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Kein Junior-Partner mehr

20. Januar 2011

Das Verhältnis zwischen den USA und China stellt die wohl wichtigste bilaterale Beziehung des 21. Jahrhunderts dar. Und diese Verantwortung scheint den Präsidenten durchaus bewusst zu sein, meint Adrienne Woltersdorf.

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Bild: DW

Das Treffen sollte ein neues Kapitel in den sino-amerikanischen Beziehungen einläuten. Nichts weniger hatten manche Analysten gefordert. Und obwohl US-Präsident Barack Obama und der chinesische Präsident Hu Jintao bei ihrem Zusammentreffen in Washington kaum meßbare Erfolge verbuchen können, ist ihr Treffen doch ein guter Neuanfang.

Neuartig ist dieses Gipfeltreffen allein deswegen, weil die Volksrepublik China in Washington erstmals nicht mehr als Juniorpartner gesehen wird, wie noch bei den letzten vier Besuchen eines chinesischen Staatsoberhauptes in den USA. An diesem Donnerstag verkündete die Pekinger Regierung, dass Chinas Bruttoinlandsprodukt im vergangenen Jahr um 10,3 Prozent gewachsen sei. Wie immer: schneller als Ökonomen gedacht hatten und doppelt so schnell wie die Wachstumsrate der USA.

Fingerspitzengefühl gefragt

Adrienne Woltersdorf, Leiterin des chinesischen Programms der Deutschen Welle /Foto: M. Urbach)
Adrienne Woltersdorf, Leiterin des chinesischen Programms der Deutschen WelleBild: M. Urbach


Damit könnte China nun Japan als die zweitgrößte Wirtschaftsnation überholt haben, allerdings liegen Tokios Jahresdaten noch nicht vor. Als Hu Jintao das Weiße Haus vor fünf Jahren besucht hatte, rangierte China noch an fünfter Stelle der Wirtschaftsmächte. Allein durch diese rasante Entwicklung markiert das Hu-Obama-Treffen eine Zäsur. Denn Hu besucht ein Land dessen Bürger es neuerdings mehrheitlich für wahrscheinlich halten, dass die USA im globalen Wettbewerb hinter China zurückfallen werden.

So liegt die wahre Bedeutung des Treffens von Hu und Obama eher im psychologischen Management dieser schwierigen Beziehung. Beide Staatsoberhäupter sendeten Signale der Stärke an ihr heimisches Publikum und bemühten sich gleichzeitig, im jeweils anderen Land Ängste zu zähmen. Hatten beide Seiten noch vor dem Treffen Streitpunkte wie Währungspolitik und Menschenrechte lauthals kritisiert, betonten Hu und Obama sichtlich bemüht in Washington vor allem die Einigkeit.

Strategische Wortwahl

Obama beruhigte die Chinesen, die USA hätten nicht vor, ihr Land zu umzingeln und auch nicht, seinen Aufstieg zu verhindern. Gleichzeitig stellte der US-Präsident demonstrativ die Frage der Menschenrechte in den Vordergrund. Hier erzielte Obama einen Überraschungserfolg: Erstmals stimmte ein chinesischer Staatsführer der Universalität der Menschenrechte zu. Hu sagte, dass China in dieser Frage noch Hausarbeiten zu erledigen habe. Auf das Streitthema der Unterbewertung des chinesischen Yuan hingegen kam Obama eher beiläufig zu sprechen.

Auch für Hu Jintao war der Washingtonbesuch symbolisch bedeutend. Ihm ist es gelungen die Säbelrasseler zuhause einstweilen ruhig zu stellen. Ihr wachsender Einfluss und ihr militantes Auftreten in der chinesischen Außenpolitik hatten im vergangenen Jahr zu maßgeblichen Verstimmungen in der Region und in Chinas Beziehungen zu den USA geführt. Gegenüber seinem US-Publikum verkniff sich Hu Kritik an der aus chinesischer Sicht verantwortungslosen US-Geldpolitik. Auch Chinas Bangen um die Sicherheit der US-Staatsanleihen im Wert von rund 900 Milliarden US-Dollar, die Peking zum größten Gläubiger der USA machen, ließ Hu in der Öffentlichkeit lieber unerwähnt.

Aufeinander angewiesen

Soviel Diplomatie zeigt auf beiden Seiten einen Sinneswandel. Freilich wird sich bei den komplexen Zankthemen wie der Währungspolitik schnell zeigen, ob alles nur Rhetorik war. Doch die psychologische Botschaft dieses Gipfels ist unübersehbar: Wir wollen aufeinander zugehen. Angesichts der problematischen Beziehung, die beide Großmächte in den vergangenen zwei Jahren zueinander hatten, kann Europa nach dem Washingtoner Gipfel nur aufatmen. Die US-Amerikaner scheinen langsam zu begreifen, dass nicht China die Schuld an ihren wirtschaftlichen Problemen trägt. Die US-Misere ist hausgemacht. Auch Chinas Hardliner müssen erkennen, dass ein militant auftretendes China die Regionalnachbarn eher in die Arme der Schutzmacht USA als in ihre Arme treibt.

Diese Erkenntnisse auf beiden Seiten werden helfen, die erstarkten Krawallmacher in Peking und Washington einstweilen ruhig zu stellen. Beide Mächte müssen dringend zurück an den Verhandlungstisch. Beide Staatsführer haben nur wenig Zeit, den in beiden Staaten beginnt bald der für 2012 vorgesehene Kampf um die Nachfolge für Hu und Obama. Nur wenn China und die USA konstruktiv aufeinander zugehen, lassen sich globale Schieflagen wie die unterbewertete chinesische Währung und die Klimaerwärmung angehen. Und nur wenn sie an einem Strang ziehen, lassen sich globale Bedrohungen wie das hochgerüstete Nordkorea oder der Iran angehen. Die USA und China sind weder Freund noch Feind, aber beide verbindet die global gesehen wichtigste bilaterale Beziehung. Europa profitiert auf ganzer Linie, wenn beide endlich die drängenden Probleme angehen.

Autorin: Adrienne Woltersdorf
Redaktion: Beate Hinrichs / Esther Felden