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In die Kasse gespült

1. März 2010

Die Übertragung eines Fußballspiels im Radio. Der Ball ist schnell, schneller als die Zunge des Reporters. Dem Spiel mit Sprache zu folgen ist schwer...

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Burkhard Spinnen. Foto privat
Burkhard SpinnenBild: privat

...und ganz unmöglich ist es, bei diesem Verfolgungsversuch auch noch kreativ zu sein.Daher verwendet der Fußballreporter standardisierte Redewendungen, auf die er ohne großes Nachdenken zugreifen kann. "Der Pfosten rettet." "X holt Y von den Beinen." "Der Ball zappelt im Netz." Usw. usw. Originell ist das nicht, aber verständlich.

Verglichen mit dem Fußballreporter haben der Nachrichtenjournalist und der Kommentator eine Menge Zeit, um ihre Texte zu bauen. Sie könnten sich also für den Umstand, dass der Staat eine größere Menge Steuern einnimmt, ganz verschiedene Umschreibungen einfallen lassen – wenn es denn unbedingt umschrieben und nicht einfach gesagt werden soll.

Spül-Metapher

Aber nein! Seit ich weiß nicht wann heißt es bei allen Berichterstattern und Kommentatoren, dieses oder jenes Ereignis "spüle Geld in die Staatskassen". Bei Beginn entsprechender Texte im Radio pflege ich mit Anwesenden auf das Erscheinen dieser Metapher zu wetten. Anfangs habe ich immer gewonnen, jetzt hält niemand mehr dagegen. Und ich frage mich: Warum ausgerechnet die Spül-Metapher?

Lange Zeit habe ich darauf keine Antwort gefunden. Haben die Steuereinnahmen vielleicht etwas mit dem Treibgut zu tun, das an die Küste gespült wird? Das Bild ergibt doch keinen Sinn. Oder sind die Steuern etwa wie das Laub, das vom Regen in die Kanalisation gespült wird? – Na ja. Doch wohl eher nicht.

Goldrausch

Mittelmeer Umweltverschmutzung
Wurden Steuern angespült?Bild: picture-alliance/dpa

Schließlich fand ich die Lösung, und es war, um auch einmal eine Standardwendung zu benutzen, als würden mir Schuppen von den Augen fallen. Goldrausch heißt die Lösung! Die Steuern werden in die Staatskasse gespült wie die Nuggets in das Sieb des Goldwäschers. Und schon sehe ich ihn leibhaft vor mir stehen, den Finanzsachbearbeiter Heinz-Theo K., 47, wie er, bis zur Hüfte im Finanzstrom stehend, seinen Fiskus in die Geldströme hält, um zu sehen, was sie ihm hineinspülen.

Aber ist das nicht Unsinn? Das Bild ist doch grundfalsch. Bei den Steuern wird nichts gespült, es geht hier nicht um das Glück oder Unglück des Goldsuchers. Das Steuersystem ist auf möglichst gerechte Regeln und nicht auf den Zufall gebaut.

Doch andererseits ist das Bild genau richtig. Denn indem es alle benutzen, zeigen sie, welches Bild sie sich gemeinhin vom Fiskalischen machen. Und mag dieses Bild auch falsch sein, so spiegelt es doch das real existierende Bewusstsein der Gegenwart. Noch immer scheint uns also das Steuernzahlen als Glücks- bzw. Unglückssache. Mal fischt der Fiskus die Nuggets ab, mal schaffen sie es an ihm vorbei ins Meer. Oder nach Lichtenstein. Regeln und Gesetze gibt es am Steuerstrom so wenig wie am Klondike-River.

In ganz einfachen und völlig harmlos erscheinenden Redewendungen nach den Spuren des Zeitgeistes zu suchen, das ist eine Betätigung, die einen nicht immer fröhlich macht. Aber wenn man einmal damit begonnen hat, kann man nicht mehr aufhören.

Burkhard Spinnen, geboren 1956, schreibt Romane, Kurzgeschichten, Glossen und Jugendbücher. Sein Werk wurde vielfach ausgezeichnet. Spinnen ist Vorsitzender der Jury des Ingeborg-Bachmann-Preises. Zuletzt ist sein Kinderbuch "Müller hoch Drei" erschienen (Schöffling).

Redaktion: Gabriela Schaaf