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"Ich vermisse die hohen Berge Afghanistans!"

4. Mai 2010

Nazar Sultansei war in den 80er Jahren Präsident der Atomenergiebehörde Afghanistans. Während der sowjetischen Besatzung verließ er seine Heimat. Er lebt in Deutschland und arbeitet als Krebs- und Strahlenmediziner.

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Nazar Mohammad Sultansei (Foto: privat)
Nazar Mohammad SultanseiBild: privat

Kindheit und Jugend

"Ich wurde am 10.01.1944 in Paktia geboren."

Paktia

Paktia ist eine Provinz (Velayet) im Südosten Afghanistans an der Grenze zu Pakistan. Paktia ist eine sehr bergige Provinz. Die Hauptstadt ist Gardez. In Paktia leben vor allem Paschtunen. Paktia ist eine der politisch komplizierten Provinzen des Landes. Unmittelbar nach dem Sturz der Taliban war Paktia eine der chaotischsten Regionen Afghanistans. Die Sicherheitslage in Paktia hat sich in letzten Jahren zwar verbessert, doch es gibt immer wieder Kämpfe mit den Taliban sowie Stammeskonflikte im östlichen Teil der Provinz.

Die Berge in Süd-Ost Afghanistan (Foto: Emilio Morenatti)
So sieht es in Nazar Sultanseis Heimat Paktia ausBild: AP

"Ich habe mich schon als kleiner Junge für die Naturwissenschaften interessiert. Mathe und Physik waren meine Lieblingsfächer."

"Mit zwölf ging ich nach Kabul, um das Rahman-Lycée zu besuchen."

"Die drei jahrgangsbesten Schüler des "Rahman"- und "Khoschal Khan"- Lycée haben ein Stipendium für Deutschland bekommen. Der damalige afghanische Bildungsminister Ali Ahmed Popal wollte, dass wir im Ausland studieren. Ich habe mich damals für Atom-Physik entschieden."

Das Lycée Rahman Baba und Das Lycee Khoshal Khan

Das Lycée Rahman Baba und das Lycée Khoshal Khan sind nach dem bekannten afghanischen Dichter Rahman Baba und Khoshal Khan Khattak bennant. Die Internatsschulen wurden gebaut, um den benachteiligten Schülern aus dem Süden und Osten sowie den Freien Stammesgebieten Afghanistans die Möglichkeit einer Schulbildung zu geben. Die Unterrichtssprache an diesen Schulen ist Paschtu. Dari gilt für alle Schüler als weitere obligatorische Fremdsprache. Seit 2009 wird neben Englisch auch Deutsch unterrichtet.

Die Schlafsäle des Internats bieten 20 Schülern Platz und sind sehr einfach ausgestattet. Die Schüler bekommen in der Schulkantine drei Mahlzeiten am Tag. Der Besuch dieser Schulen ist kostenfrei.

Studium in Deutschland und Rückkehr nach Afghanistan

1962 – mit 18 Jahren – kommt Nazar Sultansei nach Deutschland. In Frankfurt am Main studiert er Physik, danach Medizin in Bochum.

"Nach meinem Medizinstudium kehrte ich nach Afghanistan zurück und wurde Dozent an der Universität von Kabul. Da ich der einzige Kernphysiker im Land war, wurde ich zum Präsidenten der Atomenergiebehörde Afghanistans ernannt."

1986 – nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl wird Nazar Sultansei von der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) in Wien beauftragt, herauszufinden, wie stark die radioaktive Belastung in Afghanistan war.

"Im September 1986 kam ich nach Wien um die Ergebnisse zu präsentieren. Nach der Konferenz beschloss ich, aus Protest gegen die russische Besatzung Afghanistans, in Wien zu bleiben."

Sowjetische Invasion

Sowjetische Panzer und Soldaten (Foto: Anja Niedringhaus)
Die sowjetische Besatzung Afghanistans dauerte zehn JahreBild: Picture alliance/dpa

In der Nacht des 25. Dezembers 1979 landeten die ersten sowjetischen Soldaten in Kabul. Innerhalb von wenigen Stunden besetzten sie alle zentralen Punkte der Hauptstadt. Am 27. Dezember stürmten sowjetische Soldaten den Präsidentenpalast. Ministerpräsident Hafizullah Amin wurde von Soldaten in afghanischer Uniform getötet. Als Grund für ihren Überfall nannten die Russen "Hilferuf der afghanischen Regierung". Vom 27. Dezember 1979 bis zum 4. Mai 1986 war der kommunistische Präsident Babrak Karmal Staatsoberhaupt Afghanistans.

Von Wien nach Nürnberg

Ab 1988 arbeitet Nazar Mohammad Sultansei in einem Wiener Krankenhaus als Strahlenmediziner.

"Da aber ein Teil meiner Familie in Deutschland lebte, kam ich 2001 nach Deutschland und lebe und arbeite seitdem in der Nähe der schönen Stadt Nürnberg."

"Seit knapp zehn Jahren arbeite ich im Bereich Radiologie und kümmere mich um Krebspatienten. Ich habe meine beiden Studienfächer - Physik und Medizin - miteinander verbunden und arbeite als Strahlentherapeut am Neumarkter Klinikum."

Nürnberg

Nürnberg ist eine Stadt im Südosten Deutschlands. Sie ist mit über 500.000 Einwohnern die zweitgrößte Stadt des Bundeslandes Bayern. Berühmt ist Nürnberg für seine Bratwürste, die Lebkuchen und den traditionsreichen Christkindlmarkt, der jedes Jahr vor Weihnachten hunderttausende Touristen aus der ganzen Welt nach Nürnberg lockt. Außerdem lebte hier der deutsche Maler und Mathematiker Albrecht Dürer

Das Albrecht Dürer-Haus in Nürnberg (Foto: DW/Maksim Nelioubin)
Das Albrecht Dürer-Haus in NürnbergBild: DW / Maksim Nelioubin

Deutschland

"In Deutschland oder Europa ist das Leben für Wissenschaftler sehr angenehm, unabhängig von Hautfarbe und Herkunft."

"Was ich an den Deutschen mag, ist ihr Fleiß und ihre hohe Arbeitsdisziplin."

"Was ich an Deutschland nicht mag ist das Wetter! Das Wetter ist sehr schlecht!"

Heimweh

"Was ich vermisse, sind die hohen Berge in meiner Provinz Paktia, wo ich meine Kindheit verbrachte. Aus diesem Grund bin ich Mitglied in einem örtlichen, bayrischen Alpenverein. Das gibt mir ein Stück Heimatgefühl zurück.

"Es ist ein großer Wunsch von mir, mit dem Wissen und der Technik, die mir in Deutschland zur Verfügung steht, den Menschen in Afghanistan zu helfen. In Afghanistan ist die Zahl der Leukämiefälle enorm gestiegen, aber die Menschen dort haben nicht die Möglichkeit, sich optimal behandeln zu lasen."

"Ich würde sehr gerne nach Afghanistan zurückkehren, um dort zu helfen und zu arbeiten. Aber solange dort Krieg herrscht, Wissenschaftler nur wenig Ansehen genießen und Positionen nur nach Parteizugehörigkeit vergeben werden, geht man nicht gerne zurück."

"Was mich traurig macht, ist die politische Uneinigkeit der Afghanen und dass ich meiner Heimat mit meinem Wissen nicht helfen konnte."

Zukunft

"Ich bin nun 67 Jahre alt und werde in einem Jahr in Rente gehen. Mein Leben als Rentner werde ich mit dem Schreiben von wissenschaftlich-medizinischen Büchern und Artikeln in afghanischer Sprache verbringen. Ich schreibe schon jetzt zahlreiche wissenschaftliche Artikel für afghanische Online-Seiten.

Autorin: Brekhna Saber
Redaktion: Judith Hartl