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Im Darknet ist es laut US-Studie gar nicht so finster

Oliver Linow
8. Dezember 2020

Wer im Darknet surft, sucht nicht unbedingt Illegales. Die meisten wollen ihre Privatsphäre schützen – nicht nur in unfreien Ländern. Laut einer US-Studie nutzen 93 Prozent nur ohnehin frei zugängliche Webseiten.

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Symbolbild Hacker schreibt auf Tastatur
Bild: Imago Images/Westend61

Es ist fast unmöglich, im Internet keine Spuren zu hinterlassen und somit eine Vielzahl an persönlichen Informationen preiszugeben. Das “normale“, oftmals kommerzielle Internet lebt vom Handel mit diesen Daten, das ist den meisten Usern seit rund 20 Jahren bekannt.

Nutzer schenken den großen Internetplattformen ihre Daten, wenn sie zum Beispiel mit Hilfe eines Navigationssystems oder Kartenanbieters erfahren wollen, wie sie am schnellsten von A nach B kommen. Meistens werden die Nutzer höflich und im Kleingedruckten nach diesen Daten gefragt. Manchmal werden ihm diese Daten auch heimlich aus der Tasche gezogen und nicht selten landen sicher geglaubte Daten in der Öffentlichkeit, weil diese dann doch schlecht gesichert wurden.

Gefährliche Datenlecks

Gelangen diese Daten in die falschen Hände, kann das fatale Folgen haben. Durch Datenlecks können Cyberkriminelle immer einfacher schwerwiegende Straftaten begehen, indem sie Identitäten, Kreditkarteninformationen oder andere delikate Informationen abgreifen.

Symbolbild Cyber Sicherheit
Nicht nur Kriminelle, sondern auch Staaten haben ein großes Interesse an den riesigen DatenmengenBild: Getty Images/L. Neal

Aber nicht nur Kriminelle, sondern auch Staaten haben ein großes Interesse an den riesigen Datenmengen aus dem Internet. Denn wenn diese Puzzleteile richtig zusammengesetzt werden, ergibt dies ein sehr genaues Profil der einzelnen Menschen, der Traum aller Überwachungsstaaten.  

Mehr als nur Tummelplatz für Kriminelle

Wer gewöhnlich im “normalen Internet“ surft, weiß nicht viel über das Darknet, höchstens dass da Drogen, Waffen und Kinderpornos gehandelt werden sollen. Sicherlich ist das Darknet auch ein Tummelplatz für Kriminelle, aber ganz so finster wie sein Ruf ist das Darknet nicht. Schließlich gibt es durchaus gute Gründe, unerkannt von kommerziellen Datenkraken oder übergriffigen Regimen im diesen anomymen Netzwerken unterwegs zu sein.

Für Menschen in autokratisch regierten Staaten stellen diese Daten eine sehr große Gefahr dar. Verbietet eine Regierung den Zugriff auf freie Informationen, kann das Lesen der BBC-oder DW-Nachrichten genauso verdächtig sein, wie ein Meinungsaustausch auf sozialen Plattformen.

Vor allem Bürgerrechtler, Journalisten und gesellschaftliche Minderheiten müssen in vielen Regionen der Welt schlimmste Repressalien befürchten, wenn ihre digitalen Spuren im Internet sichtbar werden, sei es durch staatliche Überwachung oder durch Internetplattformen, die Nutzer-Daten unzureichend schützen.

Mehrfacher Schutz durch Zwiebeltechnik

Wer ohne staatliche Überwachung ins Darknet will, braucht dafür eine besondere Zugangssoftware. Dieser Türöffner ist für die meisten der Tor-Browser, eine Abkürzung für “The Onion Router“. Dieser Zwiebel-Begriff stammt von den drei Schichten, die die eigentlichen Daten umgeben und damit anonymisierten. Denn hinter Tor verbirgt sich ein riesiges Computer-Netzwerk, über das die Daten so lange hin- und hergeleitet werden, bis Absender und Empfänger nicht mehr aufzuspüren sind.

Darknet Kriminalität l Symbolbild
Die Anonymität dient auch als wichtige Informationsquelle in unfreien LändernBild: Imago/photothek/F. Gaetner

Weil der Zugang zum Tor-Netzwerk relativ einfach gesperrt werden kann, was seit Jahren in Staaten wie China, Iran oder zuletzt Belarus auch geschieht, bietet Tor einen Zugang über sogenannte “Bridges“ an. Das sind Computer, die den ersten Sprung in das Tor-Netzwerk ermöglichen und häufig wechselnde IP-Adressen haben. Der Einstieg in das Tor Netzwerk kann somit nicht mehr blockiert werden. Damit auch im späteren Verlauf nicht auffällt, dass es sich um Tor-Kommunikation handelt, werden die Internetpakete zusätzlich verschleiert.

Um die “normale“ Seite der Deutschen Welle (dw.com) zu erreichen, verlässt man das Tor-Netzwerk an einem Exit Node. Durch Überwachung von Entry Guards und Exit Nodes kann die Anonymisierung von Tor ausgehebelt werden. Wird stattdessen ein Onion-Service aufgerufen, ist der Umweg über ein Exit Node nicht notwendig und die Webseite kann innerhalb des Tor-Netzwerks vollkommen sicher besucht werden.  Zudem laden die Onion-Service-Webseiten mit dem Tor-Browser auch noch schneller, weil der zusätzliche Weg über den Exit Node entfällt.

Wer benutzt wofür Tor?

Forschende der Universitäten Virginia Tech und Skidmore aus dem Bundesstaat New York wollten herausfinden, wer tatsächlich das Tor-Netzwerk nutzt und welche Inhalte abgerufen werden. Dazu nutzten sie einen eigenen Server, einen sogenannten “Entry Guard“, der eine der drei anonymisierenden Zwiebelschichten von Tor darstellt. Keiner der drei Server kennt Absender und Adressat, jeder besitzt nur ein Teilwissen.

Am Entry Guard erfährt man zwar nicht viel über den Nutzer, aber man kann ansatzweise erkennen, ob der Nutzer eine Webadresse außerhalb des Tor-Netzwerks aufruft, die auch ohne Tor mit einem normalen Browser abrufbar wäre.  Oder ob der Nutzer einen sogenannten “Onion-Service“ aufruft, das sind Webseiten, die mit der Domain “.onion“ enden und außerhalb des Tor-Netzwerks nicht erreichbar sind.

Das Ergebnis der US-Studie war überraschend: 93 Prozent aller über Tor abgerufenen Webseiten waren frei zugängliche Webseiten, für die man eigentlich kein Tor benötigt. Den Nutzern geht es also offenkundig vor allem darum, ihre Privatsphäre zu schützen. Lediglich 6,7 Prozent nutzten Tor, um Onion-Service-Seiten zu besuchen.

Wichtige Informationsquellen in unfreien Ländern

Die Studie der US-Forschenden geht davon aus, dass die meisten .onion-Seiten illegale Inhalte anbieten, weil bei einem Onion-Service auch der Webseitenanbieter anonym bleiben kann. Wer also einen Onion-Service nutzt, der sei auf der Suche nach Drogen, Waffen oder Kinderpornographie, so die Annahme. Diese extrem verkürzte Darstellung wollen aber die seriösen Anbieter der anonymen Internets so nicht gelten lassen.

Informationsanbieter wie zum Beispiel die BBC, New York Times oder BuzzFeed betreiben ganz offiziell Webseiten im Tor-Netzwerk. Und auch die Deutsche Welle ist mit der Adresse dwnewsvdyyiamwnp.onion mit dem Tor-Browser erreichbar.

Screenshot Tor Browser BBC Webseite
Webseiten vom Onion-Service enden mit der Domain “.onion“ und sind außerhalb des Tor-Netzwerks nicht erreichbar

Informationsanbieter wie die BBC, New York Times oder die Deutsche Welle bieten mit ihren Onion-Webseiten einen besonderen Service für Menschen in Ländern mit eingeschränkter Pressefreiheit und staatlicher Überwachung. Ihre Besuche bleiben absolut anonym und hinterlassen keine Spuren. Außerdem lassen sich Webseiten über Tor nicht sperren.

Zielgruppe verfehlt?

Laut der US-Studie werden die Onion-Service-Webseiten in Ländern mit stark eingeschränkter Informationsfreiheit viel seltener aufgerufen (4,8 %) als in freien Demokratien (7,8 %). Allerdings berücksichtigt die Studie explizit nicht die Verwendung von Bridges, die allerdings gerade von Menschen in Ländern mit eingeschränkter Informationsfreiheit genutzt werden. Dort werden häufig auch noch VPN-Zugänge in Verbindung mit Tor genutzt – auch dies blieb in der US-Studie unberücksichtigt.

Die US-Studie hat also nicht wirklich Licht ins Darknet bringen können. Zumindest zeigt sie, dass über 90 Prozent das Tor-Netzwerk nutzen, um ihre Privatsphäre zu schützen, wenn sie “normale“ Webseiten aufrufen.

Gleichwohl wird in den wirklich dunklen Ecken des Darknets auch weiterhin Illegales gehandelt. Wenn man deshalb gleich das gesamte Tor-Netzwerk abschaltet, dann würde dies auch Bürgerrechtler, Oppositionellen und Journalisten in unfreien Ländern von jeder sicheren Kommunikation und von unabhängigen Informationen abschneiden. 

Oliver Linow - Internet Freedom Specialist
Oliver Linow DW Internet Freedom Specialist + IT- and Cybersecurity@OliverLinow