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Politik neu zu organisieren schlägt oft fehl

2. September 2010

Fehlentscheidungen, Überforderung, Amtsmüdigkeit - Politiker leiden unter vielen Nebenerscheinungen ihres Jobs. Oft bleibt nur der Rücktritt. Das müsste nicht so sein. Es gab genügend Ideen, Politik anders zu gestalten.

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Photo/Markus Schreiber, AP
Arbeitete oft bis zur Erschöpfung - Ex-Verteidigungsminister Peter StruckBild: AP

Die Partei "Die Grünen" wollte 1978, in den Zeiten ihrer Anfänge, einen ganz neuen Typ Politiker und hatte dazu auch konkrete Pläne, politische Macht neu aufzuteilen. Die Partei erfand für sich das so genannte Rotationsprinzip. Das sah vor, dass nach zwei Jahren die gewählten Abgeordneten zurücktreten und andere Personen von der Mitgliederliste der Partei nachrücken. So sollten möglichst viele Partei-Mitglieder eine Chance auf politische Gestaltung bekommen - schon die französische Revolution hatte ähnliche Ideen entwickelt. Als "Die Grünen" dann in Deutschland bundesweit an Bedeutung gewannen, wurde das Rotationsprinzip zum Streitfall. Immerhin sah die Verfassung eine vierjährige Amtszeit einmal gewählter Abgeordneter vor. Irgendwann waren selbst führende Grünen-Politiker dagegen. Letztendlich ließ man es still und leise sterben.

Miriam Meckel (Foto: DW)
Buchautorin Miriam MeckelBild: DW

Miriam Meckel, unter anderem auch einstmals Staatssekretärin in der Regierung von Nordrhein-Westfalen, hätte von so einem Rotationsprinzip profitiert. Meckel litt innerhalb des konkurrenzgetriebenen politischen Systems am so genannten Burn-Out-Syndrom. Darüber schrieb sie das Buch "Brief an mein Leben". In einer TV-Talkshow beschrieb sie die Krankheit so: "Das baute sich langsam auf und ab einem bestimmten Moment merkt man, dass man nicht mehr kann. Dann denkt man, es geht doch noch und das geht dann bis zu dem Punkt des totalen Zusammenbruchs."

Wahlperiode verkürzen

Um amtsmüde Berufspolitiker zu vermeiden und für einen Fluss frischer Ideen zu sorgen, gab es Überlegungen, die Legislaturperiode generell von vier auf zwei Jahre zu verkürzen. Doch in allen Kommissionen, die sich damit beschäftigten, hatten die Stimmen, die meinten, die Nachteile würden überwiegen, die Mehrheit. Es dauere für einen Abgeordneten alleine ein Jahr, sich in die immer komplexer werdenden Aufgaben einzuarbeiten, erklärte das Bundestagspräsidium auf Anfrage. Die Verkürzung der Legislaturperiode ließ sich nicht einmal ansatzweise durchsetzen. Vielmehr wurde eine Verlängerung auf fünf Jahre diskutiert.

"Der bisherige politische Rahmen lässt den darin engagierten Personen kaum Ruhephasen. Es gibt kein Entrinnen oder Innehalten", beschreibt es Miriam Meckel, die zwischenzeitlich den Eindruck gewann, sie habe zu wenig Zeit für das Leben außerhalb der Politik. "Ich dachte immer, ich kann mich auch noch später mit Freunden treffen. Nur leider ist das 'später' dann irgendwann 'gar nicht mehr'."

Politiker entlasten

Gehetzte und überforderte Politiker können keine gute Politik machen. Deshalb versuchte zum Beispiel die Bertelsmann-Stiftung, Politiker in kleinen Städten und Gemeinden dahingehend zu beraten. Ratsmitglieder sollten sich auch über eine stärkere Bürgerbeteiligung entlasten, so das Ziel.

Die Stiftung Politische Bildung und die Internet-Plattform "i-Parlament.de" sammelten viele Ideen, wie Politiker künftig besser arbeiten könnten, bevor sie zusammenbrechen oder ihr Amt plötzlich verlassen. Dazu gehörte der Vorschlag, Berufspolitiker zu verbieten und vorzuschreiben, auf jeden Fall in einen erlernten Beruf zurückkehren zu müssen.

Bundestagsplenum durch den Blick einer Kamera (Foto: DPA)
Unter ständiger Beobachtung - die AbgeordnetenBild: picture-alliance / dpa

Außerdem sollte der Bundestag vergrößert werden. Wenn jeder Wahlkreis zwei Abgeordnete nach Berlin entsenden würde, könnte wechselweise immer einer im Wahlkreis selbst verbleiben, während der andere ihn in Berlin vertritt. Ein Aufreiben zwischen allen Anforderungen wäre vermieden und die Wähler würden ihre Politiker auch öfter vor Ort erleben.

Aber alle diese Vorschläge wurden nur halbherzig diskutiert und suchen nach wie vor noch Gehör oder eine Mehrheit. Auch können oder wollen viele Abgeordnete über häufige Überforderungen nicht reden. Einerseits drohen ihre Ehen zu zerbrechen, andererseits wird die Sucht um Anerkennung im Amt immer größer. Ein Teufelskreis, sagt die ehemalige Staatssekretärin Miriam Meckel: "Ich habe eine ganze Menge Menschen getroffen, die das mitgemacht haben und die nichts sagen, weil sie glauben, bei der kleinsten gezeigten Schwäche gleich ersetzt zu werden. Zumindest ist die Angst davor sehr groß."

Autor: Wolfgang Dick
Redaktion: Kay-Alexander Scholz