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Konventionelle Bio-Landwirtschaft

30. Januar 2020

Kornblumen oder Kartoffeln? Die wilden Ackerblumen verschwanden mit zunehmender Düngung der Agrarflächen. Der Landwirt eines konventionellen Hofs testet nun Methoden des Ökolandbaus - mit unterschiedlichen Erfolgen.

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Wiese mit Blumen
Bild: Cornel Lindemann-Berk

"Kartoffeln - köstlich und gesund" steht auf dem Schild an der Toreinfahrt. Man könnte das Attribut "rar" noch hinzufügen. Der Slogan entspricht Cornel Lindemann-Berks Philosophie: Klasse vor Masse. "Wir haben im Sommer zu wenig Regen. Da wir nicht bewässern wollen, haben wir aus der Schwäche eine Stärke gemacht."

50 Prozent geringer sind die Erträge als möglich wäre, dafür schmecken auch seltene Sorten wie Bergerac oder Bamberger Hörnchen nicht wässrig, sondern kräftig und sind reich an vielen Mineralstoffen wie Kalium oder Magnesium. Kunden kommen aus der ganzen Region, um die leckeren Erdäpfel im Hofladen zu kaufen. 

Letzten Sommer jedoch freuten sich die Kunden besonders über die üppigen, bunten Blumen am Feldrand vor seinem Hof: Roter Mohn, Blaue Kornblumen, wilde Margeriten und die vielen summenden Insekten. "Die Arten haben zugenommen und die Anzahl jeder Insektenart hat sich um das Vierfache erhöht", erzählt der Agronom. Wissenschaftler hatten den Zuwachs auf dem Blühstreifen erfasst, nachdem gezielt Pflanzen für Insekten und Vögel gesät worden waren. Hier finden die Tiere nun Nektar, Nahrung und Deckung und können sich vermehren.

Hände halten ein Messer und zwei Hälfte einer länglichen rohen Kartoffel, die innen lila ist
Selten, alt, exotisch und doch aus der Region: Lila oder Bergerac-Kartoffeln vom Hof Neu-Hemmerich - für Abwechslung auf dem Teller und zum Erhalt der Sortenvielfalt Bild: DW/K. Jäger

So wird aus konventionell Bio-Landbau

Das Familienunternehmen im Rheinland zählt zu den zehn F.R.A.N.Z-Demonstrationsbetrieben, die in Deutschland von 2017 bis 2027 praxistaugliche und wirtschaftlich tragfähige Naturschutzmaßnahmen neben dem Ackerbau testen und realisieren. F.R.A.N.Z.  steht "Für Ressourcen Agrarwirtschaft und Naturschutz mit Zukunft".

Der Betrieb ist so auf dem Weg zum Ökoanbau. "Im Rahmen des Projektes behandeln wir Flächen weder mit Gülle noch mit Pflanzenschutzmitteln. Doch der Ertrag ist mitunter gleich null, weil Unkräuter wie Disteln und Kletten überhand nehmen", hat der passionierte Landwirt erfahren müssen. Neben einer einzigen Nutzpflanze bilden sich normalerweise 30 unerwünschte Kräuter und Gräser. 

Frechen-Bachem Hof Neu-Hemmerich Feld  Blühstreifen
Wächst und gedeiht: Blühstreifen mit Wildblumen und Kräutern neben dem bewirtschafteten AckerBild: Cornel Lindemann-Berk

Mit Getreide- und Rapsanbau aus seiner Landwirtschaft macht Lindemann-Berk seit Jahren Verluste. Zum Glück aber hat er bereits vor 30 Jahren, als er den Betrieb übernahm, nicht mehr landwirtschaftlich genutzte Gebäude der historischen Hofanlage zu Wohnungen und Büros umgebaut.

Der Getreideanbau sei wichtig im Rahmen der Fruchtfolge. Sie bringt Abwechslung auf die Felder. Der Rheinländer betreibt keinen Monokulturanbau, sondern Fruchtfolgewirtschaft wie vor Jahrhunderten praktiziert. Unterschiedliche Pflanzen an gleicher Stelle gezüchtet, dient der Bodenregeneration und reduziert Krankheits- und Schädlingsbildung.

In anderen Versuchen für F.R.A.N.Z.  hat Lindemann-Berk Mais und Stangenbohnen gemeinsam ausgesät. Die Bohnen ziehen am Mais hoch, weniger Licht erreicht den Boden, was den Unkrautwuchs erheblich verringert. Als Viehfutter erreicht der Mix eine hohe biologische Wertigkeit, da Bohnen reich an Proteinen sind, während Mais Stärke liefert.

In einer Maiskultur auf Gut Neu-Hemmerich wurdenFeldlerchenfenster angelegt. So konnten die stark dezimierten Vögel ungestört am Boden im dichten Getreide brühten.

Dünger und Pflanzenschutzmittel setzt er im Notfall in homöopathischen Dosen ein: "Durch zu viel Dünger können sich unerwünschte Unkräuter sogar vermehren. Seit mehr als 40 Jahren machen wir Bedarfsberechnungen. Anhand von Bodenproben untersuchen wir die Menge der Nährstoffe im Boden und rechnen genau aus, wie viel Dünger wir für einen guten Ertrag ausbringen müssen. Erst dann kaufen wir die Mittel ein."

Hightech auf dem Feld und Gülle wie in der Vorzeit

Lindemann-Berk verwendet bevorzugt organischen Dünger, der aus tierischen Exkrementen besteht. "Die werden aus den Niederlanden angeliefert, da es hier in der Nähe kaum Viehbewirtschaftung gibt." Sein Hof liefert Getreide für das Vieh ins Nachbarland. "Warum sollen wir dann nicht die Ausscheidungen der Tiere wieder zurücknehmen?", fragt er rhetorisch: "Die Bodenorganismen fressen den flüssigen, wertvollen Dünger und scheiden die Mineralien aus, die dann die Pflanzen durch ihre Wurzeln aufnehmen."

Depot mit Pflanzenschutzmitteln
Für alle Fälle - biologischen Pflanzenschutzmitteln gibt Kartoffelbauer Lindemann-Berk den Vorzug vor chemischen KeulenBild: DW/K. Jäger

Mit einer Satelliten navigierten und digital gesteuerten Spritze können die flüssigen Pflanzenschutzmittel gezielt auf störende Pflänzchen aufgebracht werden. Nach Sonnenuntergang ist diese Arbeit besonders effektiv.

Anhand einer eigenen Wetterstation, Daten aus dem Boden und dem Wetterdienst, kann der Agronom Prognosen erstellen, um das Risiko für den Pilzbefall zu kalkulieren. Pestizide sollen nur noch im Notfall eingesetzt werden, wenn die Pflanze nicht in der Lage ist, sich selbst zu helfen.

Ökologisch wertvoll und unkonventionell ist ein neues, eigentlich altes Rezept für den Agrarbereich

Durch den Einsatz von Milchsäurebakterien konnte Landwirt Lindemann-Berk chemische Fungizide zur Bekämpfung von Pilzen, drastisch reduzieren.

Labormedizin Bakterien Milchsäurebakterien Lactobacillales
Milchsäurebakterien: zerlegen Nährstoffe im Boden, sodass die Pflanzen diese leichter aufnehmen können, begünstigen die Bodenstruktur, fördern Wurzelbildung und Keimfähigkeit des Saatgutes und sind günstig in der HertsellungBild: imago/imagebroker

Nach der Ernte nimmt der Landwirt erneut Bodenproben. "Messungen haben bisher keinerlei Rückstände von Glyphosat und dessen Abbauprodukten im Getreide angezeigt", berichtet Lindemann-Berk.

Der Kartoffelbauer zeigt auf das mit Aktenordnern gefüllte Regal hinter sich. Fünf Jahre müsse er die Aufzeichnungen für Kontrollen archivieren. Die Düngeverordnungen würden seit Jahren verschärft. Aufgrund der vielen Vorgaben geben viele Bauern auf. Die Auswirkungen im Grundwasser allerdings zeigten sich erst nach 30 Jahren, weil es so lange dauert, ehe die Stoffe versickern.

Kein Ökohof, aber ein umweltfreundlicher Betrieb

Biohöfe dürfen ihre Pflanzen ausschließlich mit Kupferpräparaten behandeln. Kupfer regt das Wachstum an und wirkt gegen Pilzbildung. Es gehört zwar zu den Schwermetallen, doch in kleinen Dosen braucht der Mensch Kupfer zur Blutbildung und für ein funktionierendes Nervensystem.

"Wir machen alles, um umweltfreundlich zu wirtschaften und übernehmen, was die Ökobetriebe gut machen", sagt Lindemann-Berk, "denn keiner will die Umwelt verseuchen. Agrarbetriebe arbeiten doch hunderte von Jahren an der selben Stelle."

Zu Besuch bei Blüten: Bedeutung und Bedrohung von Bestäubern

 Nachhaltiges Vorgehen habe Priorität, doch um als Biobetrieb zertifiziert zu werden, müsse er die Unkräuter von Hand auszupfen, und wie zu Urzeiten, die Erde rund um Pflanzen regelmäßig harken, um unliebsames Kraut und Gräser zu entwurzeln. Dazu fehle ihm schlicht das Personal, kritisiert der Kartoffelspezialist: "Kein Mensch will die Arbeit machen, nicht einmal junge Menschen im Praktikum." So erledigen das Maschinen im Zeitalter der Industriellen Landwirtschaft in Deutschland.

Der rheinländische Landwirt gewährt seinen einzelnen Pflanzen mehr Platz als Mitbewerber. So können sie ausreichend Bodennährstoffe aufnehmen, die Böden werden besser gelüftet und sind daher weniger anfällig für Pilzkrankheiten. Cornel Lindemann-Berk appelliert auch an die Verbraucher, die noch zu sehr auf die Optik achten: "Wenn ich meinen Kunden schmackhafte und unbehandelte Äpfel von dem Streuobst anbiete, hagelt es Beschwerden wegen ein paar Flecken." Das Obst solle 100 Prozent öko sein und top aussehen. "Das passt nicht zusammen." 

Ein Apfel am Baum
Bild: picture-alliance/A. Dedert