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G7: Gräueltaten in der Ukraine sollen vor Gericht

29. November 2022

Die Justizminister der größten demokratischen Wirtschaftsnationen werfen Russland Gräueltaten gegen Zivilisten vor. Tatverdächtige sollen vor dem Internationalen Strafgerichtshof angeklagt werden.

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Eine junge Frau hält vor dem Berliner Reichstagsgebäude ein Plakat in den ukrainischen Farben Blau und Gelb in den Händen. Das Wort "War" (Krieg) ist mir roter Farbe durchgestrichen, darunter steht "Genocide" (Völkermord). Daneben steht ein junger Mann, der ein Pappschild in die Höhe hält. Darauf steht unter anderem: "167 Children killed bei Russian Occupants" (167 Kinder wurden von den russischen Besatzern getötet)
In Berlin gibt es immer wieder Protest gegen mutmaßliche russische Kriegsverbrechen in der UkraineBild: Jens Krick/Flashpic/picture alliance

Bundesjustizminister Marco Buschmann lässt keinen Zweifel an seiner Sicht auf die Invasion Russlands in der Ukraine: "Die Art und Weise, wie Russland diesen Krieg führt, ist verbrecherisch", sagt er zur Begrüßung beim Justizminister-Treffen der G7-Staaten in Berlin. Dem Zusammenschluss gehören sieben der stärksten demokratischen Wirtschaftsnationen weltweit an: Neben Deutschland sind das Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan, Kanada und die USA.

50.000 Fälle von Kriegsverbrechen dokumentiert

Gemeinsam mit dem Internationalen Strafgerichtshof und der Ukraine wollen diese Länder mutmaßliche russische Kriegsverbrechen seit dem Überfall auf das Nachbarland am 24. Februar 2022 verfolgen. Nach Buschmanns Angaben sind allein in der Ukraine rund 50.000 Fälle dokumentiert. Es gebe etwa 600 Verdächtige und gegen 200 mutmaßliche Täter seien Verfahren im Gange. "Das zeigt, wie groß die Herausforderung ist, gegen diese Verbrechen vorzugehen", sagt der Freidemokrat.      

Folter und Mord durch russische Besatzer?

Buschmann wirft Russland militärische Angriffe gegen die Zivilbevölkerung vor, "die darauf abzielen, Menschen ohne Heizung, ohne Strom einem Winter auszusetzen, in dem es Minus 30 Grad werden kann". Gegen dieses Unrecht müsse man vorgehen. So sieht es auch der ebenfalls zum G7-Justiziminister-Treffen eingeladene Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs, Karim Khan. Das Gebot der Stunde sei Gerechtigkeit. Auf der ganzen Welt einschließlich der Ukraine seien Verantwortlichkeit und Transparenz nötig, "um sicherzustellen, dass die Prinzipien der Menschlichkeit eingehalten werden".

Täter für ihre Gräueltaten zur Rechenschaft ziehen

Aus Großbritannien ist Generalstaatsanwältin Victoria Prentis nach Berlin gekommen. "Wir haben aus erster Hand gehört, wie durch Russlands Angriff Familien getrennt, Zukunftspläne zerstört und ein Nährboden für Traumatisierte geschaffen wurden." Deshalb sei klar, dass ein geschlossenes Auftreten der G7-Staaten immer wichtiger werde, "wenn die Täter für ihre Gräueltaten wirklich zur Rechenschaft gezogen werden sollen".

Deutschlands Justizminister Marco Buschmann (r.) unterhält sich vor einem Saal im Auswärtigen Amt in Berlin mit der britischen Generalstaatsanwältin Victoria Prentis
Deutschlands Justizminister Marco Buschmann (r.) im Gespräch mit der britischen Generalstaatsanwältin Victoria PrentisBild: Florian Gaertner/photothek/BMJ

Der Justizkommissar der Europäischen Union (EU), Didier Reynders, betont zudem die Bedeutung von Sanktionen gegen russische Oligarchen: Bislang habe man Vermögen im Wert von 18,9 Milliarden Euro eingefroren. Man werde versuchen, dieses Geld zu konfiszieren, um es der Ukraine für den Wiederaufbau ihres Landes zu geben.

Deutschland und Frankreich ziehen an einem Strang

Dabei darf der EU-Kommissar besonders auf die Unterstützung des deutschen Justizministers Marco Buschmann und seines französischen Kollegen Éric Dupond-Moretti setzen. Die beiden fordern in einem Gastbeitrag für das Fachportal "Legal Tribune Online" beim Thema Sanktionen über nationale Zuständigkeiten hinausgehende europäische Maßnahmen.

Sind Sanktionen sinnvoll?

Sanktionsverstöße müsse man nicht nur gemeinsam bestrafen, sondern auch gemeinsam verfolgen. "Deshalb sprechen wir uns dafür aus, dass die Zuständigkeit der Europäischen Staatsanwaltschaft auf Verstöße gegen restriktive Maßnahmen der Europäischen Union ausgeweitet wird", schreibt das deutsch-französische Duo. Man dringe darauf, dass die Europäische Kommission bald entsprechende Vorschläge vorlege. 

Mutmaßlicher Kriegsverbrecher: Wladimir Putin 

In einer gemeinsamen "Berliner Erklärung" verurteilen die G7-Justizminister den von Wladimir Putin angeordneten Angriffskrieg gegen die Ukraine "auf das Schärfste". Die Liste der Vorwürfe ist lang: Tötung und Verletzung von Zivilpersonen und Kriegsgefangenen, das Verschwinden von Kindern, systematische Angriffe auf die kritische Infrastruktur, weitreichende Schädigung von Gesundheitspersonal und -einrichtungen sowie sexuelle Gewalt. 

"Die Russische Föderation verletzt in eklatanter Weise das Völkerrecht", heißt es in der gemeinsamen Abschlusserklärung. Deutschlands Justizminister Marco Buschmann verspricht sich von dem ersten G7-Treffen der Justizminister dieser Art einen starken Impuls, um Kriegsverbrechen verfolgen zu können. Man wolle sich noch besser miteinander vernetzen und Beweismittel sicherstellen, "damit unsere Antwort auf diese Kriegsverbrechen immer auch unseren eigenen Maßstäben gerecht wird: mutmaßliche Täter vor Gericht zu stellen".

G7-Prinzipien: Demokratie, Humanität, Völkerrecht

Von Berlin gehe ein politisches Signal aus: Die G7-Staaten seien ökonomisch stark, "aber auch eine Wertegemeinschaft, die sich den Prinzipien der liberalen Demokratie verpflichtet fühlt, den Prinzipien der Humanität, des Völkerrechts, der unveräußerlichen Menschenrechte". Dazu gehöre, dass das Kriegsvölkerrecht und das Völkerstrafrecht geachtet werden müssten. "Kriegsverbrechen dürfen nicht ungesühnt bleiben. Egal, wer sie begangen hat und egal, wo sie begangen worden sind."

Das aus viel Gals und Stahl bestehende Gebäude des Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag; im Vordergrund eine Skulptur einer aus zwei Schalen bestehenden Waage, die von einem Lorbeer-Kranz eingerahmt ist.
Ist Wladimir Putin ein Fall für den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag? Die G7-Staaten hoffen darauf Bild: Peter Dejong/AP/picture alliance

Die Position der Bundesregierung sei es, so weit wie möglich mit dem Internationalen Strafgerichtshof in den Haag zusammenzuarbeiten, betont Marco Buschmann. Innerhalb der G7 herrsche große Einigkeit, dass auch die russische Führungsebene belangt werden müsse. Allerdings gebe es für nationale Ermittlungsbehörden Grenzen, etwa bei Staatsoberhäuptern. Davon profitiert auch Russlands Präsident Wladimir Putin.

"Wir werden gut vorbereitet sein und einen langen Atem haben"

Diese Grenzen würden jedoch nicht für den Internationalen Strafgerichtshof gelten. Deshalb setzt der deutsche Justizminister darauf, dass dort wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit gegen die gesamte russische Führung ermittelt wird. Die juristische Aufarbeitung der Gräueltaten in der Ukraine werde Jahre, vielleicht sogar Jahrzehnte dauern. "Aber wir werden gut vorbereitet sein - und einen langen Atem haben."

Darauf hofft auch der ukrainische Generalstaatsanwalt Andrij Koston, der zusammen mit dem Justizminister seines Landes, Denys Maliuska, extra nach Berlin gereist ist. "Jeden Tag kämpfen unsere Soldaten und alle Menschen in der Ukraine, um ihre Souveränität zu verteidigen", sagt Koston im Anschluss an die gemeinsamen Beratungen mit den G7-Justizministern. Und er fügt hinzu: "Wir kämpfen auch für Gerechtigkeit – für alle Opfer der russischen Invasion."