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Ich will sie haben

21. Oktober 2009

Knapp 200 Paar Schuhe besitzt Frau L. - Schuhe üben eine magische Anziehung auf sie aus. Wenn ihr ein Paar gefällt, muss sie es kaufen, auch wenn sie die Schuhe nicht braucht. Gilt Frau L. damit als Schuhfetischistin?

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Ein durchsichtiger High Heel mit einer echten Blume in der Plateau-Sohle (Foto: AP Photo/Markus Schreiber)
Auf Blumen stehen...Bild: AP

Manchmal sitzt Waltraud L. vor ihrem Schuhschrank und schaut sie nur an, ihre Schätze in Rot, Grün, Schwarz, Lila und Braun. Schuhe in allen Farben. Es gibt nichts, was Waltraud L. nicht besitzt. Pumps, Stiefeletten, Stilettos, Ballerinas, Halbschuhe, Stiefel und Sandaletten. Nur Overknees, die jetzt modisch so angesagt sind, hat sie nicht. Dazu sei sie zu alt, meint die Mittsechzigerin selbstkritisch.

Ein Model zeigt einen schwarzen Lederschuh (Foto: dpa)
Bild: dpa
Perfekt gestylt
Model Jenny zeigt mehrere elegante Damenschuhe für den Winter (Foto: AP Photo/Roberto Pfeil)
Zeigt her eure SchühchenBild: AP

Ihre Leidenschaft für Schuhe ist alt. Schon als Lehrling ist sie extra nach Italien gefahren, um dort auf Märkten Schuhe zu kaufen, immer mehrere Paar auf einmal. Sie wollte schick und für jeden Fall gewappnet sein. Die Schuhe mussten immer ganz genau passen, die roten zu den roten Streifen im schwarzen Kleid. Deshalb kauft sie manchmal auch zwei identische Paare, für den Fall, dass eines kaputt geht, das so perfekt mit der Garderobe harmoniert.

Doch ob sie die Schuhe tatsächlich einmal trägt, steht in den Sternen. Manche stehen nagelneu zuhause bei ihr herum, in beschrifteten Kartons. Sie sollen ihr helfen, den Überblick zu behalten, aber so ganz klappt das nicht. Kein Wunder bei knapp 200 Paar Schuhen.

Schuhe beruhigen

Viele tausend Euro hat Waltrud L. für ihren Schuhtick schon bezahlt. Bereut hat sie das nie. Wenn sie Ärger im Job hatte, kaufte sie sich Schuhe und andere Klamotten. Manchmal für 10.000 Euro. Das brauchte sie, um den Stress zu verdauen. Andere Menschen schlucken dann eine Tablette, trinken Alkohol, treffen sich mit Freunden oder schütten dem Partner ihr Herz aus. Für Waltraud L. übernehmen Schuhe diese Funktion. Sie haben damit den Charakter eines Fetischs. Das heißt, die Schuhe haben eine Bedeutung, die über ihre übliche Funktion hinausweist.

Roter High Heel-Schuh des brasilianischen Labels "Via Uno" (Foto: AP Photo/Martin Meissner)
Echte Hingucker aus BrasilenBild: AP

Die Sexualwissenschaft definiert den Fetischismus gemeinhin als Störung, die vor allem Männer betrifft. Wenn ein Mann statt einer Frau nur ihren Nacken oder gar ihre Schuhe begehrt, erklärt der Hamburger Sexualwissenschaftler und Psychiater Wolfgang Berner. Diese Männer interpretieren in die Schuhe etwas hinein, das mit den Schuhen an sich nichts zu tun hat. Das kann so weit gehen, dass die Schuhe die Frau mehr oder minder ersetzen.

Die ergänzende Lust

Für Waltraud L. ersetzen sie nicht den Partner. Sie ist verheiratet, Mutter und Großmutter und unterhält eine intensive Beziehung zu ihren Enkelkindern. An ihrem Schuhtick hält sie dennoch fest. Sie kann an keinem Schuhgeschäft vorbei gehen, ohne nicht wenigstens ein Paar zu kaufen. Teure, hochwertige Schuhe, mit billigen Modellen kann sie nichts anfangen. Das Leder muss weich und geschmeidig sein und die Form der neuesten Mode entsprechen. Ausgefallen sollen sie sein, auffallend und den Blick nach unten lenken. So wie auch ihr Blick immer zuerst nach unten auf die Schuhe fällt.

Model präsentiert Winter-Schuhe und -Stiefel (Foto: AP Photo/Martin Meissner)
Wer die Wahl hat...Bild: AP

Waltraud L. beurteilt Menschen nach dem Zustand ihrer Schuhe. Sind sie gepflegt? Sind die Absätze abgelaufen? Um Schuhe muss man sich kümmern, glaubt sie. Schuhe brauchen Pflege. Sie stopft ihre Schuhe nach dem Tragen mit Seidenpapier aus, säubert und poliert sie und legt sie dann zurück in ihren Karton. Wenn Waltraud L. davon erzählt, erinnert das an eine Mutter, die ihre Kinder liebevoll ins Bett bringt. Aber nein, davon will sie nichts wissen. Für sie sind es Kunstwerke, die sie hortet und sammelt, anfassen, benutzen und tragen kann.

Autorin: Heide Soltau

Redaktion: Conny Paul