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PolitikPolen

Polnische Lastwagenfahrer blockieren die Grenze zur Ukraine

28. November 2023

Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine hat die EU ihre Grenzen für Hilfs-, Militär- und Getreidetransporte geöffnet. Doch das führt zu Nachteilen für polnische Spediteure. Sie protestieren mit Blockaden.

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Ukrainische Lastwagenfahrer stehen mit gelben und orangenen Warnwesten bekleidet auf der Straße, vorne im Bild stehen zwei schwarz gekleidete polnische Polizisten, die weiße Schutzhelme und Handschuhe tragen. Auf den Grasnarben am Rand der Straße ist Schnee zu sehen.
Seit dem 06.11.2023 wird der Grenzübergang Dorohusk-Jagodin blockiertBild: Monika Sieradzka/DW

Vor dem polnisch-ukrainischen Grenzübergang Dorohusk-Jagodin stehen die LKWs in einer 30 Kilometer langen Schlange. Betroffen sind ukrainische Fahrer, die in ihr Heimatland zurückwollen. Grund ist die Blockade der Grenzübergänge zur Ukraine durch polnische Transportunternehmer. Die Spediteure und LKW-Fahrer protestieren damit gegen die Billigkonkurrenz aus dem Nachbarland.

Die Lastwagen stehen auf einem offenen Feld, es gibt kaum Lebensmittelgeschäfte, die man zu Fuß erreichen könnte. "Zwei Wochen warte ich schon, bald werden es drei, kaum Wasser, kaum Essen, nur ein paar primitive Toiletten", klagt ein ukrainischer Fahrer. "Wir sind politische Geiseln hier."

Der Grenzübergang Dorohusk-Jagodin liegt an der kürzesten Straßenverbindung zwischen Warschau und Kiew. Blockiert werden auch alle anderen Grenzübergänge zur Ukraine. An jedem von ihnen stauen sich Hunderte Lastwagen.

Solidaritätskorridore für Hilfsgüter

Rückblick: Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine im Februar 2022 hatte die EU die sogenannten "Solidaritätskorridore" eingeführt, die den Güterverkehr zwischen den EU-Ländern und der Ukraine erleichtern sollten. Es ging vor allem um humanitäre und militärische Hilfe, aber auch um Getreideexporte, die wegen der Blockade der Häfen durch Russland kaum möglich waren. Dabei wurde die Einreise für ukrainische Fahrer in die EU erleichtert. Auch ukrainische Führerscheine und Zertifikate für Berufsfahrer werden jetzt in der EU anerkannt. 

LKWs, die in einer langen Schlange stehen auf der polnischen Seite des Grenzübergangs Dorohusk-Jagodin. Das Gras neben der Straße ist schneebedeckt, am ersten LKW auf dem Foto sind Eiszapfen zu sehen.
Eine 30 Kilometer lange Schlange auf der polnischen Seite des Grenzübergangs Dorohusk-JagodinBild: Monika Sieradzka/DW

Dies wiederum führe nun zu einer "Expansion" ukrainischer Transportunternehmen auf dem EU-Markt, sagt Jerzy, ein Fuhr-Unternehmer aus Biala Podlaska in der Nähe der polnisch-ukrainischen Grenze. "Die Ukrainer sind billiger, sie müssen keine europäischen Standards erfüllen, haben also große Vorteile", klagt er. "Sie dürfen jede Last in Europa billiger befördern, während wir polnischen Spediteure alle EU-Standards erfüllen und teure Sozialabgaben bezahlen müssen." So hätten die Ukrainer einen großen Teil des Marktes erobert - zu Lasten der polnischen Spediteure. Früher hätten die ukrainischen Unternehmer 60 Prozent des grenzüberschreitenden Transportverkehrs bedient und die polnischen 40 Prozent. Nun sei das Verhältnis 90 zu 10 zugunsten der Ukrainer.

Gegen Privilegien für die Ukrainer

Jerzy ist Mitglied des kürzlich gegründeten Komitees zur Verteidigung der Transportunternehmer und Arbeitgeber der Logistikbranche, das den Protest ausgerufen hat. Zusammen mit seinem Kollegen Marek Oklinski absolviert er gerade eine 24-Stunden-Schicht in einem kleinen Zelt. Daneben stehen zwei Lastwagen, an denen Transparente mit den Slogans der polnischen Spediteure befestigt sind. Sie fordern in erster Linie die für Fahrer aus Nicht-EU-Ländern vorgeschriebenen Transportgenehmigungen wiedereinzuführen, die für die ukrainischen Fahrer abgeschafft wurden. Das würde dafür sorgen, dass die polnischen Transportunternehmen den verlorenen Marktanteil zurückerobern könnten, erklärt Oklinski.

Marek Oklinski vom polnischen Komitee zur Verteidigung der Transportunternehmer und Arbeitgeber der Logistikbranche spricht am 22.11.2023 am polnisch-ukrainischen Grenzübergang Dorohusk-Jagodin in ein Mikrofon der DW
Marek Oklinski spricht mit der DW am Grenzübergang Dorohusk-JagodinBild: Monika Sieradzka/DW

Er verstehe die Notlage in der Ukraine. Der Protest der LKW-Fahrer richte sich nicht gegen Güter, die dringend gebraucht würden. "Es gibt kein Problem mit humanitären und militärischen Transporten. Sie werden an der Schlange vorbeigelassen", erklärt er. Das gelte auch für Frischwaren. Für alle anderen LKWs gilt aber die Regel, dass während der Blockade nur drei Fahrzeuge pro Stunde durchfahren dürfen. Um die Ladungen der Ukrainer zu überprüfen, lassen sich die polnischen Spediteure deren Frachtdokumente zeigen.

Unregelmäßigkeiten und Korruption

"Ich habe schon Anhänger mit schicken Limousinen gesehen, die offiziell als militärische Hilfe registriert waren und so an der Schlange vorbei durchgelassen wurden", berichtet einer der Protestierenden, der jedoch anonym bleiben will. Das bestätigen auch polnische Medien. Auf der ukrainischen Seite der Grenze blühe die Korruption. Für ein Bestechungsgeld von 600 Euro könne man die Grenze reibungslos passieren. Einige Zollagenturen würden sich auch darauf spezialisieren, kommerzielle Güter als Hilfskonvois oder Militärhilfe zu registrieren - ein Vorwurf, den auch polnische Unternehmer im Gespräch mit der DW erheben.

Die Wut der ukrainischen Fahrer

Auch unter den ukrainischen Fahrern ist die Stimmung aufgewühlt. Als die Blockade anfing, versuchten sie ihrerseits, den Weg für polnische Fahrzeuge zu blockieren. Jetzt wird der Grenzübergang von bewaffneten polnischen Polizisten gesichert. "Die Polen rächen sich dafür, dass sie auf der ukrainischen Seite auch warten müssen, aber wir Fahrer sind nicht daran schuld. Es stimmt nicht, dass wir ihnen die Arbeit wegnehmen. Sie haben schließlich immer noch den ganzen europäischen Markt für sich", sagt ein verärgerter Fahrer aus Kovel in der Nordwest-Ukraine.

Polen: Proteste der LKW-Fahrer an der Grenze zur Ukraine  

Die Erleichterungen, die sie von der EU bekommen haben, seien moralisch gerechtfertigt, ergänzt Pavel aus Charkiv. "Wir sind die einzigen, die in Kriegsgebiete fahren. Der polnische Fahrer kommt höchstens nach Lviv, lädt seine Last dort ab, und schon fühlt er sich wie ein Held. Dann fährt er schnell zurück nach Hause und ist noch böse, dass er an der Grenze warten muss."

Ukrainische Vorwürfe gegen Polen

Der stellvertretende ukrainische Infrastrukturminister, Serhiy Derkach, besuchte seine Landsleute am Grenzübergang in Dorohusk mehrfach und verteilte dabei Lebensmittel an die Fahrer. Er warnte vor schweren Folgen der Blockade für die Ukraine. "Wir erhalten über das Gebiet der Republik Polen etwa 30 Prozent von allem, was wir für unseren Energiesektor benötigen", betonte er. Wenn die Tankwagen in Warteschlangen stünden, verursache dies große Probleme und könnte zu einer Energiekrise führen, so Derkach.

Ein LKW mit zwei ukrainischen Fähnchen im Fenster steht vor einer polnischen Flagge, die die Straße versperrt. Die Tür des LKW steht offen, im Hintergrund ist ein Polizeiauto zu sehen, neben dem ein Demonstrant mit einer gelben Warnweste steht.
Es geht nicht weiter für diesen ukrainischen LKW am Grenzübergang Dorohusk-Jagodin auf der Straße zwischen Warschau und KiewBild: Monika Sieradzka/DW

Für zusätzliche Spannung sorgten zwei Todesfälle unter den ukrainischen Fahrern, die in der Schlange warteten. Zwar ging es dabei um natürliche Todesursachen, doch der ukrainische Botschafter in Polen, Vasyl Zwarych,  schrieb danach auf Facebook, dass die Einschränkung des Güterverkehrs durch die polnischen Demonstranten das Leben und die Gesundheit der Menschen bedrohe.

Frustration und Enttäuschung auf beiden Seiten

Auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj äußerte sich zu der Krise und bemühte sich um Entspannung. "Ich denke, wir müssen unseren Nachbarn etwas Zeit geben" sagte er in Kiew am Rand einer Konferenz. Zuversichtlich fügte er hinzu: "Wir schaffen das." Für die ukrainischen Fahrer, die inzwischen im winterlich-kalten Wetter ausharren müssen ist das jedoch kein Trost.

Auch die polnischen Spediteure sind von ihren Politikern enttäuscht. Zwar laufen offiziell polnisch-ukrainische Gespräche auf Regierungsebene, doch die scheidende PiS-Regierung ist hauptsächlich mit der Vermeidung der Machtübergabe und den inneren Konflikten im rechten Lager beschäftigt. Eine neue Regierung ist frühestens Mitte Dezember in Sicht. Nach den bisherigen erfolglosen Verhandlungen kündigten die Demonstranten die Fortsetzung der Blockaden bis mindestens Anfang Februar an.

Porträt einer Frau mit kurzen blonden Haaren und blauen Augen
Monika Sieradzka DW-Korrespondentin in Warschau