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Im Trainingslager

Marcel Fürstenau7. Januar 2005

Wer von Politik(ern) eine schlechte Meinung hat und nach vermeintlichen Belegen für seine Ansichten sucht, dem dürfte ein Besuch im Berliner Regierungsviertel genügend Stoff liefern. Zumindest auf den ersten Blick.

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Marcel Fürstenau

Prima vista sieht’s hier so aus, als wären die Weihnachtsferien verlängert worden und die Abgeordneten noch im Urlaub, während der Rest der Bevölkerung schon längst wieder malocht oder sein Arbeitslosengeld abholt. Aber natürlich täuscht der erste Blick. Wer genau hinschaut und den Rhythmus des Politik-Betriebs kennt, der weiß, dass sich die Damen und Herren aus den Partei-Zentralen, Fraktionen und Ministerien intensiv warmlaufen für das noch so junge Jahr 2005.

Politische Trainingslager

So wie im Profi-Sport üblich, zieht es auch die Polit-Akteure in entlegene Gegenden. Zwar nicht gleich nach Portugal oder in die Türkei, wo sich Fußballer gerne auf kommende Aufgaben vorbereiten. Aber immerhin nach Weimar (SPD), Wörlitz (Grüne), Kiel (CDU) und Kreuth (CSU). Diese mehr oder weniger weit vom hektischen Berlin entfernten Flecken haben sich die Parteien und Fraktionen für ihre Klausuren auserkoren, um Kräfte zu sammeln. Nicht zu vergessen die FDP, deren traditionelles Dreikönigstreffen wie immer in Ländle (Stuttgart) stattfand.

Bei diesen ritualisierten Veranstaltungen wird alle Jahre wieder der Teamgeist beschworen und oft das Gegenteil praktiziert. Waren 2004 die regierenden Sozialdemokraten und Grünen nicht nur im Stimmungstief, sondern auch damit beschäftigt, sich gegenseitig und innerparteilich das Leben schwer zu machen, sind es diesmal die opponierenden Unionsparteien und Liberalen.

Fiesheiten um Macht und Einfluss

In der CSU werden weiterhin die Führungsqualitäten der CDU-Vorsitzenden und Möchtegern-Kanzlerkandidatin Angela Merkel in Zweifel gezogen. Die CDU selbst ist schon froh, wenn ihr nach der Finanzfachkraft Friedrich Merz und dem Generalsekretär Laurenz Meyer nicht noch einer von der Fahne geht. Und bei der FDP wird wieder einmal Generalsekretärin Cornelia Pieper gemobbt.

Natürlich werden diese Fiesheiten um Macht und Einfluss nach den bekannten Mustern heruntergespielt. "Meine Zusammenarbeit mit Angela Merkel ist vertrauensvoll und wir können uns aufeinander verlassen“ (CSU-Landesgruppenchef Michael Glos). "Zwischen den Parteivorsitzenden und mir passt im übertragenen Sinne kein Blatt Papier, auch wenn dies mitunter anders dargestellt wird“ (FDP-Generalsekretärin Pieper über ihr Verhältnis zu Guido Westerwelle).

Treueschwüre und Prophezeiungen

Was von den Treueschwüren zu halten ist, wird die erwartungsfrohe Öffentlichkeit vielleicht schon Ende Februar erfahren, wenn die Landtagswahl in Schleswig-Holstein auf dem Programm steht. Dann nämlich wird im Falle einer Niederlage nach Schuldigen gesucht. Oder es werden sich - bei einem erfolgreichen Ergebnis - verblüffend viele selber zu Siegern erklären.

Wer nun glaubt, diese Wahrnehmungen und Prophezeiungen seien ungerecht und allzu pessimistisch, dem wünsche ich, dass er/sie recht behalten möge. Und wenn gegen alle politische Erfahrung und Wahrscheinlichkeit Cornelia Pieper im Sommer noch FDP-Generalsekretärin sein sollte und CDU-Chefin Angela Merkel offizielle Kanzlerkandidatin der Union, dann werde ich mit mir selbst in Klausur gehen. Was da bedeutet, innere Einkehr zu halten und mich zu fragen, wie ich mich so sehr in unserer politischen Klasse täuschen konnte.