unserer Agenda: Wir haben nicht nur die soziale Entwicklung im Blick, sondern wollen gemeinsam die Verbesserung der sozialen Entwicklung verbinden mit der Umweltfrage und der Frage, wie wir unsere natürlichen Lebensgrundlagen schützen können.

Welche Rolle kommt denn der Wirtschaft in dieser neuen Entwicklungsagenda zu?

Das Wichtigste ist bei allen Forderungen in Richtung private Wirtschaft: dass die Unternehmen erfolgreich sind. Dass sie Arbeitsplätze schaffen und Einkommen generieren, denn dadurch wird soziale Absicherung möglich. Alleine im Zeitraum der neuen Entwicklungsagenda bis 2030 wird es noch einmal mehr als 400 Millionen junge Menschen auf diesem Planeten geben, die nach Arbeit und Einkommen fragen. Wenn wir diesen jungen Menschen keine Perspektiven geben - das zeigt das Beispiel Nordafrika anschaulich - dann werden sie rebellieren.

Kinder ziehen Plastikkanister über eine Straße in Kampala (Foto: Leylah Ndinda)
Potential - und Perspektive? Fast die Hälfte aller Ugander sind jünger als 15 JahreBild: Leylah Ndinda

Mit der neuen Agenda bleiben wir im Dialog mit den Unternehmen. Schon jetzt gibt es in den UN den sogenannten "Global Compact", wo sich rund 5000 Unternehmen verpflichtet haben, bei ihrem Wirtschaften auch ethische Grundsätze zu beachten. Diesen Ansatz müssen wir noch verbreitern und in unserem Expertenbericht verlangen wir vor allen Dingen von den großen Firmen, dass sie über soziale und ökologische Dinge ihres Unternehmens Bericht erstatten müssen - öffentlich!

In Vielem geht die neue Entwicklungsagenda über die alten Ziele hinaus. Eine Grundversorgung an Wohlstand für alle ist eines der ehrgeizigen Ziele. Wie kann das denn gehen, bei heute sieben Milliarden und im Jahr 2050 voraussichtlich neun Milliarden Menschen auf der Welt, knapperen Ressourcen?

Indem wir das als eine große Herausforderung erst einmal erkennen und nicht den Kopf in den Sand stecken und sagen: "Es wird schon irgendwie gehen". Nein, wir müssen das als eine große Aufgabe verstehen! Es gibt genügend wissenschaftliche Erkenntnisse, die zu der Annahme berechtigen, dass wir Wachstum und Umweltverbrauch bzw. -zerstörung entkoppeln können. Wir müssen das nur konsequent umsetzen!

Wie werden diese neuen Entwicklungsziele kontrolliert?

Zunächst einmal sind das Ziele der Vereinten Nationen und sie sind Grundlage für eine Generalversammlung im Jahr 2015, wo die neuen Entwicklungsziele der Vereinten Nationen beschlossen werden sollen. Und ich halte diesen Ort auch für richtig, weil es ja darum geht, die gesamte Staatengemeinschaft damit zu befassen. Man hat sich verständigt, dass diese neue Entwicklungsagenda jährlich überwacht wird, dass man dort Rechenschaftspflichten auch gegenüber der Zivilbevölkerung definiert. Ich selbst habe vorgeschlagen, dass es neben einem politischen Gremium der Kontrolle auch einen unabhängigen Kreis von Sachverständigen geben soll, der dann die Situation - fachlich, sachlich, unabhängig - bewertet. Diese Rechenschaftspflicht ist für mich ein wichtiger Teil dieser neuen Agenda.

Blick in die Vollversammlung der Vereinten Nationen (Foto: John Moore/Getty Images)
Globales Forum: Die UN-Vollversammlung wacht über die EntwicklungszieleBild: Getty Images

Lassen Sie uns zum Schluss auf die Rolle Deutschlands in diesem Prozess schauen. Gibt es Erfahrungen, ganz konkrete Handlungsfelder, von denen Sie sagen: Da sollte sich Deutschland engagieren?

Unser Konzept der sozialen Marktwirtschaft halte ich im ökonomischen und sozialen Sinn für das richtige Konzept - wenn Sie so wollen auch für die Weltbühne. Es geht darum, zu vermitteln, dass Marktfreiheit immer auch sozialen Ausgleich erfordert und dass sich dieses Prinzip langfristig günstig auswirkt. Darüber hinaus denke ich, dass wir uns in ganz bestimmten Bereichen engagieren sollten - wie zum Beispiel der Berufsausbildung für junge Leute in Afrika. Lassen Sie uns doch die Berufsausbildung dort als Engagement Deutschlands anpacken! Indem wir ein Gemeinschaftswerk der deutschen Wirtschaft, unter Beteiligung natürlich der Regierung, zur Förderung der Berufsausbildung in den Entwicklungsländern gründen. Ich glaube, das ist eine Investition nicht nur für Stabilität und Überwindung der Armut in Afrika, sondern auch eine Investition für Wachstum und Beschäftigung bei uns.

Das Interview führte Ute Schaeffer.