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Eine Schule für Alle in Addis

James Jeffrey/Johannes Gebreegziabher4. November 2014

Sie werden ausgegrenzt oder von ihren Familien versteckt: In vielen afrikanischen Ländern fristen Kinder mit Behinderung ein Schattendasein. Eine Schule in Äthiopien will das ändern - und hat Erfolg.

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Schüler der German Church School in Addis Abeba (Foto: J. Jeffrey/DW)
Bild: DW/J. Jeffrey

Drei Teenager in blau-gelber Schuluniform lehnen lässig an einer Mauer auf dem Pausenhof. Sie unterhalten sich, kichern. Ein paar Meter entfernt kicken Kinder einen Fußball hin und her. Keine ungewöhnliche Schulhof-Szene, könnte man meinen - wären die Jugendlichen nicht blind. Und wäre dieser Schulhof nicht mitten in Äthiopiens Hauptstadt Addis Abeba.

Denn dass Schüler mit und ohne Behinderung gemeinsam lernen, ist hier alles andere als selbstverständlich. "Es gibt in Addis immer noch Leute, die Angst haben mich zu berühren, weil sie glauben, Blindheit sei ansteckend", sagt Aregash Ali. Als Vierjährige verlor sie ihr Augenlicht. "Für meine Familie war das ein großer Schock", erinnert sich das zierliche Mädchen.

Lange durfte sie das Haus nicht verlassen. Erst als ein Cousin von einer deutschen Schule erfuhr, an der auch Kinder mit Behinderung unterrichtet werden, änderte sich Aregashs Leben völlig. Heute ist sie 14 und hat große Ziele: "Mein Lieblingsfach ist Sozialkunde, später will ich Anwältin werden", sagt sie stolz. Sie ist Schülerin der German Church School in Addis Abeba, eines Projektes der deutschsprachigen evangelischen Kirchengemeinde. Seit den 70er Jahren gibt es die Schule in der ostafrikanischen Millionen-Metropole. Aufgenommen werden Kinder aus besonders armen Familien, Kinder, die wohl keine Chance hätten, eine der teuren staatlichen Schulen im Land zu besuchen. Und Kinder, die dort keinen Platz bekämen - weil sie eine Behinderung haben.

Aregash Ali (rechts) und ihre beste Freundin Lidiya Moges (Foto: J. Jeffrey/DW)
Aregash Ali (rechts) und ihre beste Freundin Lidiya MogesBild: DW/J. Jeffrey

Diskriminiert und ausgegrenzt

72 von derzeit mehr als 1200 Schülern an der German Church School haben eine körperliche oder geistige Behinderung. "Wir sind seit 20 Jahren eine inklusive Schule", sagt Karl Jacob, ein Pfarrer, der die deutschspachige Kirchengemeinde leitet. "Damit können wir von Äthiopien aus auch eine Botschaft senden: Schaut her, so funktioniert's". Bis zu 17 Prozent aller Äthiopier haben eine körperliche oder geistige Behinderung, schätzt die Weltgesundheitsorganisation (WHO). Wie in vielen anderen afrikanischen Ländern auch, werden Behinderte in Äthiopien oft diskriminiert und ausgegrenzt. Eltern verstecken ihre Kinder zu Hause, statt sie in die Schule zu schicken. Die Chancen, dass sie als Erwachsene einmal einen Job finden, sind minimal.

Schüler der German Church School in Addis Abeba (Foto: J. Jeffrey/DW)
Sportstunde in der German Church School in AddisBild: DW/J. Jeffrey

"Alle Kinder haben ein Recht zur Schule zu gehen", sagt Teklu Tafesse. Der Äthiopier ist seit 18 Jahren Rektor der Schule. Die Kinder und Jugendlichen werden bis zur achten Klasse unterrichtet - zunächst auf Amharisch, später auch auf Englisch. Auch Deutsch können die Schüler lernen. Mit etwa 15 Jahren legen sie eine staatliche Prüfung ab. Wer besteht, hat die Chance eine der öffentlichen Schulen zu besuchen. Aber auch nach dem Examen, so der Rektor, biete die German Church School ihren Schülern mit Behinderung noch Unterstützung durch Tutoren an.

"Inklusion hilft gegen Diskriminierung und sie hilft, den Leuten klar zu machen, dass eine Behinderung keine Strafe Gottes ist". Viele Afrikaner verstünden die biologischen Ursachen von körperlicher und geistiger Behinderung nicht - gerade in Äthiopien, einem tief religiösen Land. Diese Erfahrung haben auch Aregash Ali und ihre beste Freundin Lidiya Moges gemacht. Lidiya ist nicht blind und wurde zur gleichen Zeit eingeschult wie Aragesh. Jetzt hilft sie ihrer Freundin im Schulalltag, zum Beispiel beim Treppensteigen."In meinem Dorf haben auch Blinde gelebt und ich dachte immer, sie wären irgendwie anders - keine richtigen Menschen", sagt Lidiya. "Aber seit ich hier bin, verbringen wir viel Zeit miteinander, essen, spielen und lernen zusammen. Blinde sind überhaupt nicht anders als wir. Der einzige Unterschied ist: Ich kann sehen und sie nicht". Und genau davon versucht Lidiya auch Verwandte und Bekannte zu überzeugen, sagt sie. Bei ihrer Familie habe das schon ganz funktioniert, aber viele ihrer Nachbarn wollten ihr nach wie vor einfach nicht zuhören. "Sie sagen: Halt die Klappe, du bist doch nur ein Kind".

Verschenktes Potenzial

"Äthiopien kann es sich einfach nicht leisten, so eine große Bevölkerungsgruppe auszugrenzen", sagt Ashebir Getahun und schüttelt energisch den Kopf. Er ist stellvertretender Leiter des Äthiopien-Büros der Christoffel Blindenmission, einer deutschen Organisation, die die Schule mitfinanziert. Auch durch Schulpatenschaften kommt Geld zusammen. "Wer eine Behinderung hat, wird oft als Empfänger von Hilfe gesehen, nicht als jemand, der zur Entwicklung eines Landes beitragen kann. Aber die Realität sieht ganz anders aus", so der Aktivist.

Ashebir Getahun von der Christoffel Blindenmission in Addis Abeba in der German Church School (Foto: J.Jeffrey/DW)
Gutes Beispiel: Ashebir Getahun (rechts) hat hier selbst mal die Schulbank gedrücktBild: James Jeffrey

Ashebir geht an Krücken, seit er als Dreijähriger eine Treppe hinunter gestürzt ist. Auch er hat die German Church School besucht und war einer der ersten Schüler dort, die es an die Universität in Addis geschafft haben. Heute hat er sogar zwei Abschlüsse, ist verheiratet und Vater von zwei Kindern. Ashebir hat es geschafft, aber er weiß, dass es vielen Menschen mit Behinderung in Afrika nicht so gut geht wie ihm. "Armut und Behinderung - das hängt doch zusammen", sagt er. Gerade Menschen mit Behinderung hätten kaum Zugang zu Bildung und Arbeit. "Die Wirtschaft wächst zwar, aber das kommt nicht bei allen an: Die Armen bleiben arm und die Reichen bleiben reich."

Und daran, so Ashebir, sei auch die Politik Schuld. "Die äthiopische Regierung hat offenbar erkannt, welche Vorteile inklusive Schulen bieten - und empfiehlt sogar, Kinder mit Behinderung nicht separat zu unterrichten". Aber den Ankündigungen, so der Aktivist, folgten nicht genügend Taten. Er hoffe deshalb, dass die Vereinten Nationen das Thema auf ihre Post-2015-Agenda setzen, als eigenes Entwicklungsziel. Denn vor allem Kinder mit Behinderungen seien in der bisherigen UN-Politik vernachlässigt worden.

Gegen die Barrieren im Alltag und in den Köpfen

"Es bleibt noch viel zu tun", sagt auch der Rektor der German Church School, Teklu Tafesse. "Unsere Schule ist noch nicht barrierefrei: Wer im Rollstuhl sitzt oder an Krücken geht, hat es nicht leicht". Es gebe zwar Pläne für einen Fahrstuhl, aber bis der gebaut sei, könnten Schüler mit Gehbehinderungen nur die Klassenzimmer im Erdgeschoss nutzen. Auch die Toiletten müssten dringend umgebaut werden, so der Schulleiter.

Und doch habe sich schon viel verändert, seit es die inklusive Schule gibt. Die Menschen in der Nachbarschaft seien offener und toleranter geworden - und die Schüler sind es sowieso: "Ich frage Aregash oft, wie sie es schafft, im Alltag zurecht zu kommen, die Straße zu überqueren und immer wieder nach Hause zurück zu finden", sagt Lidiya und drückt ihre beste Freundin fest an sich. "Sie kann alles ganz alleine - und sie ist so selbstbewusst dabei".