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Kampf um eine Handvoll Wasser

Fabian Kretschmer (aus Chennai)19. September 2016

In Südindien ist ein über hundert Jahre alter Wasserkonflikt erneut eskaliert. Der Verteilungskampf zwischen den Bundesstaaten um Wasser ist eine der größten Herausforderungen für das Land. Fabian Kretschmer aus Chennai.

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Wasserreservoir ohne Wasser (Foto: SAM PANTHAKY/AFP/Getty Images)
Bild: Getty Images/AFP/S. Panthaky

Die Stimmung ist bereits aufgeheizt, als vergangene Woche ein wütender Mob durch die Straßen der Küstenmetropole Chennai im Südosten Indiens zieht. Einige Anhänger der nationalistischen Oppositionspartei setzen Fahrzeuge in Brand, andere bewerfen den Firmensitz des Mineralölunternehmens Indian Oil mit Steinen. Sobald der Protestzug das Rajarathinam-Stadion erreicht, löst sich der 21-jährige Automechaniker P. Vignesh blitzschnell aus der Menge, begießt seinen Körper mit einem Benzinkanister und zündet sich auf offener Straße an. Die herbeieilenden Polizisten kommen zu spät. In den Morgenstunden erliegt Vignesh im Krankenhaus seinen Verbrennungen. Der politische Aktivist ist der dritte Tote in einem Konflikt, der dieser Tage Südindien in Aufruhr versetzt. Es geht um die gerechte Verteilung von Wasser, einer im ganzen Land raren Ressource.

60 Prozent der Inder leben von der Landwirtschaft. (Foto: DW/M. Krishnan)
60 Prozent der Inder leben von der LandwirtschaftBild: DW/M. Krishnan

Am 5. September ordnete der Oberste Gerichtshof den Bundesstaat Karnataka an, erhebliche Wassermengen des Kaveri-Flusses an die Nachbarregion Tamil Nadu weiterzuleiten. In Bangalore, Hauptstadt von Karnataka und indisches Zentrum der Informationstechnologien, kam es infolgedessen zu drastischen Ausschreitungen. Dutzende Busse und Lastkraftwagen mit tamilischen Kennzeichen wurden in Brand gesetzt, ebenso wurden tamilische Restaurants und Läden Anschlagsziele der Randalierer. Die Polizei verhängte daraufhin eine Ausgangssperre, ließ Schulen und Universitäten schließen und legte große Teile des öffentlichen Verkehrssystems lahm. Am Freitag schwappten die Proteste schließlich in den Nachbarstaat Tamil Nadu über.

Suizid-Welle unter indischen Bauern

Seit mehr als 120 Jahren streiten die beiden Bundesstaaten um den 800 Kilometer langen Kaveri-Fluss, damals noch zu Zeiten der britischen Kolonialherren. Auch nach der indischen Unabhängigkeit brachten jahrzehntelange Verhandlungen der beiden Regionen keine Einigkeit. 1990 setzte die Zentralregierung in Neu Delhi schließlich ein Wassertribunal ein, um den Konflikt zu lösen, auch das vergeblich. Vor allem der unter regelmäßigen Dürreperioden leidende Bundesstaat Karnataka fühlt sich unter der gegenwärtigen Regelung benachteiligt. Nach sechs regenarmen Jahren in Folge führen die dortigen Staudämme nur knapp mehr die Hälfte ihres Wasservolumens ab. Vor allem leidet die ländliche Bevölkerung. Zwischen 2014 und 2015 sind die Selbstmorde unter Bauern in Karnataka stärker angestiegen als in jedem anderen Bundesland Indiens. Laut Regierungszahlen haben sich dort über 1300 verzweifelte Bauern das Leben genommen, viermal mehr als noch im Jahr zuvor.

Ausgetrockneter Fluss (Foto: Getty Images/AFP/S. Kanojia)
Ausgetrockneter FlussBild: Getty Images/AFP/S. Kanojia

Der Verteilungskampf zwischen Tamil Nadu und Karnataka ist dabei lediglich ein Ausblick auf Indiens wohl größte nationale Herausforderung. Allein innerhalb des Landes brodeln zehn latente Wasserkonflikte zwischen einzelnen Bundesstaten. Zudem streitet Indien an fünf seiner Außengrenzen ebenfalls um länderübergreifende Flüsse. Der wohl gefährlichste Konflikt bahnt sich derzeit mit China an. Zusammen stellen die beiden Länder ein Drittel der gesamten Weltbevölkerung.

Bereits 2014 schlug das Thema während der Münchner Sicherheitskonferenz hohe Wellen. Dort hieß es, dass Indien 37 Prozent mehr Grundwasser verbrauche, als es auf natürlichem Wege nachkomme. Das Land würde unter "extremer Wasserknappheit" leiden, die Energie- und Lebensmittelversorgung gefährden könne.

Indien: die größte Dürre seit 100 Jahren

Indischer Monsun im Ungleichgewicht

Auch wenn die Landwirtschaft nur elf Prozent des indischen Bruttoinlandprodukts ausmacht, sind dort noch immer knapp 60 Prozent der über 1,2 Milliarden Inder beschäftigt. Die Ernten hängen fast ausschließlich von der dreimonatigen Monsunzeit ab, während der bis zu 90 Prozent des Regens fällt. Diese weist jedoch in den vergangenen Jahren auffällige Unregelmäßigkeiten auf. Laut Computerberechnungen des Potsdamer Instituts für Klimafolgenforschung werden sich die Schwankungen während der Regenzeit in den kommenden Jahren noch weiter verschärfen. Der Klimawandel könnte den indischen Monsun schlicht aus dem Gleichgewicht bringen. Kaum ein Land ist stärker von der globalen Erwärmung betroffen als Indien.

Dieses Ungleichgewicht bedroht zunehmend den sozialen Frieden im Land. 2013 untersuchte ein Forscherteam der US-Universitäten Princeton und Berkeley insgesamt 60 verschiedene Fallstudien zum Thema Klimawandel und veröffentlichte ihre Ergebnisse im renommierten Fachjournal "Science". Ihr Fazit: Je höher die Jahresdurchschnittstemperaturen, je extremer der Regenfall in einem bestimmten Gebiet, desto häufiger treten gewaltsame Konflikte auf, sowohl zwischen Individuen als auch zwischen den Bevölkerungsgruppen.

Wasserverschmutzung in Chennai (Foto: DW/Kretschmer)
Wasserverschmutzung in ChennaiBild: DW/F. Kretschmer

Der Journalist und Umweltaktivist Nityanand Jayaraman dokumentiert die Wassersituation in seiner Heimatstadt Chennai mit 6,5 Millionen Einwohnern, der sechstgrößten Metropole des Landes. Seit Jahrtausenden wird das Stadtgebiet von Teichen und Sümpfen durchzogen, doch allein seit 1980 sind fast zwei Drittel der für das Ökosystem essenziellen Feuchtgebiete verbaut worden. Große Teile der verbliebenen Wasserquellen sind durch Plastikmüll und Industrieabflüsse verschmutzt. Seit einigen Jahren oszilliert Chennai zwischen Dürreperioden und Überflutungen. Der Boden kann die immensen Wassermassen während der Monsunzeit schlicht nicht mehr aufnehmen. "Im letzten Winter erlebten wir in Chennai eine Jahrhundertflut. Große Teile der Stadt standen unter Wasser", sagt Jayaraman, "das wäre ein Wendepunkt fürs Umdenken gewesen, wie wir mit unserem Wasser umgehen. Doch bei uns hat der Fatalismus gesiegt".