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Politik

"Ich habe ihn gemocht"

1. Juli 2017

Lech Walesa traf Helmut Kohl erstmals 1989 in Warschau - genau am Tag des Falls der Berliner Mauer. 1990 wurde der Gewerkschaftsführer Polens Präsident. Walesa über seine Erinnerungen an den langjährigen Bundeskanzler.

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Helmut Kohl (l) und Lech Walesa (r)
Wiedersehen in der Pfalz 2004: Helmut Kohl und Lech WalesaBild: Picture-alliance/dpa/R. Wittek

DW: Herr Präsident, in Deutschland nannte man die Art, wie Helmut Kohl Politik machte, "Strickjackendiplomatie". Gemeint war, dass er zu den wichtigsten Weltpolitikern eine persönliche, freundschaftliche Beziehung aufbaute und so manchen Kompromiss möglich machte. War Kohl für Sie auch ein Freund oder eher politischer Partner?

Eher ein Freund. Wenn man bei offiziellen Mittagessen offizielle Reden halten sollte, sagte er: Lass uns mal normal miteinander reden. Er war ein lockerer Typ in solchen Kontakten. Das machte ihn sympathisch. Ich habe ihn gemocht und eben diese Art - einen normalen, direkten Umgang miteinander.

Können Sie sich noch an das erste Treffen mit Kohl erinnern - oder eines, das Ihnen besonders in Erinnerung blieb?

Ja - und das werde ich bis an mein Lebensende nicht vergessen. Ich war damals noch Gewerkschafter. Es war der 9. November 1989. Polen hatte schon seine erste demokratische Regierung mit Tadeusz Mazowiecki. An jenem 9. November kam Helmut Kohl mit einer Delegation nach Warschau und sollte auch mich als Chef der Gewerkschaften treffen. Ich war damals sehr müde und alles war ziemlich hektisch. "Meine Herren" - sagte ich zu Kohl und (Bundesaußenminister) Genscher: "Bald wird die Berliner Mauer fallen, bald wird die Sowjetunion zusammenbrechen. Seid Ihr als die größte Kraft in Europa darauf vorbereitet?"

Und dann bekam ich die Antwort, ich glaube von Kohl: "Lieber Herr Walesa, wir würden gerne solche Probleme haben. So etwas werden wir nicht mehr erleben. Bis es soweit ist, wachsen auf unseren Gräbern große Bäume. Und noch am gleichen Abend mussten sie den offiziellen Besuch in Warschau abbrechen, weil genau dann die Berliner Mauer fiel.

Magdalena Gwózdz und Lech Walesa (Foto: DW)
DW-Reporterin Magdalena Gwózdz traf Lech WalesaBild: DW

Als Politiker polarisierte Helmut Kohl in seinem Heimatland sehr. Wie hat man ihn in Polen damals wahrgenommen?

Es ist nicht einfach, es klar zu sagen. Für uns war damals der Genscher der größte deutsche intellektuelle Geist dieser Zeit. Kohl hielten wir eher für einen sehr geschickten Politiker.

Was hat sein Geschick ausgemacht?

Er schaffte es, sich politisch so zu positionieren, dass er die Wahlen gewann und immer populärer wurde - auch in Mittel- und Osteuropa und eigentlich weltweit. So haben wir ihn damals gesehen.

Damals wurde auch über die Oder-Neiße-Grenze verhandelt. Wie verliefen die Gespräche? Kohl verzögerte doch die Entscheidung …

Ja, er hatte Zweifel. Ich versuchte ihm bei unseren Treffen klarzumachen, dass Polen sehr wohl weiß, wohin es will. Es half ihm, die polnische Perspektive besser nachzuvollziehen. Wir wollten, dass er versteht, wie nötig die Anerkennung der Grenze war.

Wie schwer war es Helmut Kohl davon zu überzeugen?

Er hatte seine eigene Position dazu. Es ging dann, aber es kostete schon Arbeit.

Und als dann tatsächlich die deutsche Wiedervereinigung kam: Hatten Sie nicht auch Sorgen, dass der westliche Nachbar Polens zu mächtig sein würde?

Vernünftig denkende Menschen kennen solche Ängste nicht. So durfte man damals nicht denken. Wir wissen auch, dass es logisch und richtig war. Heute haben wir es schwer in Europa, weil wir die grundsätzlichen Fragen nicht geklärt haben.

Ich frage noch einmal danach, wie Helmut Kohl in direkter Begegnung war. Ich habe ihn einmal persönlich erlebt: Er kam in den Raum und nahm ihn für sich ein. Schon durch sein Äußeres stellte er alles in den Schatten.

Ja, aber da stand ich drüber. Ich war immer von meinem Plan überzeugt und mich hat nicht so schnell was beeindruckt. Ich erinnere mich, dass Kohl immer wenn wir uns trafen, sagte: Ich habe gerade den achten Kaffee getrunken, also können wir jetzt sprechen. Ich glaube, er trank unglaublich viel Kaffee, damit er überhaupt in die Gänge kam. Er war ja sehr groß und massiv. Aber er setzte diese Masse und diese Kraft friedlich ein - so habe ich es damals empfunden.

Europa erlebt gerade eine schwierige Zeit. Es ist nicht einfach, gemeinsame Vorstellungen über die Zukunft zu entwickeln. Glauben Sie, dass Helmut Kohl mit seiner "Strickjackendiplomatie" dabei erfolgreicher wäre, zum Beispiel in der Kommunikation mit der aktuellen polnischen Regierung?

Zweifelsohne würde er das Ganze anders machen. Aber wir haben heute eine völlig neue Realität und solche Vergleiche sind schwer. Unsere Generation hat Barrieren und Gräben in Europa überwunden, ebenso wie unterschiedliche wirtschaftliche und politische Systeme. Undurchlässige Grenzen sind beseitigt - das ist doch toll! Jetzt gehen wir in Richtung europäischer Staat. Natürlich nicht in allen Bereichen, aber in vielen. Wir müssen aber überlegen, wie man die föderale Struktur Europas gestaltet. Denn Europa steht auf nationalen Fundamenten und diese Vielfalt muss man berücksichtigen. Wir brauchen zuerst ein gemeinsames Fundament. Wir müssen überlegen, wie geht man mit Populismus, Demagogie und politischem Betrug um? Was bedeutet eigentlich heute politisch links und was rechts? Diese Begriffe stammen aus einer anderen Epoche. Deshalb ist es heute schwer Europa zu bauen. Obwohl das Ziel vor Augen so einfach scheint: Wir wollen unterschiedliche Entwicklungen ausgleichen und das Wachstum für alle und im Interesse aller in Europa vorantreiben.

Wenn Sie heute nach Deutschland blicken - wer trägt Ihrer Meinung nach Kohls politisches Erbe weiter?

Man muss alles immer in neuer Zeit und im neuen Kontext sehen. Wer vor 50 Jahren gut war, muss nicht auch heute gut sein und umgekehrt. Wir haben heute andere Zeiten und andere Herausforderungen. Daher kann man es nicht so einfach vergleichen.

Das Gespräch führte Magdalena Gwózdz