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Italien: Flüchtlinge überzeugen Einheimische vom Recycling

Stefania D'Ignoti ke
13. Februar 2019

Müll ist in der sizilianischen Stadt Catania ein echtes Problem. Die Initiative FIERI macht aus Weggeworfenem neue Dingen, mit Hilfe afrikanischer Migranten.

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Ein Migrant bastelt mit Schere und anderen Gegenständen
Für die Migranten bietet FIERI auch eine Chance auf einen JobBild: Fieri

Mariagiovanna Italia hat es eilig. Sie arrangiert Schmuckstücke und Handarbeiten auf einem Tisch auf einem belebten Markt in Catania, Siziliens zweitgrößter Stadt. Einige Passanten bleiben stehen, um die ungewöhnliche Auslage anzusehen: Geldbeutel aus alten Türgriffen und afrikanischen Stoffen, Schmuckstücke aus aufbereitetem Kupfer oder ausrangierte Möbel, umgearbeitet zum hölzernen Souvenir. Es sind Objekte aus Müll, hergestellt von Flüchtlingen, erklärt Italia. Sie ist eine der Gründerinnen des Sozialunternehmens FIERI. Die Idee: Flüchtlingen eine Ausbildung und Arbeit zu ermöglichen, und gleichzeitig das Müllproblem in Catania zu bekämpfen.

Mariagiovanna Italia von FIERI an einem Marktstand voller Waren aus Recyclingmaterial
Mariagiovanna Italia (im Bild) hofft, dass FIERI Migranten dabei helfen kann, ihren Platz in der italienischen Gesellschaft zu findenBild: Stefania D'Ignoti

Catania kann solche innovativen Ansätze gut gebrauchen. Denn während der letzten fünf Jahre haben überquellende Mülltonnen und rottende Abfälle auf den Gehwegen das Erscheinungsbild der spätbarocken Stadt verschandelt.

Fast nirgendwo in Italien wird weniger recycelt als hier. Daran hat auch ein Vorstoß des sizilianischen Präsidenten Sebastiano Musumeci Anfang 2018 nichts geändert, der fordert, dass mindestens 30 Prozent des Mülls in Sizilien wiederaufbereitet werden soll. 

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Im Oktober 2018 lag die Recyclingquote bei nur 5,6 Prozent, erklärt Viola Sorbello, Präsidentin des sizilianischen Ablegers der Umweltschutzorganisation Legambiente.

"Wenn wir so weitermachen, wird die Zukunft alles andere als glänzend. Denn der Müll landet auf Deponien, die schon jetzt übervoll sind. Das verursacht hohe Kosten für die Umwelt und die Wirtschaft", so Sorbello.

Das Konzept von FIERI setzt genau da an. 

"Wir haben uns gedacht, dass wir Sizilien bei seinen beiden größten Problemen entlasten könnten, beim Müll und bei der Migration", so Italia gegenüber DW.

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Integrieren durch Recycling

In Sizilien kamen in den letzten Jahrzehnten viele Migranten auf dem Weg nach Europa an, die meisten nahmen die gefährliche Seeroute von Nordafrika über das Mittelmeer.

Ihre Zahl ist zuletzt deutlich gesunken. Laut der Internationalen Organisation für Migration kamen im ersten Halbjahr 2018 rund 16.000 Menschen nach Sizilien. Im Jahr 2014 waren es noch 170.000. Doch die Zukunft der Migranten bleibt unsicher. 

Eine Straße voller Autos. Die Straße ist mit Müll übersät (Legambiente Catania)
Die Müllabfuhr in Catania und Sizilien funktioniert nicht so, wie sie sollteBild: Legambiente Catania

Bis 2016 hatten nur knapp die Hälfte der Migranten in Süditalien einen festen Job, sagt das italienische Institut für soziale Sicherheit. Etwa 38 Prozent dieser Jobs waren in der Landwirtschaft oder Fischerei, 30 Prozent der Migranten arbeiteten als Hausmeister oder in ähnlichen Berufen, oft unterbezahlt und ohne festen Arbeitsplatz.

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Für seinen Bericht untersuchte das Institut die Arbeitssituation von Migranten aus Osteuropa und von außerhalb Europas und kam zu dem Ergebnis, dass Flüchtlinge seit 2011 wesentlich stärker von der Wirtschaftskrise betroffen sind als Italiener.

Seit 2015 versucht FIERI, Abhilfe zu schaffen. Rund 150 Migranten aus afrikanischen Ländern südlich der Sahara hat die die Organisation in der Herstellung von Seife, Kleidung oder Schmuck geschult, andere bekamen eine Fortbildung als Tischler. Außerdem betreibt FIERI in Catania mehrere Sammelstellen für Abfälle und andere Materialien, die sich zur Aufbereitung eignen.

"Wir wollten nicht nur einen Ort schaffen, der das Bewusstsein für den Schutz der Umwelt schärft", sagte Italia. "Es geht auch darum, den Migranten eine solide Basis für das zu bieten, was nach den Schulungen kommt, wenn es um die Integration geht."

Einer, dem Italia und ihre Kollegen eine Perspektive geben konnten, ist Saikou Ceesay. Der Mann aus Gambia strandete 2014 nach sechsmonatiger Reise in Sizilien. In seiner Heimat hatte der 24-Jährige als Tischler gearbeitet. Heute ist er einer von vier Angestellten von FIERI.

"Einwanderer aus Afrika haben schwer, einen Job zu finden", sagt Ceesay der DW. "Hier können wir den Italienern aber zeigen, dass wir mit dem Wissen, das wir mitbringen, auch etwas zum nachhaltigen Leben beitragen können, was viele Europäer inzwischen vergessen haben."

Ceesays Ziel ist es, in Catania eine Tischlerei zu eröffnen, die ausschließlich mit Holzabfällen arbeitet.

Ein Mann an einem Marktstand voller bunter Stoffe
Saikou Ceesay aus Gambia gibt sein Wissen über Tischlerei und Recycling in den Workshops von FIERI weiterBild: Stefania D'Ignoti

Kampf den Stereotypen

Ein weiterer, wichtiger Aspekt der Arbeit von FIERI sind interkulturelle Begegnungen, sagt Italia. Man müsse etwas gegen die wachsende migrationsfeindliche Stimmung im Land tun, ganz besonders, seit die sich rechte Lega-Partei in Italien im Aufwind befindet.

Matteo Salvini, stellvertretender Ministerpräsident und Innenminister Italiens von der Lega Nord, gewann viele Stimmen mit seiner kompromisslosen Linie gegen Einwanderung.

"Migranten sind in Italien immer wieder die Sündenböcke, wenn es um politische Entscheidungen geht", sagt Alessandra Matarazzo, eine freiwillige Helferin bei FIERI. "Sie wurden sogar als Ursache für die zunehmende Verschmutzung angeführt. Dabei sind sie es, die den Müll beseitigen, und die Jobs übernehmen, die die Italiener selber nicht mehr machen wollen."

Die Begegnungen zwischen Italienern und Migranten, die FIERI veranstaltet, haben mittlerweile mehr Menschen aus Catania dazu ermutigt, selbst aktiv zu werden, auch Anna Piscopo. Sie hilft, für die Produkte aus FIERI-Werkstätten neue Märkte zu finden. Und ist überzeugt, dass solche Initiativen helfen, den sozialen Zusammenhalt zu stärken. 

"Die Idee, die Menschen bei der Arbeit zu treffen, hilft Vorurteile zu bekämpfen. Viele in Italien glauben ja, dass Migranten nur hierher kommen, um die Hände in den Schoß zu legen", sagt Piscopo. "Diese Begegnungen setzen ein starkes Signal dagegen."

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