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Im Dickicht des Klangs

Jacek Slaski9. September 2013

Bei der alljährlichen Berlin Music Week lädt die Stadt zum musikalischen Großevent. DW-Reporter Jacek Slaski hat abseits des Schaulaufs Orte gefunden, an denen mit viel Leidenschaft Musik gemacht wird.

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Privatclub Berlin
Bild: Privatclub

Von der Warschauer Straße, der großen Verkehrsader, die die Stadtbezirke Kreuzberg und Friedrichshain verbindet, ziehen jeden Abend unaufhörlich Menschenmassen gen Norden. Gut gelaunt, laut, auffällig gekleidet, die meisten mit einer Bierflasche in der Hand. An der ersten Kreuzung biegen fast alle in die Revaler Straße ab: zum RAW-Gelände am südlichen Ende des Szenebezirks Friedrichshain. Im einstigen Reichsbahnausbesserungswerk, kurz RAW, wurden früher Züge repariert. Heute ist das charmant heruntergekommene Areal von 71.000 Quadratmetern eine Art Vergnügungspark für Nachtschwärmer. Zwischen Gestrüpp und alten Werkshallen haben sich seit 1999 Technoclubs, Bars, Biergärten sowie das Astra etabliert - eine Konzerthalle für knapp 2000 Gäste, in der Bands wie MGMT, Portugal, The Man oder The Cult auftreten.

In Berlin finden jeden Abend mindestens zwei Dutzend solcher Konzerte statt, irgendwo verstreut in den Weiten der Spreemetropole. Noch mehr werden es Anfang September sein - wenn die Berlin Music Week das musikalische Geschehen in der Hauptstadt in den Focus Musikschaffender aus aller Welt rückt. Dann drängen ungezählte Newcomer-Bands und Solokünstler auf die Bühnen zwischen Mitte, Kreuzberg und Friedrichshain, große Partys werden gefeiert, Preise an Künstler vergeben, die vielleicht in einem der Berliner Clubs wie dem Badehaus Szimpla angefangen haben.

Von Budapest nach Berlin

In dem Club auf dem RAW-Gelände stranden viele Nachtschwärmer. Seit einigen Jahren ist das Badehaus Szimpla in einem mit Tags bemalten Ziegelstein-Häuschen mit Außentreppe beheimatet. Wo sich früher die Bahnarbeiter nach der Schicht wuschen, finden nun täglich Konzerte statt. Die fremdartig klingende Bezeichnung "Szimpla" geht auf halblegale Budapester Bars zurück, in denen man zu später Stunde schweren Rotwein trinken und feurige Musik hören kann.

Szimpla Badehaus; Copyright: Michael Nürnberg
Wer Mainstream sucht, ist falsch im Szimpla Badehaus in FriedrichshainBild: Michael Nürnberg

Auch der Berliner Ableger der Budapester Pubs wird von einem Ungar geführt, der auf trashig-rustikales Ambiente mit osteuropäischer Note setzt. Die Preise sind dabei moderat, meist zahlt man drei bis sechs Euro an der Tür. Frei nach dem Motto "Jeder wie er kann" erhält man Zutritt zu den zwei länglichen Räumen. Im vorderen erstreckt sich eine lange Theke, an der die Barkeeper geschäftig Bier an bärtige Männer in engen Jeans und Frauen in langen Blumenkleidern ausschenken. Man hört viel Englisch und Spanisch. Von touristischer Hektik keine Spur. Vielmehr herrscht anregende Hippie-Atmosphäre. Der zweite Raum, an dessen Ende die Bühne dominiert, ist mit alten Sesseln und klapprigen Stühlen gefüllt. Bei Bedarf, wenn etwa wild getanzt oder es einfach zu voll wird, schiebt man sie zur Seite.

Die musikalische Bandbreite reicht weit über Balkan-Folklore hinaus. Bei den regelmäßigen Hip-Hop-Jams treffen sich Rapper, DJs und Instrumentalisten. Swing-Abende entführen in die Welt der 20er- und 30er-Jahre, sonntags wird meist Jazz gespielt. Und auch sonst fehlt kaum ein Genre - von Gypsy Punk über Liedermacher, Reggae-Rock, Ska und Weltmusik ist alles dabei. "Das Badehaus Szimpla ist kein klassischer Club, sondern macht Kultur. Die meisten unserer Besucher kommen, weil sie gerne etwas Neues entdecken wollen", weiß Szimpla-Mitarbeiter Mark Hinz.

Musikalische Trüffel im Privatclub

Zwei U-Bahn-Stationen weiter in Richtung Kreuzberg leuchtet ein rotes "P" am großen Postgebäude in der Skalitzer Straße. Hierher ist im Frühjahr 2013 der Privatclub gezogen, der zuvor etwa zehn Jahre im Keller eines stadtbekannten Schnitzelrestaurants residierte.

Privatclub Berlin; Copyright: Privatclub
Von außen eher unscheinbar: der Privatclub in KreuzbergBild: Privatclub

Norbert Jackschenties, der Betreiber des Privatclubs, pflegt exquisite Kontakte zu Veranstaltern und Tourmanagern. Und schafft es so immer wieder, angesagte Bands, die kurz vor dem Durchbruch stehen, in seinen kleinen Club zu lotsen. "Die Programmauswahl sollte immer auch ein bisschen cool, trendy und mutig sein", erklärt Jackschenties das Konzept. Und fügt hinzu: "Beim Ausbau haben wir darauf geachtet, dass technisch alles auf dem neusten Stand ist. Aber wir wollten auch einen schönen und gemütlichen Club." Im Inneren ist alles in schummriges Rot getaucht.

Privatclub - der Name ist Programm. Auftritte des Soulsängers Matthew E. White oder der betörenden Folk-Schwestern The Staves in einem Raum zu erleben, der nur knapp größer ist als die eigene Wohnung, darf man getrost als privat bezeichnen. Songwriter aus dem amerikanischen Süden, Indierocker aus Schweden oder portugiesische Popsternchen: Wer sie hier gesehen hat, erlebt oft das Berlin-Debüt der Stars von morgen. Meist kehren sie nicht in Norbert Jackschenties' Club zurück, sondern spielen einige Monate später woanders zu höheren Preisen und vor größerem Publikum. Jackschenties muss dann wieder losziehen und frische musikalische Trüffel ausgraben.

100 Prozent Retro-Musik im Bassy Club

Ganz im Gegensatz zum Bassy Club. Hierher kommen Musiker gern immer wieder zurück. Seit gut 15 Jahren pflegt diese Berliner Clubinstitution, die zwischen den Innenstadtbezirken Mitte und Prenzlauer Berg angesiedelt ist, die Musik von vor 1969. Künstler und Publikum schätzen die Retro-Atmosphäre: Das Bassys ist eine Kreuzung aus Western-Saloon und Burlesque-Theater, mit Schrotflinte über der Bar, ausgestopften Tieren an der Wand und einer Stange für Pole-Dance in der Ecke.

Bassy Club Berlin; Copyright: Bassy Club
Auf dieser Tanzfläche wird ausschließlich zu Musik von vor 1969 getanztBild: Bassy Club

Wer musikalische Eintönigkeit vermutet, wird mit einer wilden Mischung aus Hot Jazz, Dirty Blues, Western Swing, Country, Rhythm & Blues, Rock'n'Roll, Surf und Exotica eines Besseren belehrt. Und obwohl viele Besucher ein Faible für Vintage-Mode und Vinyl-Schallplatten hegen, sind die Konzerte mit anschließender Party alles andere als biedere Oldie-Veranstaltungen. Hin und wieder spielt zwar eine Ikone aus alten Tagen wie die Countrysängerin Wanda Jackson oder der Surf-Gitarrist Dick Dale. Aber meist sind die mehrmals in der Woche auftretenden Bands ebenso wie die Zuschauer deutlich jünger als der Sound, den sie zelebrieren. Der Vergangenheit verfallen? Ganz bestimmt! Ob Bassys, Privatclub oder Badehaus Szimpla: In Berlin gibt es viele liebevoll gepflegte Musikwelten, die es zu entdecken lohnt.