1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

"Es gibt keine Angst, es gibt Liebe"

Aydin Üstünel
17. April 2019

Die Berliner Kabarettistin Idil Baydar alias Jilet Ayşe und ihre Familie werden bedroht. Die türkischstämmige Baydar vermutet dahinter Rechtsradikale. Der DW erklärte sie, warum sie am deutschen Rechtsstaat zweifelt.

https://p.dw.com/p/3GtCT
Kabarettistin Idil Baydar "Jilet Ayse"
Bild: picture-alliance/SvenSimon/M. Ossowski

"Verpiss dich aus Deutschland, solange du noch lebend rauskommst", hieß es in einer der anonymen Nachrichten, die seit Anfang März auf Idil Baydars Mobiltelefon eingegangen sind. Nach den Anschlägen auf zwei Moscheen in Christchurch stand in einer SMS: "Du widerliche, fette, ätzende Türkensau, so wie heute in Neuseeland knallen wir dich und Halise Baydar ab." Halise Baydar ist die Mutter der Kabarettistin, die durch ihre Kunstfiguren Gerda Grischke und Jilet Ayşe bekannt geworden ist. Mittlerweile läuft ein Strafermittlungsverfahren gegen Unbekannt. Baydar hat die Morddrohungen auf Facebook öffentlich gemacht. Mit der DW sprach sie über den aktuellen Stand der Ermittlungen, ihre Erwartungen an die Behörden und über das "unglaubliche Geschenk der Zivilgesellschaft".

Deutsche Welle: Sie sind es mittlerweile gewohnt, Drohungen zu erhalten. Aber nun hat das Ganze eine andere Qualität bekommen. Wie ist der aktuelle Stand?

Idil Baydar: Der aktuelle Stand ist, dass ich insgesamt fünf Drohnachrichten auf mein Handy bekommen habe. Dass ich im Internet beschimpft oder beleidigt werde, dass ich ausgebürgert werden soll, das bin ich gewohnt. Aber das sind jetzt Nachrichten auf meinem Handy. Das heißt: Da hat jemand meine Telefonnummer, da hat sich jemand Zeit genommen, den Namen meiner Mutter zu recherchieren, und das - ja - das hat für mich definitiv eine "neue Qualität". Jetzt ist alles beim Anwalt gelandet und ich schicke auch die Nachrichten immer weiter an meinen Anwalt. Mein Anwalt ist Mehmet Daimagüler (Vertreter der Opferfamilien im NSU-Prozess - Anm. d. Red.), weil ich denke, dass er für diesen Fall einfach der Beste ist.

Wie weit sind die Ermittlungen?

Bis jetzt haben die Behörden nicht rausgefunden, wer hinter den SMS steckt. Sie haben bei der Webseite nachgefragt, über die die SMS verschickt worden sind. Die IP-Adressen seien nicht gespeichert worden, und die Täter hätten die IP-Adressen verschlüsselt. Ich habe eben mit meinem Anwalt gesprochen. Er meint, die Polizei in Berlin sei eher damit beschäftigt, den Fall an die Polizei in Hessen loszuwerden. Dort wohne ich zurzeit. Herr Daimagüler hat sie darauf hingewiesen, dass jedes Revier in Deutschland die Ermittlungen aufnehmen kann, da die Tat per Internet und Telefon begangen wurde. Es ergibt zudem gar keinen Sinn, weil wir wissen, dass es in Hessen ein großes Problem mit Rechtsradikalen bei der Polizei gibt. Aber wir wollen die Ermittlungen abwarten und nicht vorschnell bewerten, was die Polizei macht.

Wie bewerten Sie die Haltung des Rechtsstaates in Ihrem Fall?

Ich war beim Staatsschutz, und die haben mir schon relativ klar signalisiert, dass sie den Täter wahrscheinlich nicht fassen werden. Offensichtlich scheinen ihre Möglichkeiten sehr eingeschränkt zu sein. Ich habe mich natürlich nicht wohl gefühlt, zur Polizei zu gehen. Es ist ja zurzeit recht schwierig, angesichts der Fälle von rechtsradikalen Polizisten. Zudem wissen wir Migranten, dass wir nicht so behandelt werden, als wenn wir Deutsch-Deutsche wären. Man kann natürlich nicht generalisieren, dass jeder Beamte so handelt, aber die Tendenz ist da, dass wir nicht unbedingt als gleich angesehen werden.

Welche Erwartungen haben Sie an die Behörden?

Ich habe die Erwartung, dass das restlos aufgeklärt wird, man sich dahinter klemmt und alles versucht, um den Täter zu fassen. Nicht nur für mich, sondern auch für viele andere, die bedroht werden. Ich erwarte auch von den Behörden, dass sie dann eventuell nachlegen müssen, was ihre Möglichkeiten betrifft. Das muss man sich vorstellen: Mir wurde geraten, den Chaos Computer Club (eine deutsche Nichtregierungsorganisation für Computersicherheit - Anm. d. Red.) zu kontaktieren, weil die den Täter definitiv ermitteln könnten.

Empfinden Sie das als Versagen des Staates, wenn Ihnen von den Behörden so ein Schritt vorschlagen wird?

Ja, das empfinde ich so. Das ist anscheinend Alltag für die Polizei, dass sie die Täter nicht bekommen, gerade wenn es um Internet-Kriminalität geht. Dass es eine Seite gibt, von der SMS anonym verschickt werden können. Dass der Chaos Computer Club eventuell mehr Möglichkeiten hat als die Polizei, ist schon verwirrend und irgendwie ein Trauerspiel. Wir leben in Zeiten, in denen es bei der Polizei eigentlich eine Abteilung geben müsste, die auch Chaos Computer Club heißt, wo einfach Hacker sind, die solche Sachen herausfinden können, weil sie das nötige Wissen haben.

Ihre Kunstfigur Jilet Ayşe ist furchtlos. Und Sie haben auf Facebook gepostet: "Angst yok, Liebe var" ("Es gibt keine Angst, es gibt Liebe"). Was unterscheidet Idil Baydar in diesem Punkt von Jilet Ayşe? Oder gibt es keinen Unterschied?

Jilet Ayşe ist eine Figur. Da gibt es schon Unterschiede. Dass die Figur und Idil Baydar eventuell die gleiche Struktur haben, gleich vorgehen, das ist auf jeden Fall eine Gemeinsamkeit. Aber ansonsten ist die Figur die Figur und sie würde auch anders reagieren. Aber ich, als Idil, muss auf die Solidarität hinweisen, die ich erfahren habe. Die Zivilgesellschaft hat mir ein unglaubliches Geschenk gemacht. Ich habe so viel Solidarität aus wirklich allen Ecken Deutschlands bekommen, von Deutschen und Migranten. Und das hat schon auch für mich sehr viel verändert. Deshalb konnte ich schreiben: "Angst yok, Liebe var", weil ich auch diese Art von Liebe aus der Zivilgesellschaft bekommen habe.

Die Kabarettistin Idil Baydar wurde durch ihre Kunstfiguren, die Berlinerin Gerda Grischke und die 18-jährige Kreuzberger Türkin Jilet Ayşe, einem Millionenpublikum bekannt. Seit Anfang März werden sie und ihre Familie massiv bedroht.

Das Interview führte Aydin Üstünel.