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Flug-Insekten: Das große Sterben

18. Oktober 2017

In Deutschland gibt es heute 76 Prozent weniger Insekten als noch vor 27 Jahren. Die Ursachen des drastischen Rückgangs sind unklar. Der Klimawandel ist es wahrscheinlich nicht – eher die großflächige Landwirtschaft.

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NABU Insekten Hornissen-Schwebfliege
Bild: NABU/ H. May

Ehrenamtliche Insektenkundler erfassen seit 1998 für den Entomologischen Verein Krefeld regelmäßig die Anzahl von Insekten auf ausgewählten Flächen in Deutschland. Sie nutzen dazu sogenannte Malaise-Fallen. Das sind zeltartig aufgestellte Netze, in denen Fluginsekten in einen Sammelbehälter geleitet und getötet werden.

Anhand der Masse der eingesammelten Tiere können die Forscher Rückschlüsse darauf ziehen, wie gesund die Insektenpopulationen sind und wie viele Tiere auf einer bestimmten Fläche leben.

Fallen in unterschiedlichen Schutzgebieten

Auf insgesamt 63 unterschiedlichen Schutzgebieten – von Landschaftsschutzgebieten bis hin zu Nationalparks in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und in Brandenburg haben die Forscher ihre Erhebungen durchgeführt. Ihre Fallen hatten sie sowohl in Heide- oder Graslandschaften aufgestellt als auch auf Brachflächen.

Die Forscher leerten ihre Fallen innerhalb einer Saison in regelmäßigen Abständen, um herauszufinden, wann die meisten Fluginsekten unterwegs sind. Und sie verglichen, wie sich in einzelnen Lebensräumen die Biomasse über die Zeit veränderte.

Insgesamt landeten 53,54 Kilogramm Fluginsekten in den Fallen. Dabei stellte sich heraus, dass die Gesamtmasse im Verlauf von 27 Jahren im Mittel um 76 Prozent schrumpfte. Am stärksten war der Rückgang mit knapp 82 Prozent im Hochsommer. Dann sind üblicherweise die meisten Insekten unterwegs.

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Marienkäfer helfen, Blattläuse im Griff zu behalten - besser als manche Giftspritze. Bild: Imago

Ausmaß größer als geahnt

Caspar Hallmann von der Radboud University im niederländischen Nijmegen wertete mit einem Team, zu dem auch britische und deutsche Forscher gehören, die Daten des Krefelder Vereins aus. Er sagte, dass der Insektenschwund zwar bereits vermutet worden sei "aber er ist noch größer als bisher angenommen." Die Ergebnisse veröffentlichten die Wissenschaftler am 18. Oktober in der Fachpublikation "Plos One".

Insektensterben - Pflanzen ohne "Bestäuber"

Die Studie liefere den Beleg, dass der Schwund nicht nur einzelne Standorte betrifft, sondern "wirklich ein größerflächiges Problem" ist, sagte Josef Settele vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Halle gegenüber der Deutschen Presseagentur.

Der Ökologe war nicht an der Untersuchung beteiligt, hält die Veröffentlichung aber für methodisch ordentlich verfasst. Sie stelle die bisherigen Hinweise auf ein massives Insektensterben auf eine solide Basis.

Zwar seien an einigen Standorten nur jeweils in einem Jahr Proben genommen worden, doch spiele dies "für die Validität der Daten keine Rolle", sagte auch Johannes Steidle von der Universität Hohenheim. So habe es auch mehrere Standorte gegeben, die mehrfach beprobt worden seien, berichtet die dpa. An diesen sei das Ergebnis genauso ausgefallen wie in der Hauptanalyse.

Spekulationen über die Ursachen

Die Ursachen des Insektenschwundes sind noch nicht geklärt. Die Forscher gehen nicht davon aus, dass der Klimawandel verantwortlich ist. Denn normalerweise ist ein wärmeres Klima für die Entwicklung von Insekten gut. Es müsste also mehr von ihnen geben, weil die Durchschnittstemperatur im Untersuchungszeitraum um ein halbes Grad Celsius gestiegen ist. 

Trauerschnäpper
Viele andere Arten sind auf Insekten angewiesen, wie dieser Trauerschnäpper. Bild: picture alliance/Wildlife

Stärker im Verdacht steht die Landwirtschaft. Hier könnten viele Faktoren zusammenspielen: Der hohe Einsatz von Pestiziden - insbesondere Insektiziden - die starke Düngung der Felder, die zu veränderten biologischen Rahmenbedingungen führt, die ganzjährige Bewirtschaftung von Ackerflächen und das Verschwinden von Rückzugsgebieten, wie etwa naturbelassenen Randstreifen, Hecken und Gehölzen an Straßen und Wegen.

Die Agrarökologin Teja Tscharntke von der Georg-August-Universität Göttingen schließt aus der Tatsache, dass der Rückgang auch mitten in Naturschutzgebieten verzeichnet wurde, dass diese "in nur noch sehr geringem Maße als Quellhabitate für die Besiedelung der Agrarlandschaft dienen können". Es nütze den Insekten also nichts, in einem geschützten Bereich aufzuwachsen, wenn sie dann kurze Zeit später auf einem Feld zugrunde gehen.

Der deutsche Bauernverband zieht daraus indes ganz andere Schlüsse. "In Anbetracht der Tatsache, dass die Erfassung der Insekten ausschließlich in Schutzgebieten stattfand, verbieten sich voreilige Schlüsse in Richtung Landwirtschaft", sagte Bernhard Krüsken, der Generalsekretär des Bauernverbands. "Die neue Studie bestätigt und betont ausdrücklich, dass es noch dringenden Forschungsbedarf zum Umfang und den Ursachen des dargestellten Insektenrückgangs gibt."

Nur über eins sind sich alle einig: Geht es den Insekten schlecht, steht es auch um andere Lebewesen nicht gut. Nutzpflanzen und Blumen werden durch Hummeln und Bienen nicht mehr so intensiv bestäubt, Vögel und Reptilien finden weniger Nahrung. Die Ursachen des Insektenschwundes müssen schnell erforscht und die letzten Räume für die Flügeltiere geschützt werden.

fs/cb (dpa)