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Gesellschaft

Indien entdeckt die Surfkultur

Angela Weiß
18. Juni 2018

In Indien ist Surfen weitgehend unbekannt. Das will Indiens erste Surferin, Ishita Malaviyas, ändern. Gleichzeitig bringt sie Kindern und Jugendlichen das Schwimmen bei und trägt zur Emanzipation bei.

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Delta Beach in Kodi Bengre
Bild: Angela Weiß

Surfen in Indien

Ishita Malaviyas Haare wehen in der sanften Brise, als sie an diesem Morgen auf die Wellen des Delta Beach in Kodi Bengre blickt. Weißer Sand rieselt durch ihre Finger, die Palmen rascheln im Wind und spenden ein wenig Schatten. Nur wenige Meter und eine staubige Straße trennen den Strand vom Shaka Surf Club. Direkt gegenüber rollen die Wellen in langen Linien an den Strand, wo Fischer ihre Netze flicken. "Na los, schnappt euch die Bretter und ab ins Wasser", sagt die 27-Jährige zu einer Gruppe Studenten in kurzen Hosen. Mit den klobigen Surfbrettern unter dem Arm machen sich Ishitas Schüler auf den Weg zum Wasser.

Ishita Malaviya ist Indiens erste Surferin. Vor elf Jahren stand sie zum ersten Mal auf einem Surfbrett und ist seither den Wellen verfallen - allen Konventionen und traditionellen Frauenbildern zum Trotz. "Damals habe ich Surfen in Indien gegoogelt und bekam keinen einzigen Treffer", erinnert sich die gebürtige Mumbaierin. Die Surf-Pionierin war damals die einzige Frau im Wasser. 2008 gründeten sie und ihr Freund Tushar Pathiyan im kleinen Fischerdorf Kodi Bengre an der Westküste Indiens eine der ersten Surfschulen des Landes, den Shaka Surf Club.

Angst vor dem Meer nehmen

Obwohl Indien über rund 7.000 Kilometer Küste verfügt - fast drei Mal so viel wie Deutschland -, ist der Surfsport in Indien ungefähr so populär wie Skifahren in Kiel. Abgesehen von westlichen Sonnenanbetern in Goa und Tauch-Touristen auf den Andamanen, prägen vor allem lokale Fischer das Bild vieler Küstenabschnitte. Das liegt in erster Linie daran, dass ein Großteil der indischen Bevölkerung nicht schwimmen kann. So liegt ein weiteres Ziel des Surfclubs darin, Einheimischen und Besuchern kostenlos das Schwimmen beizubringen. "Wir wollen mehr Leute ins Wasser bekommen und ihnen über das Surfen die Angst vor dem Meer nehmen", erklärt Ishita. Dabei laden Ishita und Tushar über Projekttage in Schulen, Müllsammel-Aktionen am Strand und den Bau eines kostenlosen Skate-Parks neben der Surfschule besonders Kinder und Jugendliche ein, die wachsende Strand- und Surfkultur kennenzulernen. "Beim Skaten kann man zum Glück nicht ertrinken. Die Kids können sich einfach ein Skateboard aus dem Regal nehmen und loslegen", sagt Tushar.

Delta Beach in Kodi Bengre
Ishita und Tushar am Delta Beach in Kodi BengreBild: Angela Weiß

Einfach zu erreichen ist das entspannte Surferparadies allerdings nicht: Nur per Auto, mit dem Dorfbus oder einem ortskundigen Riksha-Fahrer gelangt man vom rund 20 Kilometer entfernten Bahnhof in Udupi zum Surf-Club. Das kleine Fischerdorf Kodi Bengre erstreckt sich auf einem schmalen Küstenstreifen, spitz wie eine Haarnadel, vom Festland aus gen Norden. Bunte Häuser, Palmen und geschmückte Tempel säumen die staubige Straße, auf der sich das türkise Häuschen der Surfschule unauffällig in die Nachbarschaft einreiht. Nur wenige Meter Land trennt das Grundstück vom Arabischen Meer auf der einen, und einem weitläufigen Flussdelta auf der anderen Seite. In kleinen Zelten können Besucher seit 2014 direkt an der Surfschule übernachten. "Wir haben das Camp Namaloha getauft, eine Fusion aus dem indischen Namaste und hawaiianischen Aloha", erklärt Ishita.

Emanzipation

Ishita und Tushar haben sich in Kodi Bengre eine kleine Existenz aufgebaut und sind zu einem festen Teil des Dorfes geworden. Jahrelang waren die damaligen Studenten aber das Gesprächsthema Nummer eins. "Die ersten Male haben uns die Fischer beim Surfen einfach nur angestarrt. Ich glaube, die dachten, wir seien verrückt", erinnert sich die 27-Jährige. Besonders Ishita löste hier eine kleine Revolution aus. Eine Frau, die auf einem Brett ins offene Meer paddelt und dabei offensichtlich Spaß hat - das passt nicht zu gesellschaftlichen Konventionen und dem traditionellen weiblichen Rollenbild, das eher von Küche und Kindern und nicht Hobbies und Freizeit geprägt ist.

Delta Beach in Kodi Bengre
Eine kleine Idylle am Rand der Arabischen SeeBild: Angela Weiß

Die Gründer haben den Dialog gesucht und das Vertrauen der Dorfbewohner gewonnen. Dabei geholfen hat auch eine ungewöhnliche Geschäftsidee, denn seit zwei Jahren beziehen sie ihre unmittelbaren Nachbarn in die Surfschule mit ein. "Eine Familie serviert im Camp das Frühstück, die andere macht das Mittagessen. Ein Stückchen weiter die Straße runter wird unser Masala-Tee gekocht und das Abendessen kommt wieder von einer anderen Familie", erklärt Tushar. Ein Wasch-Service und die Erweiterung des Zelt-Camps auf das Nachbargrundstück sind bereits geplant. Immer mehr Fischerfamilien haben so ein zusätzliches Einkommen und werden Teil dieses einmaligen Mikrokosmos. "Letztlich sind wir Unternehmer und müssen auch Geld verdienen. Aber niemand wird allein durch einen Haufen Kohle glücklich", sagt Tushar. Er habe erkannt, dass Dinge viel größer und bedeutender werden, wenn man sie mit anderen teilt. "Darum geht es doch im Leben und genau dafür schlagen unsere Herzen."

Die indische Surf-Szene sei mit ein- bis zweihundert aktiven Surfern an der Ost- und Westküste nach wie vor sehr überschaubar, so Ishita. In Südindien findet man heute etwa zwanzig sogenannte Surfspots und einer Hand voll Surfschulen. Der Shaka Surf Club ist Teil dieser langsam wachsende Surfkultur, die Indien nicht nur als Reiseland attraktiver für Wassersportler machen könnte, sondern auch die Kraft hat, die grundlegende Einstellung der Inder zum Meer zu verändern.

Delta Beach in Kodi Bengre
Ishita möchte den Kindern die Angst vor dem Meer nehmenBild: Angela Weiß