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Im Elfenbein-Palast

Christoph Gunkel12. Februar 2014

Hamburg möchte mit der Elbphilharmonie eine neues Wahrzeichen schaffen und künftig in der Liga der besten Konzerthäuser der Welt spielen. Ein Besuch auf der umstrittensten Baustelle der Hansestadt.

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Elbphilharmonie Hamburg Außenansicht
Bild: DW

Der Plan klingt abenteuerlich: rein in den Bauch des Ungetüms, auf Planken über den reißenden Fluss, dann ganz nach oben, auf schwindelerregende 100 Meter über dem Wasser, von dort wieder hinab auf eine etwas wackelige, hölzerne Zwischenebene - und bitte überall auf herunterhängende Kabel achten.

"Fast wie im Dschungelcamp", scherzt Christoph Faden, den Schutzhelm lässig unter dem Arm geklemmt, "entlang hangeln müssen wir uns schon ein wenig." Neun Männer und Frauen nicken, lachen, tuscheln. Auch sie sind mit gelben Gummistiefeln und weißen Helmen für alle Eventualitäten gerüstet.

Aufstieg in die Konzerthaus-Elite

"Als ich vor vier Jahren bei der Kulturbehörde anfing, ging hier gar nichts", erzählt der Jurist Christoph Faden seinen Besuchern, denen er die Baustelle zeigen möchte. Die Stadt und die Baufirma Hochtief lieferten sich heftige Kämpfe, die Zeitungen titelten "Millionengrab" und "Planungsdesaster", und die Kosten explodierten von anfangs geschätzten 77 Millionen auf nunmehr 789 Millionen Euro. In den vergangenen Monaten aber habe es "erhebliche Fortschritte" gegeben, sagt Faden, und flüchtet sich dennoch in Galgenhumor: "Passen Sie auf, wo Sie hintreten. Hier wird tatsächlich immer wieder mal gearbeitet!"

Christoph Faden (ohne Gummistiefel) im Gespräch mit seinen Gästen bei einer Führung in der Elbphilharmonie Hamburg
Christoph Faden (ohne Gummistiefel) ist optimistisch, dass die Elbphilharmonie Hamburg im Frühjahr 2017 eröffnet werden kannBild: DW

Das muss es auch, ein neuer Zeitplan wurde inzwischen vertraglich festgesetzt: im Oktober 2016 sollen die Bauarbeiten endgültig abgeschlossen sein, die Eröffnung ist für den 11. Januar 2017 geplant. Die Erwartungen der Stadt sind riesengroß. Man hofft nicht nur, künftig zu den zehn besten Konzertsälen der Welt zu zählen. Gleichzeitig soll ein neues urbanes Wahrzeichen entstehen, das Alt und Neu verbindet: ein elegant geschwungener, luftiger Glaspalast, der aus dem roten Backsteinsockel eines historischen Kaispeichers zu wachsen scheint, in dem einst tonnenweise Kaffe oder Tabak gelagert wurden. Die Stadt der Seeleute und Händler will fortan eine international renommierte Kultur-Metropole werden; was in Sydney mit dem Opernhaus gelang, möchte Hamburg mit der Elbphilharmonie schaffen.

Was man auch immer von dem ehrgeizigen Prestigeprojekt hält - eine Touristenattraktion ist das Konzerthaus jetzt schon. Von August 2012 bis Juli 2013 kamen 30.000 Besucher auf die Baustelle. Es gibt professionell ausgebildete Guides, Hochglanzbroschüren, öffentliche Führungen für fünf Euro und Sonderbesichtigungen für Gruppen ab 250 Euro. Der Andrang ist derart groß, dass Termine schon Wochen im Voraus ausgebucht sind, selbst jetzt, bei klirrender Kälte.

Oben wohnen die Betuchten - auf der Plaza staunt das Volk

Tapfer stapfen die neun Angestellten des "Elisabeth Alten- und Pflegeheims" nun über das Baugerüst, direkt unter ihnen schimmert durch die Löcher der Metallplanken grün die Elbe. Nicht alle sind schwindelfrei, nicht alle wagen den Blick in die Tiefe. Dann geht es noch höher, mit dem Fahrstuhl ins 16. Obergeschoss und die ersten Besucher überschlagen sich vor Begeisterung: "Fett", stößt eine Frau mit grünem Schal hervor, "das kaufe ich sofort!"

Die Gruppe steht im Rohbau einer der 45 Luxuswohnungen, die in der Spitze der Elbphilharmonie gebaut werden. Eine extravagante Loggia in Form einer überdimensionierten Stimmgabel. Bodentiefe, etwa vier Meter hohe Fenster, die an den Rändern mit dunklen Punkten bedruckt sind. Ein wenig sieht es so aus, als sei jemand mit einem riesigen Bunsenbrenner über die tonnenschweren Scheiben gegangen und habe einen ovalen Ausguck freigelassen. Man mag diese Umrandung hässlich finden, aber sie schützt vor einem Blickfeld, das senkrecht in die Tiefe stürzt.

Rohbau einer Luxuswohnung in der Elbphilharmonie - Innenansicht mit Fensterfront
Rohbau einer Luxuswohnung in der ElbphilharmonieBild: DW

Am Horizont erheben sich ein Dutzend baumhoher Kräne, unten dümpelt eine Fähre vorbei: Industrieromantik, mit unverbaubarer Sicht. Was so eine Wohnung kosten wird, will die Frau mit dem vorschnellen Kaufangebot nun wissen. "Womöglich 15.000 pro Quadratmeter", sagt Faden, "vielleicht mehr." Dann beeilt er sich zu sagen, auch wenn es hier oben seltsam klingt, die Elbphilharmonie sei keineswegs für die oberen Zehntausend geplant, sondern "ein Haus für alle". Deshalb werde es auf 37 Metern Höhe auch eine große Plaza mit Rundblick geben, kostenlos und frei zugänglich. Zudem werde die Kulturbehörde auch auf die Ticketpreise Einfluss haben, jedenfalls bei den städtischen Konzerten.

Akustische Tropfsteinhöhle

Irgendwie scheint eine Besichtigung der Elbphilharmonie unmöglich, ohne über Geld zu reden. Doch jetzt soll es endlich allein um die Kultur gehen. Christoph Faden geht voran, vorbei an einigen der insgesamt 1100 garagentorgroßen Fensterelementen, im Hintergrund ist ein altes Wahrzeichen zu sehen, der Michel. Hinab geht es über ein paar großzügige Treppen, alles noch im Rohbau, auf eine provisorische Zwischendecke aus Holz. Die Besucher befinden sich nun direkt unter der Decke des großen Konzertsaals, der einmal 2150 Gäste fassen wird. Der Saal ist ein Gebäude im Gebäude, er ruht wie der Nusskern in der Schale, isoliert durch Hunderte Stahlfederpakete. So soll der Schiffslärm draußen gehalten werden.

Ausblick aus dem 16. Stock, im Hintergrund der Michel - Führung mit Gruppe im Rohbau
Ausblick aus dem 16. Stock, im Hintergrund der MichelBild: DW

Steil und terrassenförmig sollen sich einmal die Publikumsränge hochziehen, wie an einem Weinberg, von der Bühne bis zur Deckenspitze sind es 30 Meter. Die größte Herausforderung bei so einer Konstruktion ist die Akustik, deshalb wird unter der Decke ein trichterförmiger Klangreflektor montiert, der den aufsteigenden Klang gleichmäßig im Raum verteilen soll. Hunderte lasergeschweißte Stahlprofile funkeln im Licht der Baustellenlampen, es sieht ein wenig so aus, als ob hier ein kleines Raumschiff gebaut wird, und dazu passt, dass Christoph Faden aufgeregt etwas sucht, was er nur die "weiße Haut" nennt.

Die "weiße Haut" ist die Innenverkleidung des Konzertsaales. Der Stolz des ganzen Hauses. Eine Weltneuheit. Entworfen hat sie der japanische Star-Akustiker Yasuhisa Toyota. Die Haut besteht aus 10.000 Gipsfaserplatten, alle in Form, Größe und Oberflächenstruktur unterschiedlich gefräst, um den Klang optimal zu reflektieren - manche gleichen Wellen, andere Tälern. Das Ganze sehe aus wie eine Tropfsteinhöhle, sagte Toyota, als er vor wenigen Wochen auf der Baustelle war. Tropfsteinhöhle, das könnte einem bei der Elbphilharmonie Angst machen, war aber als Lob gemeint.

Ein Stück der "weißen Haut", der Innenverkleidung des großen Konzertsaals soll für einmalige Akustik sorgen
Ein Stück der "weißen Haut" - die Innenverkleidung des großen Konzertsaals soll für einmalige Akustik sorgenBild: DW

Wie gut die bisher nur per Computer berechnete Akustik in der Praxis funktioniert? Niemand kann es genau vorhersagen. Ob der Eröffnungstermin eingehalten werden kann? Faden ist sich sicher, seine Besucher bleiben skeptisch. Als er sich verabschieden will, schlägt der eisige Wind eine Eisentür mit lautem Knall ins Schloss. Alle zucken zusammen. Noch ist es ungemütlich in der Elbphilharmonie und der Klang, zumindest im Erdgeschoss, ziemlich blechern.