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Integration bleibt politische Herausforderung

29. September 2010

Deutschland diskutiert derzeit kontrovers über Integrationsthemen. Es stellt sich die Frage, wie viel Konfliktstoff das Mit- und Gegeneinander von Mehrheitsgesellschaft und Minderheiten auch in Zukunft in sich bergen.

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Dr. Andreas Wüst (Grafik: DW)
Dr. Andreas WüstBild: DW

In meinen bisherigen Beiträgen im Rahmen des Deutschland-Zooms habe ich einerseits darauf hingewiesen, dass die meisten Einwanderer schon deutsche Staatsbürger sind, andererseits aber auch, dass manche Migrantengruppen sich stärker benachteiligt fühlen als andere. Und mit Blick auf Parteipräferenzen von Migranten hat sich gezeigt, dass ehemalige sogenannte Gastarbeiter und ihre Nachkommen durchweg Parteien links der Mitte unterstützen. Eine Erklärung dieses Musters im Wahlverhalten bietet eine persönlich wahrgenommene Zurückweisung als Folge des offen diskutierten gesellschaftlichen Konflikt zwischen Parteien, die eine Gesellschaft eher als Volksgemeinschaft von Personen gleicher Herkunft und Kultur verstehen und solchen, die davon ausgeht, dass eine Gesellschaft nicht mehr und nicht weniger als die Summe ihrer Staatsbürger ist, unabhängig von deren Herkunft und Kultur.

Im Kern der Debatte um nicht integrationswillige - und vermeintlich integrationsunfähige - Migranten geht es vor allem um die folgenden Fragen: Wer soll, kann und wird in Zukunft Teil der deutschen Gesellschaft sein - und wer nicht? Welches Deutschland wollen die Deutschen? Unstrittig ist, dass die bundesrepublikanische Gesellschaft aus verschiedensten Gründen in den vergangenen Jahrzehnten multikultureller geworden ist, wobei Migration nur eine Komponente im Rahmen anhaltender Globalisierungsprozesse ist. Durch Migration ist die deutsche Gesellschaft nicht nur multikultureller, sondern auch stärker als zuvor multiethnisch geworden. Dieser veränderten Realität sind sich große Teile der Bevölkerung mittlerweile bewusst und auch die Leistung vieler Migranten wird inzwischen anerkannt.

Von emotionalen Debatten zu sachlichen Diskussionen

Schwieriger wird es, wenn Migranten mit Problemen in der Gesellschaft identifiziert werden: Sprach- und Bildungsdefizite, Arbeitslosigkeit, Beschneidung von Freiheitsrechten im Namen von Kultur oder Religion bis hin zu politischem Extremismus. Nicht, dass es solche Probleme in der restlichen Bevölkerung nicht gäbe, doch einerseits lassen sie sich offenbar leichter bei vermeintlich Fremden benennen, und andererseits sind Gäste einem größeren Konformitätsdruck ausgesetzt. In jedem Fall stehen Migranten unter ständiger und besonderer Beobachtung. Deshalb ist es nützlich, Integrationsprobleme zu benennen, Integrationshilfen anzubieten, aber auch über Integrationserfolge zu berichten. Und selbst hitzig geführte emotionale Debatten verändern sich oft zu sachlichen Diskussionen über wahrgenommene Probleme und feststellbare Realitäten.

Letztlich ziehen die Bürger aber ihre ganz persönlichen Schlussfolgerungen aus dem selbst Erlebten, von Dritten Berichtetem und Diskutiertem. Nun kann man Wahlberechtigte nach ihrer persönlichen Sicht auf möglicherweise bedeutsame Konflikte in einer Gesellschaft fragen, um einschätzen zu können, wie wichtig der gerade diskutierte Konflikt zwischen Migranten und Nicht-Migranten tatsächlich ist. Die Forschungsgruppe Wahlen tat dies im November 2009, also bevor die jetzige Debatte entbrannte. Wie die Grafik zeigt, gibt es bei einer Mehrheit der Deutschen drei grundlegende Konflikte: Zwischen Arm und Reich, zwischen Ausländern und Deutschen und zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Die anderen drei Konflikte sind lediglich für deutlich weniger Befragte von Bedeutung. Demnach beschäftigt das Zusammenleben zwischen Migranten und Nicht-Migranten die Bürger.

Infografik Konfliktdimensionen (Grafik: DW)

Wenn sie die Bürger beschäftigt, dann hat diese Konfliktdimension auch potentiellen Einfluss auf das Wahlverhalten - sei es für Wähler mit oder ohne Migrationshintergrund. Es ist von Bedeutung, ob und welche Position Parteien in der wichtigen Frage der Integration von Migranten einnehmen. Vor allem die Grünen, in den letzten Jahren allerdings auch die Linke, haben sich recht deutlich für Integrationsangebote, aber gegen Konformitätsdruck ausgesprochen. Ganz anders die CDU/CSU, die stets erhebliche Integrationsleistungen der Zuwanderer bis hin zu kultureller Angleichung gefordert hat. Die SPD war der Position der Grünen stets deutlich näher als derjenigen der Unionsparteien, doch setzte sie in den letzten Jahren kaum noch migrationspolitische Akzente.

SPD nimmt Mittelposition ein

Dies scheint sich gerade zu ändern. Der SPD-Vorsitzende Gabriel hat sich auf einem gerade zu Ende gegangenen Parteitag in der Integrationsfrage positioniert: Wer sich nicht integrieren will, kann folglich nicht mehr auf Unterstützung der Sozialdemokraten zählen. Dies ist eine interessante Reaktion auf eine hitzige Integrationsdebatte und möglicherweise auch ein Ergebnis der Realisierung gesellschaftlicher Sorgen. Die Partei setzt sich mit dieser Positionsveränderung von ihren Konkurrentinnen im linken Lager etwas ab und nimmt womöglich in der Integrationspolitik in den kommenden Jahren eine Mittelposition zwischen bürgerlichem und linkem politischen Lager ein.

Dabei ist es grundsätzlich zu befürworten, wenn sich Parteien zu wichtigen Fragen äußern, denn nur dann gewinnen die Bürger den Eindruck, dass sich Parteien um die Probleme der Bürger kümmern. Gibt es zudem unterschiedliche parteipolitische Positionen in Sachfragen, dann ist dies umso besser: So bleibt die Parteiendemokratie lebendig, auch wenn sie Konflikte vielleicht nicht nachhaltig entschärfen kann.

Autor: Andreas Wüst
Redaktion: Kay-Alexander Scholz

Dr. Andreas Wüst (Foto: privat)
Bild: privat

Dr. Andreas Wüst, geboren 1969, ist Politikwissenschaftler am Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung. Sein Forschungsschwerpunkt ist u. a. das Thema Migranten und deren politische Integration. Er wohnt in der Nähe von Heidelberg.