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Indien und Europa haben Schwierigkeiten mit der Globalisierung

Thomas Bärthlein7. Februar 2006

Ein indischer Stahl-Magnat buhlt um einen europäischen Konkurrenten, ausländische Flughafen-Betreiber machen sich auf indischen Landebahnen breit. Diese Fälle schüren unberechtigte Ängste vor den Investoren.

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In Indien sind die Gegensätze zwischen Tradition und Globalisierung noch größer als in EuropaBild: AP

Die Globalisierung weckt viele Ängste. Einige von ihnen sind begründet. Zum Beispiel führt die Deregulierung der Kapitalmärkte dazu, dass die weltweiten Finanzströme in immer größerem Ausmaß und immer schneller rund um den Globus zirkulieren und Panikreaktionen der Märkte schon manche Länder quasi über Nacht in eine Krise gestürzt haben. Auch der globale Standortwettbewerb hat seine Schattenseiten: Wenn sich die Unternehmen den günstigsten Produktionsstandort weltweit frei aussuchen, wächst der Druck auf Arbeitnehmer und Regierungen, die Löhne und Steuern niedrig zu halten oder gar immer weiter zu senken.

Es gibt aber auch viele überflüssige Befürchtungen, die sich vor allem beim Auftauchen ausländischer Investoren leicht mobilisieren lassen - und das weltweit. Zwei Entwicklungen der vergangenen Tage zeigen das anschaulich.

Stahl

Der indische Stahlmagnat Lakshmi Mittal, größter Stahlproduzent der Welt, gab bekannt, die Nummer Zwei der Branche übernehmen zu wollen: Den europäischen Stahlkonzern Arcelor, und zwar notfalls gegen den Willen des Arcelor-Managements, also mit einer so genannten feindlichen Übernahme. Mittal setzt auf Synergie-Effekte und versprach, die Arbeitsplätze seien nicht in Gefahr. Trotzdem kündigten die Regierungen Luxemburgs, Frankreichs, Belgiens und Spaniens wie auch die Gewerkschaften entschiedenen Widerstand an.

Flughäfen

Ungefähr gleichzeitig verkündete die indische Regierung, sie werde die Modernisierung der beiden größten Flughäfen des Landes in Delhi und Mumbai (Bombay) an private Konsortien mit ausländischer Beteiligung vergeben - in Delhi an ein Konsortium um den Frankfurter Flughafenbetreiber Fraport. Auch dieser ausländische Investor versicherte, es würden zusätzliche Arbeitsplätze am Flughafen entstehen; trotzdem protestierten kommunistische Politiker und Gewerkschaften heftig. Vier Tage lang wurden die Flughäfen bestreikt, bis die indische Regierung eine Arbeitsplatzgarantie abgab.

Solide Investoren

In beiden Fällen gibt es keinen Grund, an der Seriosität der Investoren zu zweifeln und daran, dass sie alles tun werden, die Unternehmen weiterzubringen, die sie übernehmen. Nicht jeder Investor aus dem Ausland ist eine auf schnellen Gewinn ausgerichtete "Heuschrecke" - wie der deutsche Arbeitsminister und ehemalige SPD-Chef Franz Müntefering die globalen Finanzinvestoren einmal plakativ beschimpft hat.

Unbequeme Erkenntnis

Die Mittal-Episode zeigt denn auch vor allem die Borniertheit europäischer Politiker. Immer wieder ist zu hören, Mittal sei ein "Neureicher" ohne Verständnis für die europäische "Industriekultur". Fakt ist, dass Mittal seine Milliarden vor allem in Osteuropa und der ehemaligen Sowjetunion verdient hat, indem er unrentable, alte Stahlwerke aufkaufte, an denen die Westeuropäer kein Interesse hatten. Den Indern gelang es, diese Fabriken so effizient umzubauen, dass sie wieder konkurrenzfähig wurden und vom Stahlboom der vergangenen Jahre profitieren konnten. Sie haben damit bereits zahllose europäische Arbeitsplätze gerettet. Dass Inder bessere Manager sind, passt nun aber offenbar nicht ins Weltbild kontinentaleuropäischer Politiker. Sie ziehen immer noch vor, auf eine Industriepolitik zu setzen, die einheimische Firmen protegiert.

Indiens Staat braucht Hilfe

Die Flughäfen von Delhi und Mumbai wiederum stehen vor dem Kollaps. Dort sind täglich doppelt so viele Passagiere unterwegs, wie es eigentlich die Kapazität erlauben würde. Die Fluggäste leiden unter Enge, langen Wartezeiten und miserablem Service. Dass die Flughäfen schnell ausgebaut werden müssen, sollte jedem klar sein, und auch, dass das am effektivsten mit erfahrenen privaten (und folglich ausländischen) Investoren geht. Die schlechte Infrastruktur gehört zu den größten Entwicklungs-Bremsen in Indien. Was alles in bessere Stromversorgung und neue Straßen investiert werden müsste, kann die Regierung unmöglich alleine aufbringen. Dennoch sind so manche Ewiggestrige nicht bereit, von der Vorstellung Abschied zu nehmen, dass der Staat alles am besten regeln kann.

Fazit

Bei aller berechtigten Skepsis gegenüber manchen Folgen von Liberalisierung und Globalisierung - wenn Politiker und Gewerkschaften reflexartig alles Neue ablehnen oder sich dem industriepolitischen Nationalismus verschreiben, ist das ein unverantwortliches, populistisches Spiel, mit dem sie Arbeitsplätze eher gefährden, als sie zu schützen.