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Pilger wollen Jesus sehen

10. April 2010

Das berühmte Grabtuch, in das Jesus nach der Kreuzigung eingehüllt gewesen sein soll, ist bis Pfingsten im Turiner Dom zu sehen. Eine seltene Gelegenheit, die etwa 1,8 Millionen Pilger nutzen wollen.

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Grabtuch Turiner Dom. Detailaufnahme vom Gesichtsabdruck Jesu Christi in der öffentlichen Ausstellung am 10.04.2010 (Foto: DW / Bernd Riegert)
Gesichtszüge lassen sich im Tuch erahnenBild: DW/Bernd Riegert

Mit dem Wohnwagen haben sich Hildegard und Ernst Rump aus dem niedersächsischen Bad Laer nach Turin aufgemacht, um das Grabtuch zu sehen. Das ältere Ehepaar ist an Kunstgeschichte und Religion sehr interessiert und freut sich, noch zwei Tickets für die Ausstellung ergattert zu haben. Und das, obwohl die beiden nicht im Internet reserviert hatten, wie das die Organisatoren von der Erzdiozöse Turin dringend empfehlen. In einer langen Schlange bewegen sich die Rumps durch den Garten des Turnier Königspalastes auf den recht kleinen Dom zu. Ein Zeltdach spendet Schatten und schützt die Wartenden vor der schon recht kräftigen Frühjahrssonne in Norditalien.

Die beiden deutschen Pilger Hildegard und Ernst Rump am Eingang zur Ausstellung des Grabtuchs in Turin (Foto: DW / Bernd Riegert)
Kunst und Religion sind ihr Hobby: Das Pilger-Ehepaar Hildegard und Ernst RumpBild: DW/Bernd Riegert

Nur drei Minuten Zeit zum Staunen

Langsam schieben sich die Pilger durch die Gänge des historischen Museums vor dem Dom. Eine Ampel signalisiert, ob man gehen oder stehenbleiben soll. Im Dom selbst ist es halb dunkel. Das vier Meter mal ein Meter große Leinentuch hängt hinter Panzerglas, hell angeleuchtet über dem Altarraum. Links und rechts zwei Polizisten in Galauniform als Wache.

Für Hildegard Rump ist die ganze Szenerie beeindruckend: "Es ist nicht so, dass mich das umwerfen wird, aber es berührt mich doch. Da muss man sich einfach drauf einlassen. Im Grunde braucht man da Ruhe, um das auf sich wirken zu lassen." Viel Ruhe haben die Pilger allerdings nicht. Nur durchschnittlich drei Minuten dürfen sie vor dem Grabtuch verharren, um die Abdrücke zu studieren. Fotografieren ist verboten. Mehrere zehntausend Menschen werden täglich von früh bis spät durch die Kriche geschleust.

Eine Gesamtaufnahme des Turiner Grabtuchs: Die vier Meter lange Reliquie, die zurzeit im Turiner Dom zu sehen ist, zeigt angeblich die Körperumrisse von Jesus Christus (Foto: DW / Bernd Riegert)
Der Abdruck eines liegenden Mannes: Links der Mitte das Gesicht. Weiter links Operkörper und darauf liegende Arme. Die großen Flecken sind Brandschäden.Bild: DW/Bernd Riegert

Glauben stärken

Das Tuch zeigt die Gesichtszüge und Körperumrisse eines bärtigen Mannes, der an Händen und Füßen gefoltert wurde. Blutspuren sind an der Stirn zu sehen, wo die Dornenkrone saß. "Für mich persönlich ist es eine Bestätigung der Offenbarung, also der im Neuen Testament vorliegenden Schilderungen, und die Botschaft der Wiederauferstehung von Jesus Christus", sagt Pilger Ernst Rump zu seinen Erfahrungen. "Hier hat man einmal ein paar konkrete Anhaltspunkte, wie das abgelaufen sein kann. Das sind Dinge, die den Glauben nicht ausmachen, aber die den Glauben stützen und bestätigen können."

Für die katholische Kirche ist das Grabtuch, das sich im persönlichen Besitz des Papstes befindet, die wertvollste Reliquie. Montsignore Guiseppe Ghiberti organisiert für das Erzbistum Turin die Ausstellung. Er glaubt, dass dem Tuch im heutigen visuellen Zeitalter ein ganz besonderer Wert zukommt. Das Bild des Gottessohnes sei stärker als das Wort Gottes: "Für die Kirche ist es sehr wichtig, etwas zeigen zu können, das ein Echo der Evangelien darstellt. Die Botschaft ist heute noch genau so wichtig wie vor Jahrhunderten."

Papst pilgert auch nach Turin

Mit etwa 3000 freiwilligen Helfern werden die Pilgermassen bis Ende Mai gelenkt. Am 2. Mai kommt der Papst persönlich nach Turin. Für die Geschäftsleute ist das Grabtuch ein wahrer Segen. Das Grabtuch (oder Sindone auf Italienisch) gibt es als ausrollbares Mitbringsel, als wertvolles Buch, als Briefmarke und als Poster. Andenkenläden sind voll, die Hotels ausgebucht. Es ist das erste Mal seit zehn Jahren, dass das Tuch wieder gezeigt wird.

Wer ist auf dem Leichentuch abgebildet?

Eine Ehrenwache vor der mit Panzerglas geschützten Reliquie in Turin (Foto: DW / Bernd Riegert)
Ehrenwache für eine Reliquie, die von Panzerglas geschützt wirdBild: DW/Bernd Riegert

Bis heute weiß die Wissenschaft nicht, wie die Gesichtszüge des Manns auf das Grabtuch gekommen sind. Es ist keine Farbe, es ist keine Fotografie, so viel ist klar. Bruno Barberis gilt als der Experte für die Grabtuchforschung. Ob der Mann auf dem Tuch wirklich Jesus Christus ist, sei auch nach über einhundert Jahren Forschung unsicher, bestätigt er im Gespräch mit der Deutschen Welle: "Ich habe keine abschließende und eindeutige Antwort. Ich kann aber sagen, mit den Daten, die wir heute haben, lässt sich sagen, dass die Wahrscheinlichkeit sehr hoch ist. Das ist alles, was ich sagen kann. In zehn, zwanzig Jahren nach mehr Untersuchungen werden wir vielleicht Genaueres zu dem Bild sagen können. Das ist gut möglich." Bruno Baberis plant eine neue Altersbestimmung des Stoffes mit genaueren Methoden als vor dreißig Jahren. Damals war der Stoff mit der Radiocarbon-Methode auf etwa 1300 datiert worden.

Nächstes Pilgerziel: Manoppello

Die katholische Kirche unterstützt die Forschungen übrigens. Ob das Bildnis echt ist oder nicht, ist laut Erzbischof Severino Poletto auch nicht so wichtig. Die Verehrung der Reliquie für sich genommen, sei ein Zeichen des lebendigen Glaubens. Die Menschen sollten dem Grabtuch ohne Vorurteile gegenübertreten, sagte der Erzbischof bei der Eröffnung der Ausstellung.

Das Pilger-Ehepaar Rump war vor seinem Besuch in Turin mit dem Wohnwagen schon nach Manoppello gereist. Dort wird ein weiteres Tuch aufbewahrt, das Volto Santo, das den auferstandenen Jesus zeigen soll. In zwei Wochen wollen die Rumps weiter nach Mexiko, nach Guadelupe, wo ein drittes angeblich nicht von Menschen gemachtes Bild verehrt wird.

Autor: Bernd Riegert, zurzeit Turin
Redaktion: Ursula Kissel