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Literatur

Inka Parei: "Die Schattenboxerin"

Gaby Reucher spe
7. Oktober 2018

Man kann "Die Schattenboxerin" als elegant erzählten Detektivroman lesen. Aber auch als Portrait einer suchenden jungen Frau im zerrütteten Berlin der Nachwendezeit.

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Inka Parei, Schriftstellerin
Bild: Imago/G. Leber

"Hell" lebt in Berlin. Miete zahlt sie nicht in dem verrotteten, leerstehenden Haus. Fast leerstehend, denn eine Nachbarin hat sie noch, ihr gegenüber wohnt die "Dunkel". Doch die ist ganz plötzlich verschwunden.

Es sind die Jahre nach der Wende, die 1990er, das wilde, noch nicht zusammengewachsene Berlin warb für sich als "offene Stadt". Hell ist Waise, hat gelernt, sich mit Kung Fu zu verteidigen. Denn Hell ist neurotisch, sie traut niemandem. Sie lebt weitgehend von der Außenwelt zurückgezogen.

Ihr scharfes, übergenaues Wahrnehmungsvermögen hilft ihr und hemmt sie gleichermaßen. Jede kleinste Regung fällt ihr auf, jedes Detail auf dem Weg durch die einst geteilte Stadt, durch ihr Wohnviertel oder auch nur das eigene Treppenhaus. Provokant überladen und gerade deshalb faszinierend wirken die minuziösen Gedankengänge und Wortschöpfungen ihres inneren Monologs, etwa wenn Hell zu Beginn des Romans den Fußboden im Flur ihrer Nachbarin beschreibt.

"Die Schattenboxerin" von Inka Parei

"Die Farbe ist scheußlich. Matt glänzend und kaum zu entfernen, ähnelt sie dem Kot, den die Schäferhunde hier aufs Pflaster werfen, wenn sie von ihren Besitzern mit rostfarbenen Fertigfutterklumpen ernährt werden."

Berlin zwischen Verfall und Wiederaufbau

Kühl und sachlich lässt Inka Parei die Leser haarklein an den Beobachtungen ihrer Protagonistin teilhaben. Durch ihre Augen lernt man das Berlin der Neunziger in der Umbruchphase zwischen Verfall und Wiederaufbau kennen: Die Hausbesetzerszene, die Verwahrlosung an vergessenen Orten, Kämpfe mit der Polizei und vor allen Dingen endlos lange Wanderungen und S-Bahnfahrten durch Groß-Berlin auf der Suche nach ihrer Nachbarin Dunkel. Dabei trifft Hell auf Markus März. Auch er ist auf der Suche nach "der Dunkel". Dass er gerade eine Bank ausgeraubt hat und die Beute in einem Rucksack mit sich herumträgt, macht die Sache nicht einfacher.

Tacheles vor Räumung, bemalte Häuserwände
Zeugnis der Wendezeit, das alternative Kunstzentrum Tacheles. 2012 wurde es zwangsgeräumtBild: picture-alliance/dpa

Nach und nach gibt die Autorin dem Leser ein paar Hinweise, was es mit Hell auf sich hat. Dass sie vergewaltigt wurde, mit dem Vater in der Kindheit Äpfel gepflückt hat und jetzt eigentlich pleite ist. Durch Markus März und die Suche nach Dunkel wird Hell immer mehr mit ihrer eigenen Vergangenheit konfrontiert, mit den "hellen" und den "dunklen" Phasen. Dabei überlagern sich die Zeitebenen im Roman. Sich beim Lesen nicht in den Bezügen zu verlieren, erfordert Konzentration.

Gefangen im Dschungel von Symbolen

Diese Mischung aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft wirkt wie eine Metapher für das Berlin der 1990er Jahre. Hell beschreibt den Zustand des Transit in der Betrachtung einer S-Bahn-Haltestelle.

"Ich bin gefangen in einem Dschungel aus Symbolen und Beschriftungen, deren Botschaften verfrüht oder veraltet sind. Sie beziehen sich auf Gebäudeteile, die nicht mehr existieren, wie der aufdringlich zackige und gleichzeitig gequetscht wirkende Schriftzug Intershop. Oder auf solche, die noch nicht vorhanden sind, wie der Aufkleber mit dem Fahrstuhl, der mich zu einem offenen Schacht führt, notdürftig abgeriegelt mit rotweiß gestreiftem Baustellenplastikband. Nach langem Irrlauf verlasse ich den Ort, aufgerieben an zueinander unpassenden Kachel-, Boden- und Rolltreppenarten."

Deutschland Berlin Mauer zwischen Martin-Gropius-Bau und Abgeordnetenhaus
West und Ost, Kreuzberg und Mitte im Februar 1990: Vereint und doch noch getrenntBild: picture-alliance/akg

Am Ende fügt Inka Parei die Puzzleteile dieses kurzen, dicht erzählten Romans zusammen – wenn auch lückenhaft. Manche Teile lässt sie auf dem Weg der Detektivgeschichte einfach links liegen. Aber das ist egal, denn der Sog der Story zieht einen hinein in jene Zeit in einer Stadt, die noch nicht wusste, in welche Richtung es eigentlich gehen sollte. Inka Parei hat mit ihrem Debüt einen kriminalistischen Großstadtroman geschrieben  –  und ein faszinierendes Zeugnis der Berliner Nachwendezeit.

 

Inka Parei: "Die Schattenboxerin" (1999), erhältlich bei Schöffling & Co. Verlagsbuchhandlung

Inka Parei wurde 1967 in Frankfurt am Main geboren und lebt seit 1987 in Berlin. Für ihren Erstlingsroman "Die Schattenboxerin" (1999) wurde sie 2000 mit dem Hans Erich Nossack-Preis ausgezeichnet. Für "Was Dunkelheit war" bekam sie 2003 den Ingeborg-Bachmann-Preis. Auch in diesem Roman spielen die Gegensätze "hell" und "dunkel" eine Rolle. Die Schattenboxerin wurde in 13 Sprachen übersetzt. 2011 hat Inka Parei ihren letzten Roman "Kältezentrale" veröffentlicht.