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Siedler ist nicht gleich Siedler

Andreas Gorzewski31. Juli 2015

Hinter dem Brandanschlag bei Nablus stecken vermutlich israelische Extremisten. Sie wollen weitere Siedlungen im Westjordanland bauen. Dorthin ziehen aber nicht nur politisch motivierte Israelis.

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Die jüdische Siedlung Beit El im Westjordanland (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

"Rache" sprühten die maskierten Angreifer in hebräischer Sprache auf die Hauswand in Duma nahe der Palästinenserstadt Nablus. Sie zündeten das Haus an, ein 18 Monate altes Kleinkind starb. Ein Bruder und die Eltern kamen mit schweren Verbrennungen ins Krankenhaus. Die israelische Polizei geht von einem so genannten Preisschild-Anschlag aus. Radikale Anhänger der israelischen Siedlerbewegung warnen, dass für Einschränkungen im Siedlungsbau ein "Preis" zu zahlen sei. Bei solchen Attacken haben auch schon mehrere Moscheen gebrannt. Die Gewalt wirft erneut ein Schlaglicht auf die Extremisten unter den Siedlern. Doch in den besetzten Gebieten lassen sich nicht nur national-religiöse Eiferer nieder. Auch immer mehr Familien ohne ideologische Motive ziehen dorthin. Für die einen geht es um den Glauben an ein vermeintlich biblisches Recht auf Land, für die anderen um billigen Wohnraum.

Israel hatte die Palästinensergebiete westlich des Jordan im Sechs-Tage-Krieg 1967 erobert. Den östlichen Teil von Jerusalem annektierte Israel. Im Westjordanland errichtete es Wehrsiedlungen gegen erwartete Angriffe arabischer Armeen. Doch in den neuen Ortschaften, die oft auf enteignetem Palästinenserland errichtet wurden, ließen sich auch viele Israelis aus religiösen Gründen nieder. Für sie gehören die Gebiete zum biblischen Israel. Auf Hebräisch heißt die Region Judäa und Samaria.

Rasches Bevölkerungswachstum

Die Siedlungen sind nach vorherrschender internationaler Sichtweise illegal, weil sie auf besetztem Gebiet errichtet wurden. Diese Ortschaften gelten außerdem als Hindernis für eine Friedensregelung zwischen Israelis und Palästinensern und eine Zwei-Staaten-Lösung. Das Netz an Siedlungen macht einen zusammenhängenden Staat Palästina nahezu unmöglich. Deshalb hatten die Palästinenser in den 2003 geschlossenen Vereinbarungen für einen Nahost-Frieden auf einem Stopp des Siedlungsbaus bestanden.

Doch davon kann keine Rede sein. Vielmehr wächst die Zahl der Israelis in den Palästinensergebieten stetig. Laut der israelischen Menschenrechtsorganisation B'tselem liegt die jährliche Wachstumsrate bei 4,4 Prozent. Die staatliche Statistikbehörde ging laut B'tselem für Ende 2013 von knapp 550.000 Siedlern aus. Fast 200.000 von ihnen leben demnach im Osten Jerusalems. Die übrigen sind den Angaben zufolge auf etwa 125 Siedlungen im Westjordanland verstreut. Einige davon sind mittelgroße Städte, andere kleine Dörfer.

Eine noch nicht bewohnte Siedlung in den Palästinensergebieten im Jahrn 2013 (Foto: Javad Talee)
Trotz internationaler Forderungen ist kein Siedlungsstopp zu erwartenBild: Javad Talee

Hinzu kommen etwa hundert Außenposten von Siedlungen, die auch nach israelischem Recht illegal sind. Hin und wieder werden einige von ihnen von der israelischen Armee geräumt. Doch die israelische Menschenrechtsorganisation Jesch Din wirft der Regierung vor, viele dieser Wohneinheiten stillschweigend nachträglich zu erlauben.

Koalitionskrise durch Räumung

Wohnblöckle in den eroberten Gebieten zu räumen, ist für israelische Regierungen oft eine Belastungsprobe. Sogar Einschränkungen des Siedlungsausbaus lösen erbitterten Streit aus. Die einflussreiche Siedlerbewegung vertritt ihre Forderungen nach mehr Baugenehmigungen auch im Kabinett, da ihr mehrere Minister nahestehen. Am vergangenen Mittwoch war in der Regierung Streit eskaliert, als die israelische Armee zwei illegal errichtete Siedlergebäude in Beit El bei Ramallah abriss. Bildungsminister Naftali Bennett und Justizministerin Ajelet Schaked, die beide der nationalistischen Partei "Jüdisches Heim" angehören, kritisierten Regierungschef Benjamin Netanjahu scharf. Während Netanjahu im Ausland als kompromissloser Verfechter konservativer israelischer Interessen gilt, ist er in den Augen eines Teils der Siedler zu nachgiebig.

Ein Leben inmitten von etwa zwei Millionen Palästinensern, die die Israelis als Besatzer ansehen, erscheint auf den ersten Blick wenig verlockend für Israelis. IImmer wieder hatte es palästinensische Anschläge auf Siedler gegeben. Trotzdem ziehen immer mehr Studenten, Neueinwanderer oder junge Familien in die neuen Wohnblocks. "Die israelischen Regierungen verfolgen eine konsequente und systematische Politik, die jüdischen Bürger zur Übersiedlung ins Westjordanland zu ermutigen", erläutert B'tselem.

Die Siedlung Har Homa in Ost-Jerusalem (Foto: dpa)
Etwa 200.000 Israelis leben in Siedlungsblöcken im annektierten Ostteils JerusalemsBild: picture-alliance/dpa

Dabei geht es auch ums Geld. Für viele Israelis ist Wohnraum in Haifa oder Tel Aviv nicht mehr erschwinglich. Die Lebenshaltungskosten sind immer weiter gestiegen. Dagegen subventioniert die Regierung laut B'tselem das Leben in den besetzten Gebieten. So biete das Bauministerium billiges Land und günstige Kredite an. Das Bildungsministerium werbe mit Anreizen um Lehrer für die Schulen im Westjordanland und subventioniere Schulbusse. Auch die Ressorts für Landwirtschaft, Handel und Tourismus engagieren sich B'tselem zufolge. Die öffentlichen Pro-Kopf-Zahlungen für Dienstleistungen in den besetzten Gebieten seien deutlich höher als in Israel.

Ein Million Siedler als Vision

Organisationen wie der Jesha-Rat, in dem die jüdischen Kommunen im Westjordanland zusammengeschlossen sind, betonen die Bedeutung der Territorien für Israel. In einer Broschüre des Jesha-Rates hieß es: "Judäa und Samaria sind jüdisch, lebenswichtig und realistisch". Lebenswichtig für Israel sei das Gebiet aus zwei Gründen: dort gibt es Wasser, und der Landstreifen gibt Israel strategische Tiefe. In den Grenzen von 1967 ist Israel an seiner schmalsten Stelle nur knapp 15 Kilometer breit. Der Jesha-Rat verbreitete die Vision von einer Million jüdischen Siedlern in wachsenden Ortschaften. Auch die Ariel-Universität in der Siedlung Ariel bei Hebron verkündet auf ihrer Website, dass sie eine Studentenzahl von über 20.000 anstrebe. "Um das zu erreichen, muss die Universität ihre hochmodernen Einrichtungen erweitern und mehr Forscher anziehen". Dass all das auf Territorium geschieht, dass nach internationaler Sichtweise palästinensisch ist, spielt offenbar keine Rolle.