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PolitikSudan

Sudans Hoffnungen liegen auf der Straße

Jennifer Holleis
24. Oktober 2022

Ein Jahr ist es her, dass im Sudan eine Militärregierung die Macht übernahm. Doch der steht eine riesige Protestbewegung gegenüber. Das Land schlittert in eine humanitäre Katastrophe.

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Demonstranten mit Fahnen
Seit dem 25.10.2021 regiert das Militär im Sudan - und Zivilisten protestierenBild: Marwan Ali/AP/dpa/picture alliance

Die Straßen Khartums waren brechend voll an diesem denkwürdigen 25. Oktober 2021. Tausende waren gekommen, sie demonstrierten, sie riefen: "Keine Machtteilung mit dem Militär" oder "Zurück in die Kasernen". Kurz zuvor waren der zivile Premierminister Abdalla Hamdok und seine demokratische Übergangsregierung von General Abdel-Fattah al-Burhan aus dem Amt gedrängt worden.

Ein Jahr ist das nun her und der Sudan kommt nicht zur Ruhe. Proteste wie der damalige sind inzwischen Alltag geworden. Zivilisten demonstrieren immer wieder gegen die Militärregierung. "Hier in Khartum werden sogar Pläne herumgereicht, wann diesen Monat wo welcher Protest stattfindet", berichtet Christine Röhrs, Repräsentantin der deutschen SPD-nahen Friedrich-Ebert Stiftung (FES) im Sudan. Gerade letzten Donnerstag war es wieder soweit. "Morgens waren alle hektisch damit beschäftigt, zur Arbeit zu kommen, bevor Straßen wieder lahmgelegt werden oder man nicht mehr durchkommt", so Röhrs.

Doch die Machthaber vom Militär reagieren immer wieder brutal auf aufkeimende Proteste. Nach Angaben von Regionalvertretern sind im Laufe der letzten zwölf Monate fast 200 Menschen getötet und etwa 7000 sind verletzt worden. "Das sind fortgesetzte Proteste der Zivilgesellschaft, getragen vor allem von der Jugend", so Röhrs.

General Abdel Fattah al-Burhan
Abdel-Fattah al-Burhan kam vor exakt einem Jahr an die Macht - zur Ruhe brachte er den Sudan nichtBild: TONY KARUMBA/AFP

Eine von ihnen ist die 37-jährige Rania Abdelaziz. "Ich bin beeindruckt davon, wie wir als Nation gewachsen sind und wie stark unsere Widerstandsfähigkeit ist", sagt die Aktivistin im Gespräch mit der DW. "Wie oft war ich schon müde, erschöpft, und dachte mir, ich sei kurz vorm Aufgeben. Dann aber habe ich wieder gesehen, dass ich nicht alleine bin. Und zusammen kämpfen wir weiter."

Begrenzte militärische Kraft

Ein funktionierendes politisches System ist in dem einen Jahr nicht entstanden. Die Protestbewegung und die Militärregierung befinden sich in einem Patt, der jeden politischen Prozess lahmlegt. Nach Burhans Machtergreifung wurde Hamdok erst verhaftet und dann zwar wieder eingesetzt, kurz danach stellte er das Amt aber wieder zur Verfügung. Neun Monate nach Beginn der Proteste sagte Burhan zu, dass es Wahlen geben solle und er danach zurücktreten werde. Dabei bestand er allerdings auf einer zivilgeführten Regierung, die eng mit einem militärgeführten Obersten Rat zusammenarbeitet.

Chef dieses Rats sollte sein Stellvertreter Mohamed Hamdan Dagalo werden, der für die brutale Niederschlagung von Demonstrationen verantwortlich gemacht wird. Aufgrund neuer Proteste musste er von dem Plan absehen. 

Gespaltene Protestbewegung

Inzwischen spricht die Opposition auf der Straße auch nicht mehr mit einer Stimme: Sie hat sich aufgespalten in einen Teil, der das Militär komplett ablehnt und einen anderen, der es unterstützt. Keine der Fraktionen hat einen eigenen Kandidaten für den Posten des Premierministers aufgestellt. Kurz vor dem Jahrestag berichten diverse Medien, dass bei Gesprächen ein Kompromiss zur Einsetzung eines neuen zivilen Premierministers erreicht worden wäre. Auch die Macht des Militärs soll bei dieser Kompromisslösung eingeschränkt werden.

Brennende Barrikade vor Demonstranten
Sie sind viele, sie sind laut - homogen ist die Protestbewegung im Sudan aber nichtBild: Marwan Ali/AP/dpa/picture alliance

Doch das Modell wirkt nicht auf alle überzeugend. "Die sudanesischen Offiziellen sind von einem demokratischen Prozess so weit entfernt wie noch nie", sagt Sami Hamdi von der Organisation "International Interest" der DW. "Die Diskussion dreht sich im Moment eher darum, wie man die Übergangsperiode verlängern kann. Und wie man eine Übereinkunft zwischen militärischen und zivilen Parteien ermöglichen kann. Um Wahlen geht es dabei gar nicht unbedingt", so Hamdi. Manche Beobachter sind ohnehin der Meinung, dass die Opposition dem Land einen größeren Gefallen täte, wenn sie sich aus der Regierung raushielte. "Widerstandsgruppen sollten bleiben, was sie sind - aufmerksame Aufpasser, statt Teil der Regierungsgewalt zu werden", sagt Hamid Khalafallah, politischer Analyst vom Think Tank "Tahir Institut für Nahost-Politik", der DW.

Menschenrechtsorganisationen warnen, dass eine weitere Verschleppung einer Übereinkunft die Situation im Land verschlimmern könnte. Denn als Konsequenz des Staatstreichs waren ökonomische Reformen gestoppt und internationale Finanzhilfen eingefroren worden. Die Volkswirtschaft des Sudans befindet sich seit einem Jahr im freien Fall, zusätzlich angefacht durch Preissteigerungen infolge des russischen Angriffs auf die Ukraine. "Von Lebensqualität kann man in einem der ärmsten Länder der Welt ohnehin nicht sprechen. Das ist eher eine Überlebensqualität, um die es hier geht", so Christine Röhrs von der FES. "Die Preise von Strom und Diesel beispielsweise haben sich verdrei- bis vervierfacht seit dem Putsch, Wasser ist viermal teurer." Auch Aktivistin Abdelaziz macht sich Sorgen: "Die Leute fangen schon an zu klauen."

Dramatische Versorgungslage

Ein Bericht vom März dieses Jahres, den die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen gemeinsam mit dem Welternährungsprogramm herausgegeben hat, zeichnet ein erschreckendes Bild. Die UN schätzten vor sieben Monaten, dass zum Zeitpunkt des Jahrestags des Staatsstreichs zweimal so viele Sudanesen Hunger leiden würden. Das bedeutet 18 Millionen Menschen, die derzeit nicht genug Nahrung haben und deren Leben akut in Gefahr ist, so die UN.

Und leider, davon geht Experte Hamdi aus, wird diese Versorgungskrise den politischen Versöhnungsprozess auch nicht gerade beschleunigen - der ja die Freigabe internationaler Hilfsgelder bedeuten könnte. Im Gegenteil: "Eher hat die Versorgungskrise das Potential, einen neuen Bürgerkrieg zu verursachen", so der Analyst.

Zwei Kinder und Frau, die einen trockenen Boden bearbeitet
Feldarbeit nahe der Hauptstadt Khartum: Der Sudan steht vor einer HungerkatastropheBild: Mohamed Babiker/picture alliance/Photoshot

Was passiert am Jahrestag?

Gespannt warten jetzt alle politischen Player im Land auf den Jahrestag. Wie viele Demonstranten werden auf die Straßen gehen? Zivile Gruppen glauben, an der Zahl der Protestierenden ablesen zu können, wie viele Menschen überhaupt noch an einen Wandel glauben. Und das Militär verspricht sich davon, besser einschätzen zu können, wie stark die Opposition derzeit tatsächlich noch ist. "Daran können sie ablesen, wie die Unterstützung ist und ob es sich lohnt, den jüngsten Kompromissvorschlägen zuzustimmen - oder ob Spielraum für Neuverhandlungen da ist", so Hamdi.

Christine Röhrs sieht Anzeichen für eine rege Beteiligung an Protesten zum Jahrestag: "Das wird richtig groß. Fast alle sudanesischen und internationalen Organisationen vor Ort haben am 25. Oktober geschlossen".

Auch Rania Abdelaziz wird dann wieder dabei sein. "Der Kampf ist groß - aber ich bin voller Hoffnung. Die Forderungen der Straße, sie bleiben stark".

Adaption aus dem Englischen von Friedel Taube.