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Politik

"In Nicaragua sind alle verwundbar"

Gabriela Selser
14. Juli 2018

Als einer der schärfsten Kritiker von Präsident Daniel Ortega in Nicaragua lebt Silvio Báez gefährlich. Doch auch nach einem körperlichen Angriff wirbt der Geistliche weiter für den Dialog mit der Regierung.

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Bischof Silvio Baez
Bild: picture-alliance/dpa/C. Herrera

Die Gewalt in Nicaragua nimmt kein Ende. Auch nach fast drei Monaten seit Beginn der schwersten politischen Krise im Land seit 40 Jahren gehen die Kämpfe weiter. Verantwortlich dafür sei Daniel Ortega, analysiert Silvio Báez. Der Weihbischof von Managua sieht in dem 72 Jahre alten früheren Guerillakämpfer nun "einen Mann, dem es allein nach Geld und Macht dürstet".

"Die Menschen sind hilflos angesichts dieser Barbarei", so Báez im DW-Interview. Der 60-jährige Geistliche gilt besonders kritischer Vertreter der katholischen Kirche in seinem Land. Es war kein Zufall, dass gerade er am 9. Juli in der Basilika von Diriamba, südlich der Hauptstadt Managua, von einem gewaltbereiten Mob angegriffen wurde.

Báez kam zusammen mit Kardinal Leopoldo Brenes und dem Apostolischen Nuntius in Managua, dem Polen Waldemar Sommertag, in Diriamba an, um sich ein Bild von den Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten, Sicherheitskräften und regierungsnahen Schlägertrupps zu machen. Beleidigungen, Stöße, Schläge und eine Stichwunde am Unterarm von Báez waren das Ergebnis des brutalen Angriffs auf die Bischöfe.

351 Tote und mehr als 2000 Verletzte

"In Nicaragua sind heute alle verwundbar. Wir sind alle hilflos", klagt Báez und verweist auf den aktuellen Konflikt, der am 18. April mit einem Protest von Studenten begonnen hat und nach Angaben unabhängiger Menschenrechtsorganisationen bisher 351 Tote und mehr als 2000 Verletzte zur Folge hat. Zudem sind Hunderte Menschen inhaftiert oder verschwunden.

"Dies ist ein Land, das sich in den Händen paramilitärischer Kräfte und gewalttätiger Konfliktgruppen befindet, und in dem es kein Gesetz und keine verlässliche Autorität gibt", sagt Báez .

Der Bischof hat die erste von Daniel Ortega geführte Regierung in den 1980er Jahren nicht direkt miterlebt. 1979 im Alter von 21 Jahren hielt sich Báez nach dem Sturz des Diktators Anastasio Somoza beim Karmeliterorden in Costa Rica auf. Doch genau wie viele seiner Freunde feierte auch er den Sieg der Revolution, die sich als großes humanistisches Projekt verstand. Später jedoch, so Báez, verkam die große Idee und fiel den Machtambitionen der Politiker zum Opfer.

Regierungstreue Schläger griffen am 9. Juli drei Bischöfe in einer Basilika an, darunter auch Silvio Báez.
Regierungstreue Schläger griffen am 9. Juli drei Bischöfe in einer Basilika an, darunter auch Silvio Báez. Bild: Getty Images/AFP/M. Recinos

Für den Bischof ist Daniel Ortega nicht der "Erbe" der Revolution von 1979 und steht auch nicht für deren Kontinuität. "Daniel Ortega ist ein geldgieriger und machthungriger Mensch, der nur die Sprache der Verschwörung, des Zynismus und leider auch der Gewalt kennt", sagt Báez. Die aktuelle Krise in Nicaragua sei auch nicht das Ergebnis einer äußeren Einmischung oder eines Konfliktes "zwischen Links und Rechts", wie die Regierung behaupte. 

Hoffen auf den Dialog

Der erste Studentenprotest gegen die Reform der Sozialversicherung war nach Meinung des Geistlichen nur der Auslöser für eine Krise, die "nicht über Nacht kam". Es war eher wie ein Schnellkochtopf, der aufgrund einer Reihe von politischen und wirtschaftlichen Faktoren urplötzlich explodierte.

"Hier verbindet sich die historische Tradition der Erbherrschaft mit Wahlbetrug, Korruption und einem messianischen Führerkult", meint der Bischof. Hinzu komme noch die millionenschwere Finanzspritze aus Venezuela, "die nicht dem Staat zugute kam, sondern direkt in die Taschen der Familie Ortega und ihrer engsten Verbündeten floss".

Zu den Aussichten für den im Mai begonnenen und aktuell zum Stillstand gekommenen Dialog mit der Regierung versichert Báez, dass die Bischöfe die Gespräche nicht aufgeben wollen. Doch derzeit sei kein Ende der Krise absehbar. Es könne sogar zu einem Bürgerkrieg kommen. Jedoch werde die katholische Kirche alles tun, um eine kriegerischen Konfrontation zu vermeiden. "Wir hoffen auf eine friedliche Lösung. Das ist wofür die Kirche kämpft."