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"Die Regierung ist verantwortlich"

Debarati Guha /ef27. April 2016

Immer wieder werden in Bangladesch liberale und säkulare Aktivisten und Blogger Opfer von Anschlägen - verübt mutmaßlich von Islamisten. Schuld ist das Rechtssystem, sagt Anwältin und Aktivistin Sara Hossein.

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Bangladesch Menschenrechtsaktivistin Sara Hossain (Foto:DW/Debarati Guha)
Bild: DW/D. Guha

Deutsche Welle: Obwohl mittlerweile eine ganze Reihe von Bloggern und Aktivisten ermordet wurden, hat die Polizei bislang kaum jemanden festgenommen. Warum?

Die Ermittlungen zu den Morden an Bloggern, Autoren und Herausgebern in den vergangenen Monaten dauern noch an. Als Bürgerin würde ich sagen, dass wir gern mehr Informationen von den zuständigen Ermittlungsbehörden, den Exekutivorganen und unseren Politikern bekommen würden. Wir wollen wissen, was vor sich geht, darauf haben wir ein Recht. Ich fürchte aber, dass Bürger in Bangladesch nicht mit dem Respekt behandelt werden, den sie verdienen.

Die Meinungsfreiheit in Bangladesch steht insgesamt auf dem Spiel. Andersdenkende werden oft von der Regierung behindert. Denken Sie, dass das Land in den kommenden Monaten oder Jahren eine Lösung für dieses Problem finden wird?

Bangladesch steht in diesem Punkt nicht allein da. Überall auf der Welt wird darüber diskutiert, wie weit freie Meinungsäußerung gehen darf. Natürlich spielt das Thema Sicherheit eine Rolle. Nicht nur in Bangladesch, sondern überall gibt es Drohungen, die eingedämmt werden und vor denen die Menschen beschützt werden müssen. Wieviel Freiheit ist möglich und wieviel Schutz nötig? Tatsächlich ist die Grenze da schwer zu ziehen. Aber ich denke, dass wir uns oft auf der falschen Seite dieser Linie bewegen und zu viele willkürliche und oft vage definierte Restriktionen haben, die dann auch in sehr willkürlicher Art und Weise angewandt werden, oft gegen politische Gegner oder Menschen, die Politiker oder andere wichtige gesellschaftliche Personen kritisieren oder sich über sie lustig machen. Ich denke, wir sollten mehr Redefreiheit und mehr Toleranz zulassen und eine Kultur schaffen, in der es möglich ist, sich auch über unterschiedliche Sichtweisen auszutauschen und sie zu diskutieren, beispielsweise auch über religiöse Ansichten oder Überzeugungen.

Das Hohe Gericht hat einen Erlass abgewiesen, in dem es darum ging den Islam als festgeschriebene Staatsreligion aus der Verfassung zu entfernen. Ist das Thema damit vom Tisch oder geht der Kampf weiter?

Die Verfassung Bangladeschs ist nach dem sehr harten Unabhängigkeitskrieg entstanden. Ihr Entwurf sah nicht nur vor, Säkularismus als grundlegendes Prinzip anzuerkennen und damit keiner Religion einen besonderen politischen Status zu geben, sondern darüber hinaus sollte auch die Meinungs- und Redefreiheit garantiert sein. Es gab lediglich ein paar Einschränkungen bezüglich der öffentlichen Ordnung, Anstand oder Moral. Außerdem sollte das Recht auf Religionsfreiheit beschützt werden. Ich würde sagen, dass die Verfassung noch immer das Recht beschützt, jeder möglichen oder auch gar keiner Religion anzugehören und an sie zu glauben.

Aber nur auf dem Papier.

Ja, die Verfassung existiert auf Papier, und das allein ist schon etwas wert. Aber wir müssen dafür kämpfen, dass sie auch in der Praxis umgesetzt wird. Tatsache ist, dass der Islam einige Jahre nach der Staatsgründung von einem Militärdiktator zur Staatsreligion erklärt wurde – und dass das leider von der gewählten Regierung so weiter übernommen wurde. Und jetzt – nach 20 Jahren - hat das Hohe Gericht eine Infragestellung des Islam als Staatsreligion abgelehnt. Das ist für viele Menschen Anlass zu großer Sorge, die davon überzeugt sind, dass Bangladesch ein sehr wichtiges Beispiel dafür war, zu zeigen, dass Säkularismus nicht nur schriftlich in der Verfassung festgeschrieben war, sondern auch in der Praxis umgesetzt wurde.

Seit Anfang der 90er Jahre haben viele Mitglieder religiöser Minderheiten das Land verlassen. Denken Sie, dass das der Tatsache geschuldet ist, dass der Islam Staatsreligion ist?

Ja, viele Angehörige religiöser Minderheiten, vor allem Hindus, haben Bangladesch seitdem verlassen. Aber man kann nicht sagen, dass sie es vor allem aus diesem Grund getan haben. Da gibt es auch andere Faktoren wie beispielsweise Landenteignung oder gezielte Tötungen.

Wie genau hat das Hohe Gericht dieses Mal seine Ablehnung des Gesuchs begründet?

Sie haben die Petition über eine Infragestellungdes entsprechenden Verfassungszusatzes, in dem der Islam als Staatsreligion festgeschrieben wird, aus rein technischen Gründen abgewiesen. Und zwar, indem sie gesagt haben, das die Menschen, die dieses Ablehungsgesuch geschrieben und vor Gericht gebracht hatten, dazu eigentlich kein Recht hatten. Das ist für mich schwer nachvollziehbar, denn es handelte sich um angesehene Bürger, die im Unabhängigkeitskrieg gekämpft und Bangladesch zu dem gemacht haben, was es ist. Darunter waren auch eine Reihe von ehemaligen Richtern am Supreme Court. Wenn sie nicht qualifiziert sind, bedeutsame Verfassungszusätze in Frage zu stellen, wer ist es dann überhaupt? Ich hoffe, dass die Sache damit noch nicht vorbei ist und dass es in der Zukunft möglich sein wird, die Frage des Islam als Staatsreligion anzugehen.

Aber Kritik an der Regierung führt nur zu mehr Angriffe auf säkulare Kräfte in Bangladesch. Was kann man tun, um daran etwas zu ändern?

Am Ende des Tages ist allein die Regierung dafür verantwortlich, was in Bangladesch passiert. Es liegt nicht in der Verantwortung der Verwandten von Opfern, Gerechtigkeit zu suchen. Wir, die Zivilgesellschaft, sollten aber auch aktiver werden. Wir sollten uns zusammenschließen und eine Plattform gründen, um den Familien der ermordeten Blogger und Aktivisten beizustehen, damit sie rechtlichen Beistand bekommen. Wir sollten unsere religiösen, kulturellen und politischen Unterschiede überwinden und uns dafür einsetzen, dass diese Familien die Gerechtigkeit erfahren, die sie verdienen.

Sara Hossain ist eine Anwältin und Menschenrechtsaktivistin aus Bangladesch. Sie wurde in diesem Jahr mit dem "International Women of Courage"-Preis ausgezeichnet.

Das Interview führte Debarati Guha.