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Inspektor Derricks dunkle Vergangenheit

Alois Berger3. Mai 2013

Oberinspektor Derrick ist weltweit die bekannteste deutsche Fernsehfigur. Die Enthüllungen über die Vergangenheit des Schauspielers Horst Tappert werfen nun Fragen auf, die manche vorschnell beantworten.

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Schauspieler Horst Tappert als Oberinspektor Stephan Derrick zielt mit der Pistole auf jemanden (Foto: Istvan Bajzat/dpa)
Horst Tappert als DerrickBild: picture-alliance/dpa

Als Inspektor Derrick wurde er berühmt: ein tadelloser, etwas langweiliger Ermittler ohne Eitelkeiten und ohne Privatleben. Noch überraschender als sein Erfolg in Deutschland aber war seine anhaltende Berühmtheit im Ausland. In 102 Ländern hat er als international bekanntester deutscher TV-Schauspieler das Bild der Nachkriegsdeutschen mitgeprägt. Umso größer ist nun das Entsetzen darüber, dass Horst Tappert seine Vergangenheit in der Waffen-SS verschwiegen hat.

TV-Sender nehmen Derrick aus dem Programm

Französische Zeitungen widmeten dieser Neuigkeit gleich mehrere Spalten, auch in Großbritannien, in der Schweiz, in Österreich wird der bislang gute Horst Tappert plötzlich recht ausführlich zum Bösewicht gestempelt. Der niederländische Privatsender MAX hat sofort Konsequenzen angekündigt. "Ich war geschockt von dieser Enthüllung", sagte der Senderchef Jan Slagter dem staatlichen Fernsehen NOS, "so etwas hätte ich bei Derrick nie erwartet." Die ab Juli geplante Ausstrahlung von 20 Derrick-Folgen wurde aus dem Programm gestrichen. "Wir werden keinen Schauspieler würdigen, der über seine Vergangenheit gelogen hat", begründete Slagter den Schritt. Am Freitagabend (03.05.2013) reagierten auch belgische und französische Sender und kündigten an, ihre laufenden Derrick-Serien abzusetzen.

Schwarzweiß-Foto von Fritz Wepper und Horst Tappert bei Dreharbeiten am 7.11.1977
Horst Tappert mit Fritz Wepper, Derricks treuem Mitarbeiter, bei Proben im November 1977Bild: picture-alliance/ dpa

Hintergrund ist die Enthüllung des Solinger Politikwissenschaftlers Jörg Becker, dass der 2008 gestorbene Schauspieler Horst Tappert als Jugendlicher in der Waffen-SS war. Nach anfänglichem Zögern hat inzwischen auch die Deutsche Dienststelle für die Benachrichtigung der nächsten Angehörigen von Gefallenen der ehemaligen Deutschen Wehrnacht (WASt) bestätigt, dass Tappert ab 1943 Mitglied des Panzergrenadier-Regiments "Totenkopf" war. Wie lange Tappert bei den SS-Panzergrenadieren war, geht offenbar aus der Akte nicht hervor. 

Über Schuld und schuldhafte Verstrickung des späteren Schauspielers in die Kriegsverbrechen des Totenkopf-Regiments sagen die bislang bekannten Informationen ohnehin nichts aus. "Offiziell war die Waffen-SS eine Freiwilligen-Armee", meint Söhnke Neitzel, Professor für Geschichte an der der London School of Economics and Political Science, im Gespräch mit der Deutschen Welle. Doch vor allem ab 1943 habe die Waffen-SS weit mehr Soldaten gebraucht als sich freiwillig gemeldet hätten. Da sei dann auch erheblicher Druck auf die jungen Männer ausgeübt worden: "Da kamen zum Beispiel SS-Werber in ein Lager der Hitler-Jugend und der Kommandant des Lagers sagte: 'Das gesamte Lager meldet sich freiwillig.'" Dass dann jemand vor allen aufgestanden wäre und widersprochen hätte, so viel Mut sei sehr selten gewesen.

Szene aus der Serie Derrick mit Schauspieler Daniel Friedrich und Horst Tappert
Szene aus der Serie DerrickBild: picture-alliance/ KPA

Von den Nazis überzeugt oder überrumpelt?

Ob Tappert überzeugt oder überrumpelt in der Waffen-SS gelandet war, das lässt sich heute womöglich nicht mehr herausfinden, ebenso wenig, ob er an Kriegsverbrechen beteiligt war. Zwar gibt es keine Zweifel, dass die Waffen-SS an der Ostfront gemordet und gebrandschatzt hat, auch nicht dass viele SS-Männer zumindest zeitweise immer wieder in Konzentrationslagern als Wachpersonal eingeteilt waren. Doch konkrete Belege, welche Einheiten an welchen Greueltaten beteiligt waren, gebe es kaum, meint der Historiker Neitzel, das gäben die Akten nicht her: "Da sind wir bislang hilflos und können eigentlich gar nichts sagen."

Horst Tappert grüßt in die Kamera (Foto: AP PHOTO/Lionel Cironneau)
Horst Tapperts Abschied vom BildschirmBild: AP

Ein großer Teil der aktuellen Vorwürfe gegen den Schauspieler konzentriert sich deshalb auch darauf, dass er seine SS-Vergangenheit verschwiegen hat, dass er nie gesagt hat, was damals war und wie er das im Nachhinein beurteilt. "Damit stand er nicht allein", meint Professor Neitzel, das Verschweigen der Kriegsvergangenheit sei ein Kernbestandteil der deutschen Nachkriegsgesellschaft gewesen. Horst Tappert habe sich auch in dieser Hinsicht in der Mitte der Gesellschaft bewegt: "Das ist eigentlich das Typische, dass wir bei einer ganzen Generation, die für die Bundesrepublik steht und die in vielen Fällen ja öffentliche Personen waren -  Schauspieler, Politiker - einfach überhaupt nicht wissen, was die konkret getan haben."

In dieser Hinsicht war Horst Tappert nicht anders als Inspektor Derrick: ein Mann ohne Vergangenheit, korrekt, scheinbar unbescholten und in jedem Fall pflichtbewusst.

Tapperts Vergangenheit wirft Schatten über die Serie

Dass es ausgerechtet diese steife, äußerst distanzierte, in jedem Fall nicht besonders aufregende Figur Derrick gerade im Ausland zu solcher Beliebtheit brachte, ist immer noch erstaunlich. Der Schriftsteller Umberto Eco mutmaßte einmal, dass die Faszination gerade in der Durchschnittlichkeit dieses Derrick liegen könnte, die jedem erlaube, seine eigenen Vorstellungen hinein zu projizieren.

Porträt von Horst Tappert (Foto: picture-alliance/dpa)
Horst Tappert verstarb am 13. Dezember 2008Bild: picture-alliance/dpa

Der Bielefelder Medienwissenschaftler Bernd Gäbler vermutet im Gespräch mit der Deutschen Welle, dass gerade die zuverlässige Harmlosigkeit der Serie zu ihrem internationalen Erfolg beigetragen haben könnte: "Ich glaube, dass viele im Ausland tatsächlich den guten Deutschen in Tappert  gesehen haben, der pflichtgemäß funktioniert, der die Fälle abarbeitet und mit großer Zuverlässigkeit die Ordnung wieder herstellt." Gerade die Biederkeit habe es den Menschen in den Nachbarländern erleichtert, bei einem deutschen Polizisten nicht an die Vergangenheit zu denken, sondern lediglich an einen modernen Bürokraten der Verbrechensbekämpfung. Inspektor Derrick, so Gäbler, war vor allem für viele Europäer genauso, wie sie die Deutschen sehen wollten: völlig humorfrei, aber "nicht bedrohlich, nicht gefährlich, nicht in irgendeiner Art extrem". 

Doch das ist nun vorbei. Zwar wird die Serie in Ländern wie China weiterhin die Vormittagsstrecken vieler Sender füllen, weil sie frei von Sex, frei von Gewalt und frei von gesellschaftlich komplizierten Themen ist und deshalb von den Verantwortlichen als risikofreie Füllmasse geschätzt wird. Doch in Europa dürften die Derrick-Krimis zunehmend in die Giftschränke wandern, meint Medienwissenschaftler Gäbler: Vor allem "in kleineren Ländern, die besonders unter der Besatzung gelitten haben, da wird es schon eine gewisse Strenge geben".